Bis auf den (eigentlich verdienten) Nobelpreis hat sie wohl alle Preise bekommen, und der wichtigste Kinder- und Jugendbuchpreis ist (sehr verdient) nach ihr benannt worden. Wenig bekannt ist, dass Astrid Lindgren auch eine der wichtigsten Verlegerinnen der Nachkriegszeit war. Eine nicht besonders gut geschriebene Biografie erzählt davon. Von GEORG PATZER
Was für ein spannendes Leben: Aufgewachsen als Kind eines Pfarrhofpächters in Vimmerby, wurde sie Volontärin bei einer Zeitung in einer Kleinstadt, hatte eine Affäre mit ihrem Chef und bekam heimlich ein Kind von ihm, den sie bei Pflegeeltern zurückließ.
Sie arbeitete als Nachfolgerin von Zarah Leander in Stockholm in der schwedischen Buchhandelszentrale, wurde Sekretärin im »Königlichen Automobil-Club«, holte ihren Sohn zu sich nach Stockholm und heiratete den dortigen Bürovorsteher. Ab 1937 war sie Stenografin für einen schwedischen Professor für Kriminalistik und ab 1940 in der Abteilung für Briefzensur des schwedischen Nachrichtendiensts. 1945 stellte der Verleger Hans Rabén sie halbtags als Lektorin für den Verlag Rabén & Sjögren ein, für den sie die Kinderbuchabteilung aufbaute und bis zu ihrer Pensionierung 1970 leitete. Ach ja, nebenbei schrieb sie viele, viele Kinder- und Jugendbücher, eines ihrer ersten heißt ›Pippi Langstrumpf‹.
Es ist hierzulande nur wenig bekannt, dass Astrid Lindgren eine der einflussreichsten Kinderbuchlektorinnen und -verlegerinnen Schwedens war. Sie hatte Glück: Direkt nach dem Krieg waren gute Kinderbücher gefragt, es gab mehrere Verlage, die gute Autoren suchten, die nicht nur romantisierende Bücher schrieben, und wie sich herausstellte, hatte Lindgren einen Riecher für qualitätsvolle Autorinnen.
Rabén & Sjögren und andere Verlage veranstalteten damals jährlich Wettbewerbe um die besten Kinderbuchmanuskripte, auch Lindgren hatte schon Preise für eingereichte Geschichten bekommen, 1944 den zweiten Preis für ›Britt-Mari erleichtert ihr Herz‹ von Rabén & Sjögren, ein Jahr später den ersten für ›Pippi Langstrumpf‹. 1944 noch hatte ›Albert Bonniers Förlag# es abgelehnt, für den Wettbewerb ein Jahr später hatte sie es noch einmal umgearbeitet.
Ein Glück auch für den Verlag
Diese Arbeit war nicht nur für Lindgren ein Glück, die vormittags an ihren Büchern arbeitete und ab 13 Uhr im Verlag saß, wo sie Manuskripte las und mit Autorinnen, Lektoren, Gutachtern, Übersetzern und Illustratorinnen sprach. Oft unternahm sie auch ausgedehnte Reisen durchs Land, um Buchhändlerinnen vom Verlagsprogramm zu überzeugen. Es war auch ein Glück für den Verlag, denn ihr Gespür für Qualität und für das, was im Buchhandel und bei den Lesern ankam, war so groß, dass sie Rabén & Sjögren vor der Pleite bewahrte, einmal abgesehen davon, dass ihre eigenen, sehr erfolgreichen Bücher dort erschienen und Geld in die Kassen spülte.
So entdeckte und förderte sie einige der heute klassischen Kinderbuchautorinnen Schwedens, allerdings ließ sie auch, wegen des finanziellen Gewinns, die Bücher von Enid Blyton in ihrem Verlag erscheinen – obwohl sie wusste, dass die von geringer Qualität waren: Sie wurde dafür auch heftig kritisiert, aber damit konnte sie die vielen Bücher finanzieren, die ihr am Herzen lagen, die auch eher die Realität von Kindern und Jugendlichen abbildete, die aber nicht so erfolgreich waren. Auch ihre Freundschaft mit Elsa Olenius, Eva von Zweigbergk und Greta Bolin half ihr und dem Verlag: Das waren die drei wichtigsten Kinderbuchrezensentinnen in Schweden, und sie saßen in allen Preisjurys.
Auch in Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg Verlage, die gute Kinderbücher herausgeben wollten. 1949 lernte Lindgren den Hamburger Verleger Friedrich Oetinger kennen, in seinem Verlag erscheinen alle ihre Werke, bis heute. Fünf andere Verlage hatten ›Pippi Langstrumpf‹, das damals sogar in Schweden umstritten war, abgelehnt (und bedauern es wahrscheinlich bis heute).
Ein Buch des schwedischen Verlegers (bei Rabén & Sjögren) Kjell Bohlund erzählt uns jetzt diese Geschichte und zeigt dabei auch auf, wie Lindgren es geschafft hat, so erfolgreich als Lektorin zu sein: Sie hatte, obwohl sie nur halbtags angestellt war, die absolute Entscheidungsgewalt in ihrem Bereich, sie hatte ein kleines Team – die meisten waren Frauen – sie band einige sehr qualifizierte, engagierte und verlässliche externe Mitarbeiterinnen an sich – die meisten waren Frauen – sie erkannte Qualität und konnte mit den Autorinnen auf Augenhöhe und sehr sachlich, aber gleichzeitig auch zugewandt diskutieren, wenn es um Änderungen der Manuskripte oder Illustrationen ging. Sehr häufig hat sie Manuskripteinsendungen nicht mit Formbriefen beantwortet, sondern ist genau auf sie eingegangen und hat mit wohlformulierten Argumenten ihre Absage gestützt. Und die Autoren gleichzeitig oft ermutigt weiterzuschreiben.
Bohlund konnte bei seinem Buch aus einem reichen Fundus an persönlichen Erzählungen, Lindgrens Tagebuch und ihren Briefen, der Verlagskorrespondenz und ihren Gutachten schöpfen, sodass sein Buch eine Fülle an Material, Anekdoten, Geschichten und Fakten bietet. Leider ist es aber nicht so gut lesbar, steif geschrieben und vor allem voller Wiederholungen, die einem das Lesen doch manchmal sehr vergällen: Wenn er zum fünften Mal immer wieder dieselben Sachen erklärt wie die niveaulose Verlagslandschaft für Kinderbücher direkt nach dem Krieg. Das ist mehr als nervig. Wenn man darüber hinweg liest, ist das Buch aber eine interessante Lektüre, die eine Seite von Astrid Lindgren zeigt, die man so noch nicht beachtet hat.
Titelangaben
Kjell Bohlund: Die unbekannte Astrid Lindgren. Ihre Zeit als Verlegerin
(Den okända Astrid Lindgren, 2018/2021), übersetzt von Nora Pröfrock
Hamburg: Oetinger Verlag 2021
224 Seiten, 20 Euro
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