Erst einen auf dicken Max machen

Roman | Frédéric Beigbeder: Der Mann, der vor Lachen weinte

Octave Parango ist ein Mann, der in der Mitte des Lebens steht – Midlifekrise, Potenzstörung, Fragen nach dem Sinn. Letztere lösen eine existenzielle Krise für den Helden aus. Und gerade deswegen spielt er noch einmal eine ganze lange letzte Nacht hindurch auf der Klaviatur des Lebens. Warum aber schlussendlich selbst Präsident Macron eine Rolle in dieser Pariser »Féte« übernehmen muss, wird nicht verraten. Frédéric Beigbeders neuer Roman Der Mann, der vor Lachen weinte mag für unruhige Nächte als Bettlektüre empfohlen sein – nicht ohne »Aufreger-Garantie« – meint HUBERT HOLZMANN.

Erste Sätze sind manchmal bezeichnend und weisen auf des Pudels Kern: »Ich heiße Octave Parango, und in zwanzig Jahren bin ich vierundsiebzig.« Nach Neununddreißigneunzig (2001) steht endlich wieder der exzentrische Snob und Selbstbespiegelungskünstler Octave Parango, ein durchaus humoristisch gemeintes Alter-Ego des Autor Frédéric Beigbeder, im Mittelpunkt der Story, die sich auf die dunklen Stunden einer Nacht beschränkt.

Brenn- und Zündpunkt der »Bombe«, die Parango zünden wird, ist ein populäres Morgenmagazin. Dabei wirkt die entscheidende Szene fast ein wenig improvisiert und fällt im Vergleich zu Parangos gewohnt elaboriert distanzierter Rolle als Dandy und »Staats-Comedian« ziemlich ab.

Gelbwesten zerlegen einen Store des durchaus umstrittenen Modeunternehmens Abercrombie & F, der Held sieht sich inmitten dieser Spannung und »sein Schicksal in den Shops gespiegelt«. Der metaphorische Wert dieser Fallhöhe ist eine rein kapitalistische Größe, im Grunde genommen ist Beigbeders Held ja ein geprügelter Hund.

Er versucht seine Unsicherheit und sein Unvermögen zu verschleiern, in jeder Sendung aufs Neue als Trendsetter aktuelle Themen zu definieren und scheinbar aus dem Stegreif witzig und pointiert zu kommentieren. Diesem Druck ist Parango, der Partylöwe und Frauenversteher aus dem Pariser elitären Gesellschaftszirkel, nicht mehr gewachsen.

»Fucking Fabulous« – oder »der Duft, der dafür sorgt, auf der Stelle mit mir …«

Luxusprodukte, Highend Fashion und teure Clubs bestimmen die Welt des Helden. Dass es da schon mal unkorrekt zugeht – was seinen Umgang mit Frauen, die Underdogs oder auch seine Mitarbeiter betrifft – muss dem Lesepublikum nur zu verständlich sein. Was daran ernst gemeint ist, bleibt dahingestellt. Vielleicht ist es auch alles nur Masche um dazuzugehören. Denn das muss Parango, koste es, was es wolle. Vielleicht schlägt hier aber auch schlicht sein Charakter durch.

Der Blick des Erzählers auf seinen Helden jedenfalls lässt dies unbeachtet, er wertet nicht, schafft jedoch mit einem wohlmeinenden Augenzwinkern ironische Distanz. Im Dialog mit seinen Leser*innen treibt er ein Rollenspiel, mit dem er Parangos naive Getriebenheit fast relativiert: »An diesem Abend ist Octave Parango das Gegenteil von E.T.: Er will nicht nach Hause. Er sollte aber. Denn er muss eine Kolumne für den nächsten Morgen schreiben.«

Und dieser Weg nach Hause – oder doch ins Hotelzimmer – wird immer weiter hinausgezögert. Es sind dies zwölf lange Stunden der Nacht. Denn im Stundentakt zieht es den Helden in diverse Nachtbars, in exotische Clubs und Lokale und natürlich auch zu ausgewählten Frauen. In diesen Räumen wird nur konsumiert: Dekadenz und Luxus, Alkohol und Sex. Parango scheint einen geradezu unstillbaren pantagruelischen Heißhunger nach alldem zu besitzen.

Der Held erweist sich als riesiger kapitalistischer »Müllschlucker«. Und dazu hat er allen Grund: Er muss sich zuballern, will vergessen: seinen ausstehenden Auftritt im Morgenmagazin, die aktuellen politischen Spannungen, die sich auf der Avenue des Champs-Élysées entladen und über die er sich lustig macht, und nicht zuletzt seine Familie, fernab der Party – wie der Autor selbst – im Südwesten Frankreichs, seine Tochter gar lebt im fernen Russland.

