/

Ermittlungen im Exil

Roman | Deon Meyer: Todsünde

Kapstadts Spezialeinheit zur Aufklärung von Tötungs- und Gewaltdelikten ohne Bennie Griessel und Vaughn Cupido? Undenkbar. Und doch müssen Deon Meyers Helden in ihrem achten Fall nicht nur erneut gegen die Zeit und einen raffinierten Feind, sondern auch um ihre Reputation kämpfen. Aus disziplinarischen Gründen hat man sie nämlich degradiert und in die Universitätsstadt Stellenbosch abgeschoben. Dort halten sie zwei Vermisstenfälle auf Trab. Dass die mit der Ermordung eines Polizisten in Kapstadt zusammenhängen, der Korruptionsfällen im Sicherheitsapparat auf die Spur gekommen ist, scheint zunächst nur eine Vermutung zu sein. Aber Griessel und Cupido beginnen, Zusammenhängen nachzuforschen- wenn sie Erfolg haben, könnte das ihren Ruf vielleicht wiederherstellen. Von DIETMAR JACOBSEN

Todsünde heißt der achte Band um den weißen südafrikanischen Polizisten Bennie Griessel. Als Angehöriger des Kapstädter Dezernats für Tötungs- und Gewaltdelikte schlug seine Stunde bisher immer dann, wenn höchste Not am Mann war. Entsprechend groß war aber auch der Stress, unter dem er seine Fälle lösen musste. Kein Wunder deshalb, dass Griessel auf Lebensabschnitte zurückblickt, in denen der Alkohol zu seinem besten Freund wurde.

Sohn Fritz glaubt immer noch nicht, dass sein Vater inzwischen trocken ist, und Griessels Beziehung zu der schwarzen Sängerin und Plattenlabel-Inhaberin Alexa Barnard ist das auch oft nicht gut bekommen. Doch immer wieder hat man zueinander zurückgefunden. Inzwischen steht sogar ein Hochzeitstermin fest. An dem will Alexa unbedingt festhalten, auch wenn Bennie, gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Vaughn Cupido gerade degradiert und nach Stellenbosch versetzt, die Sache inzwischen lieber um ein Jahr verschieben würde.

Degradiert und abgeschoben

Die Freude auf der Kripo-Dienststelle Stellenbosch ist im Übrigen nicht ungeteilt, als die beiden Ermittler der berühmten Kapstädter »Falke« an einem der ersten Oktobertage an ihrem Exilort eintreffen. »Hier ist kein Platz für Diven«, bekommen Griessel und Cupido zu hören. Und deshalb beabsichtigt man auch, das Duo nur an Fälle zu lassen, bei denen ihr Name nicht Gefahr läuft, in den Schlagzeilen zu landen. Die Aufklärung einer Vermisstensache könnte so eine harmlose Sache sein. Denn von den 30.000 Studenten vor Ort verschwindet ab und zu mal einer, taucht aber in schöner Regelmäßigkeit ein oder zwei Tage später immer wieder auf. Warum also sollte das mit dem Computerfreak und verschlossenem Beststudenten Callie de Bruin anders sein?

Während Griessel und Cupido sich ins Haustürgeschäft stürzen und alle befragen, die etwas den Fall Erhellendes über den verschwundenen Callie wissen könnten, lässt Meyer auf einer anderen Handlungsebene eine Immobilienhändlerin das Geschäft ihres Lebens an Land ziehen. Sandra Steenberg arbeitet für die Firma des geldgierigen  Charlie Benson – dass der Mann nicht nur aufs Geld versessen, sondern auch noch hinterhältig ist, wird die attraktive 33-Jährige später merken – und ist offensichtlich einem Mann namens Jasper Boonstra aufgefallen, der nicht nur superreich ist, sondern als Betrüger im großen Stil gerade auch in aller Munde. Verschwiegenheit ist deshalb dessen erste Forderung an die junge Frau, als er ihr anbietet, den Verkauf eines seiner Weingüter abzuwickeln, was Sandra allein an Provisionen ein paar Millionen einbringen würde. Und weil sich vor der Familie Steenberg gerade ein finanzieller Abgrund aufzutun im Begriff ist, duldet Sandra widerwillig auch die schmierigen Annäherungsversuche des über sie und die Ihren offensichtlich gut informierten Milliardärs.

