Die im Licht und die im Dunkeln

Horst Eckert: Die Stunde der Wut

Horst Eckerts Leser – und das werden offenbar immer mehr – kennen Melia Adan bereits aus dem letzten Roman des Düsseldorfer Autors Im Namen der Lüge (2019). Da arbeitete die Mittdreißigerin allerdings noch für das nordrhein-westfälische Landesamt für Verfassungsschutz und war beteiligt an der Aufdeckung einer rechten Verschwörung. Dass an den Plänen des weit verzweigten Netzwerks, das mit Terroranschlägen einen Regierungswechsel provozieren wollte, auch Leute aus den eigenen Reihen beteiligt waren, die anschließend ungeschoren davonkamen, desillusionierte Melia allerdings, so dass sie den Arbeitsplatz wechselte. Zu Beginn von Die Stunde der Wut fungiert sie deshalb als Leiterin der Kriminalinspektion 1 des Polizeipräsidiums Düsseldorf. In dieser Position ist die frischgebackene Kriminalrätin auch die Vorgesetzte des für Tötungsverbrechen zuständigen KHK Vincent Veih, den Eckert bereits viermal in seinen Romanen auftreten ließ. Und wieder müssen die beiden viel riskieren, um einen Fall, dessen politische Dimensionen von Tag zu Tag deutlicher werden, aufzuklären. Von DIETMAR JACOBSEN

Das Verschwinden ihrer einstigen Kollegin Solveig Fischer lässt Melia Adan auch nach ihrem Wechsel vom Verfassungsschutz zur Düsseldorfer Kriminalpolizei keine Ruhe. Die junge Frau, die ihr dabei half, in letzter Minute eine Verschwörung rechter Kräfte aufzudecken, in die auch Vertreter aus Wirtschaft, Justiz und Polizei verwickelt waren, hatte auf eigene Faust versucht, ein ländliches Ausbildungsobjekt einer militanten rechtsextremistischen Gruppierung auszuspähen. Zwölf Monate später – Die Stunde der Wut beginnt auf den Tag genau ein Jahr nach den dramatischen Ereignissen, wie sie Horst Eckert in seinem letzten Roman Im Namen der Lüge beschrieb – ist zwar klar, dass Solveig tot sein muss. Von ihrer Leiche aber fehlt nach wie vor jede Spur.

Ein Jahr danach

Derweil hat sich der Düsseldorfer Mordermittler Vincent Veih um einen anderen Fall zu kümmern. Was zuerst wie eine Beziehungstat aussieht – eine Gymnasiastin stirbt nach einer Messerattacke, ihr nach dem Verbrechen untergetauchter kurdischer Freund gilt zunächst als tatverdächtig, ehe andere Personen in den Fokus der Ermittler rücken –, entwickelt sich schon bald zu einem komplizierten Gemisch aus Drogenkriminalität, extremistischen Umtrieben und Korruption innerhalb des Polizeiapparats. Und auch zu den ein Jahr zurückliegenden Ereignissen um das Verschwinden von Solveig Fischer scheinen Spuren zu führen. Denn der Bruder der Ermordeten – die Familie hat den Kontakt zu dem »seltsamen Kauz« abgebrochen, nachdem der sich einer rechtsradikalen Gruppierung angeschlossen hatte – scheint mehr zu wissen über die Ereignisse in jener Nacht, die für die Verfassungsschützerin offensichtlich tragisch endete.

Handwerklich gewohnt souverän und erneut in mehr als hundert kurzen Kapiteln, zwischen denen die Perspektiven ständig wechseln, erzählt der in Düsseldorf lebende Autor Horst Eckert (Jahrgang1959) in Die Stunde der Wut eine so spannende wie brisante Geschichte aus unser aller Gegenwart. Eckert hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht als Verfasser hochaktueller Politthriller. Als »engagierte Literatur« wurden seine Bücher deshalb vom Deutschlandfunk Kultur bezeichnet. Mit der Bemerkung »Gut, dass es nur ein Roman ist.« spielte der SPIEGEL angesichts von Eckerts letztem Werk darauf an, dass die Wirklichkeit sich gerade anschickte, die Fiktion des Autors über einen auf dem rechten Auge zunehmend blinder werdenden deutschen Staat mit Vollgas zu überholen.

Krasse Wirklichkeiten

Den literarischen Auseinandersetzungen Eckerts mit den NSU-Morden (Wolfsspinne, 2016) oder der Verflechtung von Vertretern aus Politik, Justiz und Geheimdiensten mit rechtsextremistischen Kreisen (Im Namen der Lüge, 2020) lagen jeweils genaue Recherchen zugrunde. Sie hinderten den Autor freilich nicht daran, in den Geschichten, die er erzählte, die Realität immer noch ein wenig krasser aussehen zu lassen, als sie sich ohnehin schon darstellte. Und so nimmt es auch diesmal nicht Wunder, dass alle geschickt miteinander verwobenen Erzählstränge sich zunächst einmal anschicken, ihre – mit Dürrenmatt zu sprechen – »schlimmstmögliche Wendung« zu nehmen. Allein Eckert ist kein Pessimist, weshalb er seine beiden immer sympathischer werdenden Hauptfiguren – ein dritter Roman um Melia Adan und Vincent Veih scheint in Arbeit – am Ende aufklären lässt, was an den Fällen, mit denen sie sich beschäftigen, aufgeklärt werden kann.