Kleine Kulturgeschichte der Respektlosigkeit

Parango ist ein moderner Hofnarr, der die Sprache des Etablissements voll beherrscht, mit Zitaten von Geistesgrößen jongliert und das angesagte kulturpessimistische Gesellschaftsspiel antreibt. Zynismus à la Houellebecq ist hier ein Muss, ein Markenzeichen: »Der Störfall im heutigen System ist nicht etwas die Schießerei in einem Konzert, sondern der Mensch, der nicht lacht.« Vielleicht also alles ganz normale französische Zustände einer Republik, die es versäumt hat, gesellschaftlichen Zusammenhalt als Wert zu erkennen? Oder wird gerade dies kritisiert? Es klingt durchaus satirisch, wenn der Autor seinem Helden nach den ersten zwei Stunden der »Nachtwache« bescheinigt: »Octave hat keine Lust mehr, gemeinsame Sache mit diesen Aasfressern zu machen.«

Reflexion, die als Selbstironie gedacht ist, kann jedenfalls auch als Selbstmitleid gelesen werden: »Auf meinem Grabstein wird geschrieben stehen: ›Octave Parango – er starb, weil er sich weigerte, älter zu werden.‹« Die Realität wird für ihn zur Kulisse: Sein voyeuristischer »Kino-Blick« imaginiert, als eine Schlacht zwischen Bereitschaftspolizisten und Gelbwesten tobt, die Filmszene, in der Jean Seberg »in Schwarz-Weiß und ohne BH herumläuft«. Denn er hat nur Augen für eine Demonstrantin, die vor ihm »auf der Straße sitzt und sich die Augen reibt und stöhnt«. Welch nostalgische Rückschau!

Dass dieser Roman auch ein Lehrbuch dafür sein will – oder vielleicht auch wieder gerade nicht –, wie man als Typ erfolgreich eine Frau anmacht, wird nie ganz klar. Was ist ernst gemeint und Eitelkeit des Helden? Was ist Ironie? Dass die Frauen wie selbstverständlich vielleicht sogar extra für Parango in »ausgewaschenen Shorts und mit harten Nippeln dasitzen und mit Schwarzem Trüffel versetzte Cashewkerne knabbern«, klingt selbst für männliche Leser ziemlich provozierend. Die zitierten Witze über gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen sollen nicht zitiert werden. Erfrischend offen ist auch hier wieder der Held, der sich selbst eingestehen muss: »Ich schäme mich, weiter Witze zu machen. Aber ich kann nicht anders: Ich bin selbst nicht besser als die anderen. Ein Shot Beluga in der Bar auf der Rue Quentin-Bauchart hebt meine Laune wieder und dreht mir zugleich den Magen um… wie dumm von mir, den Revolutionären keinen Rasputin-Wodka angeboten zu haben.«

Mit seiner nächtlichen Egotour steckt Parango das 8. Pariser Arrondissement ab – und zwar nach Maßstäben eines elitären Luxusgeschöpfes: Wo sind die Luxusläden, die Kulttempel, wo ist die geilste Partyszene? Bloß wie kann das alles noch gesteigert werden? Bleibt nicht einfach ein schaler Nachgeschmack, bei dieser phänomenalen Aneinanderreihung von Größenwahn? Sex und Frust kann doch auf Dauer nur Resignation bedeuten. Diese Formel wird auch nicht in Parangos Lieblingsladen, dem »Crazy Horse«, außer Kraft gesetzt. Parango kann seine Einsamkeit nicht mehr leugnen. Trauer und Entsetzen sind groß, als Gelbwesten ein weiteres Lieblingslokal des Helden abfackeln.

Alkohol, Drogen, Frauen – am Ende bleiben apokalyptische Hallus. Und Aphorismen der Amnesie: Es entsteht ein utopisches Manifest, durchbrochen von Emoticons, das in einer Pointe endet – und löst damit unerwartet ein Erdbeben aus. Womit nicht nur die sofortige Kündigung Parangos gemeint ist. Ein etwas anderes Ende, durchaus literarisch, aber nicht weniger konstruiert.

| HUBERT HOLZMANN

Titelangaben
Frédéric Beigbeder: Der Mann, der vor Lachen weinte
Aus dem Französischen von Claudia Marquardt
München: Piper 2021
320 Seiten. 22.- Euro
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