Ein verschwundener Student, ein betrügerischer Milliardär und korrupte Polizisten

Als der plötzlich auch noch von der Bildfläche verschwindet, ohne dass sich bezüglich des weiterhin vermissten Studenten viel getan hätte, haben es Deon Meyers Ermittler plötzlich mit zwei immer brisanter werdenden Vermisstenfällen zu tun. Dass die Immobilienmaklerin Steenberg zumindest zur Aufklärung des Verschwindens des betrügerischen Milliardärs  mehr beitragen könnte, als sie bereit ist, in der Befragung durch Bennie Griessel zuzugeben, ahnt Meyers Held schnell. Die Leser freilich wissen längst, wo Jasper Boonstra seine letzte Bleibe gefunden hat und wie er dahin gekommen ist. Und auch den aktuellen Aufenthaltsort von Callie de Bruin könnte Sandra der Polizei noch verraten, müsste sie nicht fürchten, dadurch selbst in Gefahr zu geraten.

Geschickt wechselt Deon Meyer auch in seinem achten Bennie-Griessel-Roman die Schauplätze und Erzählperspektiven. Datumsangaben – der Roman beginnt nach einem Vorspiel im Juli mit dem 19. September und endet am 6. Oktober, umfasst also eine erzählte Zeit von knapp zweieinhalb Wochen – strukturieren das Buch. Gegen Ende, wenn sich die Erzählfäden endgültig miteinander verschränken und alles auf einen Showdown hinausläuft, erhöhen Uhrzeitangaben noch die erzählerische Schlagzahl. Und es wird auch klar: Keinesfalls zufällig sind Griessel und Cupido in Stellenbosch gelandet, sondern hinter ihrer Versetzung in die Provinz verbarg sich letzten Endes ein ausgeklügelter Plan, der seinen Anfang nahm, als ein Polizeioffizier die beiden Ermittler kontaktierte, um sie über einen Fall von Verrat in den eigenen Reihen zu informieren, und der Mann erschossen wurde, bevor es zum verabredeten Treffen kam.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Deon Meyer: Todsünde
Ein Bennie-Griessel-Thriller
Aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer
Berlin: Rütten & Loening 2021
477 Seiten. 20.- Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Mehr zu Deon Meyer von Dietmar Jacobsen in TITEL kulturmagazin

1 Comment

  1. Mit dem Ende des Buches bin ich überhaupt nicht einverstanden. Es bleibt nämlich eine wichtige Frage offen: Was macht die Maklerin mit dem Toten in der Tiefkühltruhe, bevor in ein paar Stunden die Käufer das Haus übernehmen? Wahrscheinlich ist Herrn Meyer dazu nichts mehr eingefallen.

Schreibe einen Kommentar zu Rolf Kuhsiek Antworten abbrechen

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Hass, Rache und Gewalt

Nächster Artikel

Auf geht’s!

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Die Erlöserin

Krimi | Bernhard Aichner: Totenfrau Wer möchte schon Brünhilde heißen? Hagen Blums Tochter jedenfalls nicht. Und so beschließt die 16-Jährige, dem Vater, einem bekannten Innsbrucker Bestattungsunternehmer, die Nibelungentreue aufzukündigen und fortan nurmehr unter ihrem Nachnamen aufzutreten. Doch nicht nur in diesem Punkt setzt Blum ihren Kopf durch. Auch der verhassten Adoptiveltern weiß sie sich ein paar Jahre später so raffiniert wie brutal zu entledigen. Und lernt bei der Gelegenheit auch noch den Mann ihres Lebens kennen. Doch wenn das Glück am ungetrübtesten scheint, fangen die Albträume gewöhnlich erst an. Bernhard Aichner neuer Krimi Totenfrau. Von DIETMAR JACOBSEN

