Ob das ein geeigneter Blickwinkel sei, zweifelte Anne.
Er verstehe nicht, sagte Tilman.
Lässig in der Ledergarnitur zu lehnen, spottete Anne, samt Gebäck in Reichweite, und über die Apokalypse zu schwadronieren.
Er schwadroniere keineswegs, wehrte er sich, die Fakten seien bekannt, die Bilder der Katastrophen seien authentisch, Orkane, Feuersbrünste, Überflutungen, jeder wisse Bescheid, über was solle man streiten.
Als gäbe es keinen Ausweg.
Es gibt keinen Ausweg, Anne, das Leben steckt fest in den Klauen des Maschinenwesens.
Maschinenwesen hin, Maschinenwesen her, als ob daneben nichts anderes existierte.
Damit könntest du recht haben. Aber erinnere dich an die Walfänger in der Ojo de Liebre – die Einführung der Dampfschiffahrt hätte nie stattfinden dürfen, niemals, und denk an die betörende Schönheit der Windjammer, an ihre rauschenden Segel, an die überwältigende Stille bei ruhiger Fahrt am Wind und an die hohe Kunst des Kreuzens in Stürmen, das alles ruht tief in den Abgründen der Zeit, das Maschinenwesen hingegen produziert Schmutz, Ekel und Elend, es hat all das abgeräumt, es toleriert nichts und niemanden neben sich, es kennt keine Ästhetik, die Gestaltung seiner Produkte entbehrt jeglicher Phantasie.
Anne lächelte. Nur daß das nicht von jedem so einseitig wahrgenommen werde, sagte sie.
Sondern?
Sie schwieg.
Tilman schenkte Tee nach und nahm ein Vanillekipferl. Er war verärgert. Im Rückblick, wußte er, ist man immer klüger. Eine Platitude, gewiß doch, und man darf sich nicht überrumpeln lassen, die Scheinriesen der Technologie imponieren mit blendenden Angeboten, gewiß, und der Mensch ist schwach, du mußt ihnen aber auf die Schliche kommen, mußt dich verweigern, denn was sie liefern, ist primitiv, ist infantiles Niveau, cartesianisch mechanisches Denken, Einbahnstraße, und die Schäden, die sie anrichten, sortieren sie unter reparabel, das Glas ist halbvoll, Mensch und Natur, sagen sie, können instandgesetzt werden, als wären sie ein Uhrwerk, das ist ihr trügerischer Dreh, der Fortschritt wird’s richten, nein, so geht es nicht weiter, er nahm sich noch ein Kipferl.
Anne blätterte in ihrem Buch über ägyptische Nekropolen in der achtzehnten Dynastie, die Moderne stand ihr bis Oberkante Unterlippe, was für eine groteske Epoche, welch verzerrte Fratze des Lebens, deren letzte zukunftsweisende Technologie artifizielle Territorien offeriert und eine parallele Welt der Avatare entwirft, sei’s drum, man flüchtet sich ins Nirgendwo, lehnt sich zurück und wirft neugierige Blicke zurück auf die Realität – ein vernichtenderes Urteil ist schwer vorstellbar, das Post-Anthropozän werde folgen.
Man müsse aber überlegen, sagte Tilman, was das Maschinenwesen nicht leiste, seine Abläufe seien zwar lückenlos getaktet, rationalisiert, zwanghaft hochleistungsfixiert, automatisiert, sogar Strecken zwecks Nachdenkens seien eingeplant, er lachte, Muße jedoch, spottete er, Muße sei nicht planbar, keinesfalls, spontanes Handeln werde nicht organisiert, intuitives Agieren sei dem Maschinenwesen unbekannt, Instinkt sei ihm ein Fremdwort, denn das Leben müsse berechenbar sein, der Alltag kontrollierbar, der Mensch sei nahtlos in die Produktionsabläufe gefügt, die Dinge griffen ineinander wie Zahnräder und würden rasant beschleunigt, Spielraum gleich Null.
Der Mensch hingegen müsse durchatmen, sagte Tilman, tief durchatmen, daß er Raum gewinne für neue Gedanken, herausfinde aus dem Hamsterrad, ein Moratorium einlege, auf das Bremspedal trete, sich herausschleiche aus den sich überstürzenden Innovationen, damit er den eigenen Standort neu beschreibe.
Anne nickte zustimmend und lächelte.