Zum zweiten Mal ermitteln Frau Wolf und Markus Cheng in verkehrten Rollen. Während Cheng in 5 Fällen der »einarmige Detektiv war«, ist er inzwischen nämlich zum »einarmigen Assistenten« geworden. Und aus der ehemaligen Assistentin Frau Wolf wurde seine Chefin. Das hat freilich nichts daran geändert, dass das Duo auch weiterhin mit Ermittlungen beauftragt wird, die mehr als nur ein bisschen aus dem Rahmen fallen. Diesmal ist ein Wombat-Forscher in Australien verschwunden. Und weil seine hinterbliebene Gattin es sich leisten kann, setzt sie Wolf und Cheng auf die Spur des Vermissten. Die zunächst zu einem Quartett von deutschen Lottogewinnern führt, die es gar nicht mögen, wenn man ihnen nachspioniert. Von DIETMAR JACOBSEN
Nach Australien führt ihr neuester Fall die Wiener Detektivin Frau Wolf und ihren Assistenten, den einarmigen Markus Cheng, einst ihr Chef, nun, nach einem kürzlich vorgenommenen Rollentausch, in ihre ehemalige Funktion geschlüpft. Was der Durchschlagskraft des Duos freilich keinen Abbruch tut. Wer führt und wer geführt wird – egal, wenn zwei so aufeinander eingespielt sind wie diese beiden. Und auch diesmal kommt es darauf an, dass man sich zu hundert Prozent aufeinander verlassen kann. Denn obwohl es am Anfang nur um ein kuscheliges Tier, einen australischen Wombat, zu gehen scheint, gewinnt die Geschichte um den verschollenen Wiener Zoologen Oliver Roschek bald Dimensionen, an die weder die Wolf noch Cheng gedacht haben, als sie ihr Flugzeug nach Sydney bestiegen.
Ein Wombat namens Toby
Heinrich Steinfest (Jahrgang 1961) hat wieder zugeschlagen. Mit bekanntem Personal und der gelegentlich das Surreale streifenden Fabulierfreude, die man seit Langem von ihm kennt. Gemälde eines Mordes heißt der neueste Streich rund um seinen einarmigen Detektiv, der seit dem Erscheinen von Cheng:rabenschwarzer Roman um einen Wiener Chinesen im Jahre 1999 – inzwischen hat der Autor dieses Cheng-Debüt-Buch bereits zweimal »renoviert«, um es mit dessen eigenen Worten zu sagen – in bis dato sieben Romanen agierte. Mit dem fünften Kontinent hat sich Heinrich Steinfest diesmal just jenem Schauplatz zugewandt, an dem er selbst einst geboren wurde. Und auf dem Kreaturen leben, wie man sie nirgendwo sonst auf der Welt zu sehen bekommt.
Womit mit Letzteren natürlich Kängurus, Emus, tasmanische Teufel und eben jene possierlichen Beutelsäuger namens Wombats gemeint sind, denen der Wiener Zoologie-Professor Roschek seit Jahrzehnten nachforscht. Einem jener seinen Kot in Würfelform ausscheidenden Tierchen ist der von seiner steinreichen Gattin für seine aufwändigen Forschungen großzügig Alimentierte dabei besonders nahegekommen, wovon sein Buch Meine Zeit mit Toby ein faszinierendes Zeugnis ablegt. Und just auf dem Weg zu seinem kleinen, im westaustralischen Kangoroo Valley beheimateten »Freund«, von dessen aktuellem Befinden ihm offensichtlich eine beunruhigende Nachricht erreicht hat, ist Roschek nun verschwunden.
Mordlüsterne Lottospieler im Kleinen wie im Großen
Was dann im australischen Busch beginnt und über verschiedene Stationen, auf denen es jedesmal mordsgefährlich für Steinfests Protagonisten wird, bis aufs Dach der Hamburger Elbphilharmonie führt, wo man natürlich – wie könnte es auch anders sein bei diesem Autor – Udo Lindenberg begegnet, ist eine fantastische tour de force mit durchaus ernstem Hintergrund. Denn ganz nebenbei – und bereits in den dem Roman vorangestellten vier Zitaten anklingend – hat der Autor seiner Geschichte von mörderischen Ehepaaren, die sich als müßiggehende deutsche Lottogewinner ausgeben, Geheimagenten und Auftragskillern mit internationalem Renommee, etlichen Kunstsammlern und -fälschern samt einer ganzen Phalanx von mordendem und ermordetem Personal noch seine ganz eigene Meinung zum gegenwärtigen Weltzustand in Form einer kleinen, in die Mitte des Romans, also praktisch in sein Zentrum, eingelassenen Binnenstory mitgegeben.
Da geht es dann um die Ukraine und Taiwan, die große Politik und die kleinen, sie begleitenden Lügen, Ibiza-Affären sowie Schauspieler in sie überfordernder Regierungsverantwortung. Oder anders formuliert: um nichts, was heutiger political correctness entsprechen würde, dem gesunden Menschenverstand aber allemal.
Am Ende freilich schlägt das Schicksal zu. Und trifft auch jene, die sich herausgenommen hatten, selbst Schicksal zu spielen. Und Cheng? Wird es für ihn weitergehen, ein achtes Abenteuer an der Seite von Frau Wolf auf ihn warten? Oder wird ihn das »Ding aus einer anderen Welt«, als das er seinen diagnostizierten primären Hirntumor bezeichnet, endgültig aus dem Spiel der Literatur herausnehmen? Wir hoffen es nicht. Denn von wem sollten wir sonst in Zukunft auf solch eigensinnige Gedanken wie diesen des Philosophen Bertrand Russell aufmerksam gemacht werden: »Viele Menschen sind im Kriege glücklicher als im Frieden, vorausgesetzt dass die unmittelbaren leidvollen Folgen der Kampfhandlungen sie persönlich nicht allzu schwer treffen.«
Also mag sich Markus Cheng gern für einen Sommer auf der Liegewiese des Wiener Theresienbades ausruhen, den Schatten seines längst verstorbenen Hundes Lauscher neben sich – aber dann bitte schön zurückkehren in ein Spiel, dass Heinrich Steinfest so gut beherrscht wie kein zweiter deutscher Schriftsteller unserer Tage.
Titelangaben
Heinrich Steinfest: Gemälde eines Mordes. Frau Wolf und Cheng ermitteln
München: Piper Verlag 2023
281 Seiten. 18 Euro
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