Aufgewühlte Wasser

Roman | Eva Björg Ægisdóttir: Verschwiegen

Elma ist nach Akranes zurückgekehrt. Nach dem Ende einer langjährigen Beziehung sucht die junge Kriminalpolizistin einen Neuanfang in ihrem Leben. Dafür scheint Akranes, wo es ruhiger zugeht als in Reykjavík, genau die richtige Umgebung zu sein. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft erschüttert ein Tötungsverbrechen den Ort. Im Wasser vor dem alten Leuchtturm treibt eine tote Frau. Fieberhaft beginnen Elma und ihre neuen Kollegen Hörður und Sævar zu ermitteln. Und finden sich bald inmitten eines Falls, der weit in die Vergangenheit zurückreicht und in dem die Tote vom Leuchtturm nur die Spitze eines Eisbergs markiert. Von DIETMAR JACOBSEN

Zwischen Glaswolle und Gummiknüppeln

Roman | Frank Goldammer: Juni 53

Mit seiner Reihe um den Dresdener Kriminalpolizisten Max Heller hat Frank Goldammer (Jahrgang 1975) es längst in die Bestsellerlisten geschafft. Band 5 heißt Juni 53 und spielt mit seinem Titel auf die Tage der Arbeiterproteste in der DDR an. Auch in Dresden gehen aufgebrachte Werktätige auf die Straße. Man protestiert gegen kaum erfüllbare Produktionsnormen, Versorgungsengpässe und eine Regierung, die ihre Direktiven gnadenlos nach unten durchdrückt und vor der bedrückenden Realität die Augen verschließt. Dass der brutale Mord im VEB Rohrisolation, den Heller und sein Kollege Oldenbusch aufklären sollen, etwas mit den am 17. Juni in vielen Städten in Gewalt umschlagenden Aufständen zu tun hat, steht für einen mitermittelnden Stasi-Offizier schnell fest. Doch Max Heller verfolgt eine andere Spur. Von DIETMAR JACOBSEN

Drogen per Drohnen

Roman | Zoë Beck: Die Lieferantin Elliot Johnson, von ihren Freunden Ellie genannt, versorgt das London der nahen Zukunft mit Drogen bester Qualität. Ihr Stoff, im Darknet bestellbar, wird per Hightech-Drohnen zum Kunden befördert. ›Die Lieferantin‹ bleibt dabei immer im Dunklen. Doch weil Ellies Geschäftsmodell den traditionellen Straßenvertrieb plötzlich uralt aussehen lässt, kommt Londons Unterwelt natürlich ins Grübeln. Drei Bosse verbünden sich, um die billigere und bessere Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Als dann auch noch der Tod zweier Gangster die Szene in Unruhe stürzt, wird es auf den Straßen der englischen Metropole zunehmend unruhig. Von DIETMAR JACOBSEN

Der aufrechte Gang begann im Allgäu

Roman | Volker Klüpfel/Michael Kobr: Affenhitze

Wer hat den Paläontologen Professor Brunner getötet? Vor dieser Frage stehen Interims-Polizeipräsident Adalbert Ignatius Kluftinger und sein Team in ihrem zwölften Fall. Der sie dorthin führt, wo wissenschaftlich Sensationelles stattgefunden hat, nämlich die Entdeckung des ältesten Menschenaffen der Welt. Bescheiden hat ihn der Professor nach sich selbst benannt: Udo. Und damit nicht nur Teile der Fachwelt gegen sich aufgebracht. Aber überrollt man den ungeliebten Kollegen deshalb gleich mit einem Bagger? Kluftinger ermittelt, wie man das von ihm inzwischen gewohnt ist, auch in Affenhitze etwas chaotisch, aber letzten Endes mit scharfem Blick für das Wesentliche. Und auch an Nebenkriegsschauplätzen verwüstet er wieder einige. Von DIETMAR JACOBSEN