/

»Unrecht ist die Essenz unseres Lebens«

Roman | Christine Lehmann: Die Affen von Cannstatt

Nach zehn Romanen, in denen die »Schwabenreporterin« Lisa Nerz im Mittelpunkt stand, hat sich Christine Lehmann eine kleine Pause von dieser Figur gegönnt. In ihrem aktuellen Roman Die Affen von Cannstatt erzählt sie die Geschichte einer zu Unrecht des Mordes beschuldigten Frau. Ganz ohne ihre taffe Serienheldin kommt sie am Ende freilich doch nicht aus. Von DIETMAR JACOBSEN
Affen von CannstattCamilla Feh sitzt im Gefängnis. Und einen nicht geringen Anteil daran, dass sie eines raffinierten Mordes beschuldigt wird, hat Lisa Nerz. Weshalb die taffe »Schwabenreporterin«, die Christine Lehmann schon in zehn Romanen und etlichen Erzählungen hat auftreten lassen, diesmal weder die Haupt- noch die Heldenrolle spielt. Für die in der JVA Schwäbisch-Gmünd auf ihren Prozess wartende junge Frau ist sie gar eine hinterlistige »Hyäne«, deren Aussage die Dinge erst ins Rollen brachte, und zwar in die falsche Richtung.

Die Affen von Cannstatt stellt uns jene junge, der gezielten Tötung in zwei Fällen verdächtige Frau als einen ehrgeizigen Menschen vor, dessen wissenschaftliche Ambitionen an einem System gescheitert sind, in dem die Pfründen ein für allemal verteilt scheinen und feministische Positionen inzwischen auch von Männern vertreten werden. Als Feh bei ihren Forschungen im Affenhaus der Cannstatter »Wilhelma« nämlich entdeckt, dass die im Matriarchat lebenden Bonobos keineswegs jenen Wohlfühl-Zootop bilden, als den die herkömmliche Wissenschaft Bonobo-Horden beschreibt, ist es ziemlich schnell aus mit der Zuneigung des sie betreuenden Professors und ihrer eigenen Karriere als Soziologin.

Dass sie aus beruflicher Frustration und Männerhass ein paar Jahre später allerdings die von ihr diagnostizierte Aggressivität der Bonobos ausnutzt, um einen Mann zu töten, mit dem sie vor Jahren einmal zusammen war und der ihr nun als neuer Boss das Leben schwer macht, streitet Camilla Feh energisch ab.

Eine Affenhorde als Mordwaffe

Geschickt hat Christine Lehmann ihren Roman aus zwei miteinander verflochtenen Handlungssträngen zusammengesetzt. Während ihre Hauptfigur sich in dem einen ihrer Vergangenheit zu vergewissern sucht – sie ist die Tochter einer Kindsmörderin und deshalb einem misstrauischen Justizsystem schon einmal von vornherein verdächtig -, kommt der andere als »Haftbuch« daher, was man durchaus in der Tradition von dessen berühmtem Vorgänger, den Gefängnisaufzeichnungen des italienischen Schriftstellers, Politikers und Philosophen Antonio Gramsci (1891 – 1937), sehen kann.

Hin- und hergeblendet wird zwischen dem, was der Heldin des Buches in der Zeit bis zu ihrem Prozess in der Untersuchungshaft geschieht, und den Erfahrungen, die sie als angehende Zoologin einerseits mit den Bonobos in Cannstatt, andererseits mit den Männern in ihrer Umgebung macht, die ebenfalls sofort bissig werden, wenn sie ihre Grundüberzeugungen von der richtigen Ordnung der Welt von einer Frau in Frage gestellt sehen.

Dass es am Ende für die Feh doch noch halbwegs gut ausgeht, darf hier verraten werden. Schließlich hat Christine Lehmann mit Die Affen von Cannstatt keinen Roman geschrieben, der seine Spannung aus der Tätersuche bezieht. Und auch Lisa Nerz kann ihren Fehler wiedergutmachen und dazu beitragen, dass die zu Unrecht Inhaftierte ins Leben zurückkehrt und ein Jurastudium in Tübingen beginnt. So richtig zufrieden freilich ist die »Schwabenreporterin« nicht mit der Rolle, die sie in dem Fall gespielt hat. Und so erlebt der Leser zum ersten Mal eine Lisa Nerz, die sich selbst in Frage stellt. Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen das auf ihre weitere Karriere als Romanfigur, die wir nicht missen wollen, haben wird.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben:
Christine Lehmann: Die Affen von Cannstatt
Hamburg: Argument Verlag 2013
288 Seiten. 12.- Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Steuermann, halt den Kurs!