Doch das ist beileibe nicht alles. Mehr als genug bleibt offen für eine Fortsetzung. Zumal die beiden Figuren, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen – ein über Leichen gehender Immobilienhai und Security-Unternehmer, der private Gefängnisse nach amerikanischem Vorbild auch für Deutschland plant, und der schon im Vorgängerband sein Unwesen treibende Verfassungsschützer Tristan Bovert, intrigant, gefährlich und scheinbar unangreifbar – ungestraft davonkommen. Wer an ihrer Stelle in Die Stunde der Wut bezahlen muss – in mehreren Fällen sogar mit dem eigenen Leben –, sind wieder einmal die Kleinen, Handlanger der Macht, die man braucht, solange sie einen nicht kompromittieren, und denen man noch skrupellosere und geldgierigere Vasallen auf den Hals hetzt, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben.

Demokratie mit Oligarchen

Es ist deshalb eine bittere Erkenntnis, wenn Vincent Veih am Ende resümieren muss: »Wir leben in einer Demokratie, […], aber den Oligarchen gehört das Land.« Abfinden mit dieser Lage der Dinge wird der Düsseldorfer Ermittler sich wohl nie. Aber im Unterschied zu seiner Mutter Brigitte, die die Karriere des Sohnes immer wieder mit ihrer RAF-Vergangenheit gefährdet und auch diesmal kräftig bei illegalen linken Protestaktionen mitmischt, vertraut Vincent immer noch auf das Recht und diejenigen, die berufen sind, es durchzusetzen. Und mit Melia Adan hat er eine Partnerin gewonnen, die, wenn wir den Kuss auf der letzten Romanseite richtig deuten, bald sogar ein bisschen mehr sein wird als nur Kollegin und Vorgesetzte.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Horst Eckert: Die Stunde der Wut
München: Wilhelm Heyne Verlag 2021
446 Seiten, 12,99 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Tarot für Anfänger*innen

Nächster Artikel

Ein Ort voller Magie

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Bluttaten im Burgtheater

Krimi | Koytek & Stein: Wien kann sehr kalt sein ›Wien kann sehr kalt sein‹ ist der vierte Fall für den ehemaligen Polizisten Conrad Orsini, den die beiden Autoren Lizl Stein und Georg Koytek – sie von Hause aus Musikerin und Komponistin, er 16 Jahre als Tontechniker am Wiener Burgtheater beschäftigt – erfunden haben. Diesmal geht es für den risikofreudigen Mann »undercover« auf Österreichs Vorzeigebühne. Orsinis Ex-Kollegin Paula Kisch von der Wiener Kripo hält ihm bei diesem gefährlichen Job wie immer den Rücken frei. Und schon bald ist klar: In dem berühmten Musentempel gibt es kaum jemand, der nicht von

Von Liebe im Angesicht des Terrors

Roman | Jean Mattern: September Die olympischen Spiele 1972 in München – ein Kräftemessen der besten Athleten, ein Schaulaufen der Presse. Doch kein besonders glorreicher oder überraschender Sieg sorgt in diesem Wettkampf für Aufregung. Dieses Mal ist alles anders, denn eine Tragödie wirft einen schweren Schatten über das Ereignis. In seinem Roman September verarbeitet Jean Mattern das Unglück der olympischen Spiele 1972, bei denen die israelische Delegation als Geiseln genommen wird und spickt diese mit privaten Emotionen seines Erzählers. Von ANNA NISCH

Jagd auf Goldfasane

Roman | Martin von Arndt: Rattenlinien Rattenlinien wurden jene Wege genannt, über die sich deutsche Kriegsverbrecher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs via Italien nach Übersee abzusetzen versuchten. In Martin von Arndts gleichnamigem Roman heuert ein Spezialkommando der US-Armee den im amerikanischen Exil lebenden Ex-Kriminalkommissar Andreas Eckart an, sich an der Jagd nach flüchtenden Nazis zu beteiligen. Von DIETMAR JACOBSEN

Weiße Nächte, weite Blicke

Roman | Alexander Osang: Fast hell

Das Spektakel ist beeindruckend. Fast hell, in pastellfarbenem Dämmerlicht, erscheinen die Julinächte in Sankt Petersburg. Vielleicht lässt sich gerade unter diesem Himmel das Unsagbare, Flimmernde, Schwebende erzählen, wenn die Grenzen zwischen Realität und Erfindung verschwimmen? Der Journalist und Schriftsteller Alexander Osang begibt sich auf Spurensuche und Zeitreise zwischen Ost und West. Von INGEBORG JAISER

Der ewig suchende Erinnerungskünstler

Roman | Patrick Modiano: Damit du dich im Viertel nicht verirrst Ein neuer Roman des Nobelpreisträgers Patrick Modiano ist erschienen – ›Damit du dich im Viertel nicht verirrst‹. Eine Rezension von PETER MOHR