Welch ernstzunehmender Autor schreibt heutzutage noch einen Liebesroman? Heinz Strunk zeigt den Mut, eine toxische Beziehung in all ihrer schockierender Abgründigkeit und ihrem zwiespältigen Glück aufzuzeigen. Denn bei allen Widersprüchen gilt: Es ist immer so schön mit dir. Trotz Sprachwitz und herrlich schrägen Alltagsbeschreibungen bleibt einem bei der Lektüre dieses Romans schon mal das Lachen im Halse stecken. Von INGEBORG JAISER
Wer ein Buch von Heinz Strunk in die Hand nimmt, sollte auf alles gefasst sein. Da prallen zuweilen harte Gegensätze aufeinander: Tragödie und Komödie, E- und U-Literatur, Abgründe und Höhenflüge, bitterer Ernst und Klamauk. Strunks urkomisches literarisches Debüt Fleisch ist mein Gemüse (2004) entwickelte sich zum Überraschungserfolg, Der goldene Handschuh (2016) bescherte ihm den renommierten Wilhelm-Raabe-Literaturpreis. Dabei ist der 1962 als Mathias Halfpape in Hamburg geborene Autor ein wahres Multitalent und Tausendsassa: Schriftsteller, Kolumnist, Musiker, Komponist, Produzent und Schauspieler – letzteres auch immer ein bisschen seiner selbst.
Es würde einen nicht wundern, wenn er nicht selbst für den Protagonisten des neuen Buchs Es ist immer so schön mit dir Pate gestanden hätte. Ein etwas abgehalfterter Ex-Musiker und nicht gerade erfolgsverwöhnter Tonstudiobesitzer – Mitte 40 und von einer veritablen Midlife-Crisis gebeutelt – strauchelt durchs Leben: »Ein rot geschwitztes Knetfigurengesicht, von einem Kleinkind geknetet, breit und vergurkt, Augen in Aspik, Stirn auf halb acht, tiefhängende Unterlippe, vorgelagerte Zunge.« Keine Schönheit, vor allem nicht im trunkenen Zustand. Als er auf einer Premierenfeier die bildhübsche, doch unnahbare Möchtegern-Schauspielerin Vanessa kennenlernt, ist er dermaßen geflasht von ihrer Ausstrahlung, dass er Hals über Kopf seine langjährige Freundin verlässt.
Toxische Beziehung
Doch die neue Liebschaft steht auf wackliger Basis und entwickelt sich eher zur unheilvollen On-Off-Beziehung, die man höchstens noch mit dem Modewort »toxisch« versehen könnte. Hinter Vanessas dünner Silhouette verbirgt sich Magersucht, hinter ihrer spröden Unterkühltheit ein früherer sexueller Missbrauch. Wie krank sie eigentlich ist (»Die sieht ja aus wie ein zerschreddertes und wieder zusammengeflicktes Stofftier«), bemerkt der etwas dusslige Anti-Held in seiner testosterongetriebenen Überschwänglichkeit erst viel zu spät und stolpert über alle Fallstricke des menschlichen Miteinanders.
Es kommt, wie es kommen muss – und als Leser erahnt man es schon zwischen den Zeilen: »Ihr Untergang wird sich nach allen Regeln des Untergangs vollziehen, stetig, konsequent, unaufhaltsam.« Doch der langsame Abgesang will zelebriert werden, über alle qualvollen Zwischenstationen der ätzenden Trostlosigkeit: lähmende Familienfeiern, überflüssige Reisen, peinliche SMS-Nachrichten.
Alltägliche Tristesse
Ein anderer Autor hätte das Thema als Missbrauchsdrama, Sozialtragödie, Me-Too-Debatte inszeniert, doch Heinz Strunk strickt aus allen Unzulänglichkeiten und Gegensätzen unbeirrt einen Liebesroman. Vermengt musikalische Anleihen von Hildegard Knef bis Howard Carpendale mit zweifelhaften Lebensweisheiten und schier unzumutbarer Hässlichkeit. Über dem gesamten Roman liegt ein Odeur von Fäulnis, Schimmel, Schmodder, ein Geruch nach unausgeräumter Spülmaschine und nie gelüfteter Wohnung.
Strunks bildhafte Alltagsbeschreibungen haben Kultcharakter. Und auch Es ist immer so schön mit dir strotzt vor Sätzen, die man sich staunend auf der Zunge zergehen lässt. »Der Saal ist mit haferbreifarbenem Parkett ausgelegt und riecht nach kaltem Rauch, verschüttetem Bier und nicht in Schwung gekommenen Festen« ist so einer. Oder: »Die Fenster der Wohnung auf der anderen Straßenseite sehen aus wie schmuddelige Laken, die man an die Wand genagelt hat. […] An einer Scheibe klebt ein Rentnerpaar wie aufgespießte Schmetterlinge.«
Wer Heinz Strunks bisheriges Werk kennt, weiß: der Autor bewegt sich jenseits jeglicher Political Correctness und gern auch mal unterhalb der Gürtellinie. Seine schonungslose Offenbarung alltäglicher Tristesse – verquickt mit abgründigem Humor und sprachlichen Seitenhieben – verdient Bewunderung, auch wenn sie von Irritation und Verwirrung unterlegt ist. Das hat auch die Jury für den Deutschen Buchpreis erkannt und Es ist immer so schön mit dir auf die diesjährige Longlist gesetzt. Als möglicher Preisträger wäre Heinz Strunk jedoch zu weiß, zu männlich, zu unerschrocken.
Titelangaben
Heinz Strunk: Es ist immer so schön mit dir
Hamburg: Rowohlt 2021
285 Seiten, 22.- Euro
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