Nächster Artikel

Kinderkeile

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Eine Hommage an den Meisterdetektiv

Kinderbuch | Hannes Binder: Sherlock Holmes

Am 22. Mai feiern Fans weltweit den internationalen Sherlock-Holmes Tag und damit jenen genialen Ermittler, den Sir Arthur Conan Doyle 1886 erschuf. Die Zielgruppe waren und sind erwachsene Leser*innen, die Graphic Novel bietet einen tollen Einstieg für die jüngeren, findet ANDREA WANNER, selbst bekennende Holmes-Anhängerin.

Die Amerikaner kommen

Roman | Anthony Horowitz: Der Fall Moriarty Ganz London ist in Aufruhr – von der Unterwelt bis zum Oberhaus. Offenbar hat ein Mann namens Clarence Devereux den Tod von Professor Moriarty in den Reichenbachfällen genutzt, um sich an die Spitze der Verbrecherwelt der Themsestadt zu setzen. Devereux kommt aus New York und einer, der ihn im Auftrag der Pinkerton-Agentur von dort nach Europa gefolgt ist, weiß, was das bedeutet: »Der amerikanische Kriminelle hat kein Urteilsvermögen und keinen Sinn für Loyalität.« Wahrscheinlich mordet er sogar in der heiligen Stunde des Five’o’Clock-Teas – eine ganz neue Qualität von Verbrechen sucht die britische

Volltreffer

Comic | Matz (Text) / Luc Jacamon (Zeichnungen): Der Killer

Der »Killer« wird von Szenarist Matz und Zeichner Luc Jacamon seit 1998 von reichen Auftraggebern auf seine Opfer losgelassen. Als Leser folgt man seinem Blick auf die Welt entlang seines Gewehrlaufs. Das fesselt und packt – und lässt sich nun mit dem ersten abgeschlossenen Band einer dreibändigen Gesamtausgabe neu erleben. Von CHRISTIAN NEUBERT

Zehn Tage für die Jagd auf einen Mörder

Roman | Jo Nesbø: Blutmond

Nach seinem letzten Fall ist Harry Hole wieder einmal aus Oslo verschwunden. Nichts hielt ihn mehr in der Heimat nach der Ermordung seiner Frau und dem Freitod eines zwielichtigen Kollegen und ehemaligen Freundes. Doch nach wie vor wird der Mann gebraucht, wenn es die heimische Polizei mit einem Serientäter zu tun bekommt. Und so wundert es auch nicht, dass Hole nach der brutalen Ermordung zweier junger Frauen plötzlich wieder da ist. Aber er arbeitet diesmal nicht für die Osloer Polizei, sondern im Auftrag jenes Mannes, den Ermittlungsorgane und Presse für dringend verdächtig halten, die beiden Frauen getötet zu haben. Und Hole hat noch dazu wenig Zeit. Denn in Los Angeles hat er ein Versprechen gegeben, das er unbedingt zu halten gedenkt. Von DIETMAR JACOBSEN

Die Rache des Phantoms

Roman | Alex Beer: Felix Blom. Der Häftling aus Moabit

Berlin 1878. Als der Dieb und Betrüger Felix Blom nach drei Jahren Einzelhaft wieder freikommt, stehen zwei Dinge auf seiner Agenda: sich an dem Mann zu rächen, der ihn mit einem hinterhältigen Trick ins Gefängnis gebracht hat, und wieder in jene Kreise aufzusteigen, in die er es schon einmal geschafft hatte. Allein er hat mächtige Widersacher. Die Polizei sähe den raffinierten Burschen, der sie jahrelang an der Nase herumgeführt hat, am liebsten wieder sicher verwahrt. Und sein Konkurrent um die Gunst der schönen Auguste Reichenbach, Baron Albert von Mesar, beeilt sich, der begehrten Bürgerlichen einen Antrag zu machen, um nicht noch einmal ins Hintertreffen zu geraten. Und schließlich ist da auch noch ein Psychopath mit Todesankündigungen unterwegs, auf dessen Schwarzer Liste Blom ziemlich weit oben zu stehen scheint, ohne dass er weiß, womit er sich diese zweifelhafte Ehre verdient hat. Von DIETMAR JACOBSEN