Denken wir uns ganz klein. So klein, dass die Pusteblume auf einer Wiese wie Bäume für uns sind, die Wiese selber zum nahezu undurchdringlichen Dschungel wird. Und dann lassen wir uns wie ANDREA WANNER überraschen, was plötzlich passiert.
Vor uns breitet sich auf einer Doppelseite die Wiese aus. Filigrane Gräser und Blüten, Löwenzahn in unterschiedlichen Stadien, dazwischen eine fliegende Hummel, ein Marienkäfer auf einem Blütenblatt und ein Schmetterling auf einer Kleeblüte, alle drei mit einem Hut auf dem kleinen Kopf. Und auf dem Boden strahlt in dieser Naturstudie in differenzierte Grautönen bunt ein Fremdkörper. Rund, in zartem Gelb, Blau und Grün, das Licht reflektierend. Ein einziger, lakonischer Satz lautet: „An einem Donnerstag fiel es vom Himmel“.
Dieses „es“ wird das Leben der Wiesenbewohner verändern. Noch wissen sie das nicht. Noch kommen sie neugierig näher, schauen das merkwürdige Ding an und versuchen es zu deuten. Auf der nächsten Seite wurde an das Objekt herangezoomt, Käfer, Insekten, Raupen und Schmetterlinge schauen es sich genauer an. Und äußern auf den Folgeseiten ihre Vermutungen, was es sein könnte. Während die Stabheuschrecke sich freut, dass das Ding noch seltsamer ist als sie selbst hält der Frosch es für Weingummi, der Stinkkäfer vermutet, es sei eine Blume und der Grashüpfer denkt, es könne ein Komet oder kleiner Planet sein. Die Mondmotte wärmt es während der Nacht, sanft beleuchtet vom Mond und vom Licht der Glühwürmchen, in der Hoffnung, dass vielleicht ein Insekt aus dem Gebilde schlüpft.
Während das Rätselraten weitergeht, geschieht zweierlei. Zum einen freuen sich alle externen Bilderbuchbetrachter über ihre Überlegenheit, denn längst haben sie das Etwas als Glasmurmel identifiziert. Dieser Wissensvorsprung sorgt für jede Menge Spaß an den in die irre führenden Vermutungen der kleinen Wesen. Zum anderen kommt jetzt ein Tier, das neue Fakten schafft: die Spinne. Im Vergleich zu den anderen größer und stärker behauptet sie, das Objekt gehöre ihr, denn es sei direkt in ihr Spinnennetz gefallen. Von den anderen kann sich niemand daran erinnern, dass das Netz am Vortag da war, „allerdings konnte sich auch niemand erinnern, dass es nicht dort gewesen war.“ Schon wieder ein Punkt für die Externen. Wir können zurückblättern: es war nicht da. Aber dieses Chance haben eben nur wir. Was für ein großartiges Gefühl!
Auf der Wiese nimmt alles sein Lauf. Die Spinne bemächtigt sich des Gegenstandes, lässt ein Freilandmuseum namens WunderLand bauen, in dem er ausgestellt wird und wird mit den Eintrittsgelde in Höhe von zunächst einem Blatt, das aber bald erhöht wird, stinkreich. So funktioniert es auf der Wiese, so funktioniert es auf der Welt. Nur ist die Geschichte damit noch nicht am Ende.
Nach dem im vergangenen Jahr erschienenen „Projekt Barnabus“ haben die Fan-Brüder erneut ein magische Bilderbuch geschaffen in einer Mischung aus traditionellen Tusche- und Graphitzeichnungen und digitaler Technik. Genial schleicht sich Farbe in das Wiesengrau: zunächst mit der Murmel und dann mit dem Grün der Eintrittsblätter, ehe beides durch ein weiteres unerwartetes Ereignis wieder verschwindet. Und dann braucht es den ganzen Einsatz der Spinne, bis uns alle am Ende eine leuchtend bunte Wunderwelt überrascht. Und am besten bleibt man in der Perspektive der Käfer, Schmetterlinge, Ameisen und Schnecken und staunt mit!
Dass man dabei über Eigentum und Teilhabe, für Gemeinnutz und Eigennutz, über Wunder und Unerklärliches und eingeschränkte Perspektiven nachdenken kann, ist klar. Das Staunen sollte man trotzdem nicht vergessen: es macht aus dem Alltäglichen das Besondere und selten wurde das so klar wie in diesem außergewöhnlichen Bilderbuch.
Titelangaben
Die Fan-Brüder: Es fiel vom Himmel
(It fell from the sky, 2021)
Berlin: Jacoby und Stuart 2021
56 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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