Das klingt total politisch unkorrekt: lahme Ente und blindes Huhn. Aber wenn es nun mal so ist: die Ente bewegt sich an Krücken fort, das Huhn sieht nichts. Und was daraus wird ist einfach genial, findet ANDREA WANNER.
Unterschiedlich könnten die beiden Vögel nicht sein. Die lahme Ente sitzt in ihrem Hinterhof, den sie nie, unter keinen Umständen verlässt. Ist ja auch viel zu gefährlich. Das Huhn mit seiner dunklen Sonnenbrille sieht zwar nichts, ist dafür aber durchaus unternehmungslustig. Die zwei treffen aufeinander, bzw. stolpern übereinander (das Huhn über den Krückstock der Ente) und stellen fest, dass sie durchaus Gemeinsamkeiten haben: beide sind einem Ei entschlüpft, beide haben ein Handicap.
Ist das der Beginn einer tollen Freundschaft? Es ist eher eine Zweckgemeinschaft, die die beiden schrägen Vögel bilden. Denn das Huhn hat einen Traum: es möchte an den unbekannten Ort auf der Welt, an dem der geheimste Wunsch wahr wird. Von dem Ort hat die Ente auch schon gehört. Aber wie gesagt: er ist unbekannt, also relativ schwer zu finden. Gemeinsam haben sie vielleicht eine Chance, dorthin zu gelangen.
Jörg Mühle hat die beiden Helden mit unvergleichlichem Charme treffend in Szene gesetzt: ein dickes, rotbraunes Huhn mit einer dunklen Brille mit runden Gläsern und eine schlaksig wirkende Ente mit Krückstock. Das Huhn kann ganz schön fies gucken und auch mal die Szene zeigen, Ente wirkt meist freundlich. Unterwegs geraten sie in überraschende Situationen, diskutieren und streiten, stolpern und fallen, knabbern Erdnüssen und gehen sehr unterschiedlich mit ihrem allergeheimsten Wunsch um. Während das Huhn ihn lauthals verkündet und immer wieder vergisst, trägt die Ente ihn als Geheimnis in sich.
So sind sie unterwegs, Seite um Seite, kommen sich näher – und entfernen sich wieder voneinander. Sie verblüffen einander und alle, die sich auf diese ungewöhnliche Reise einlassen. Ulrich Hub hat sich eine Geschichte ausgedacht, die neben den jungen Leserinnen und Lesern auch die Erwachsenen anspricht: tiefsinnig und klug, witzig und anrührend, zum Kringeln komisch und doch auch sehr nachdenklich und einfach schön.
Titelangaben
Ulrich Hub: Lahme Ente, blindes Huhn
Mit Bildern von Jörg Mühle
Hamburg: Carlsen 2021
96 Seiten. 13 Euro
Kinderbuch ab 8 Jahren
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