›Des Teufels General‹ und der ›Hauptmann von Köpenick‹ gehörten über lange Zeit für viele Gymnasiasten zum Unterrichtsstoff und waren Evergreens auf den deutschsprachigen Theaterbühnen. Die große Zeit des Dramatikers und Erzählers Carl Zuckmayer scheint vorbei zu sein, seine Stücke stehen nur noch vereinzelt auf den Spielplänen, seine Bücher werden kaum noch nachgefragt. Warum? Kommt der Schriftsteller Zuckmayer heute zu volkstümlich, zu wenig intellektuell daher? Von PETER MOHR
»Ich glaube nicht an Hass als produktive Kraft«, hat er einmal sein eigenes dichterisches Credo formuliert. Tatsächlich finden sich in allen Werken (ob Bühnenstücke oder Prosaarbeiten) durchgängig versöhnende Untertöne. Zuckmayer, der nach Harmonie strebende Mensch, schwang sich – im Gegensatz zu vielen seiner dichterischen Zeitgenossen – nicht zum politischen Moralisten auf. Carl Zuckmayer, der heute* vor 125 Jahren im rheinhessischen Nackenheim (15 km südlich von Mainz) als Sohn eines Kleinfabrikanten geboren wurde, hat sich schon als pubertierender Jüngling mittels der elterlichen Bibliothek mit Literatur beschäftigt – mit den Werken von Gerhart Hauptmann, Henrik Ibsen und Hugo von Hofmannsthal. Doch der Mainzer Gymnasiast blieb auch von den damaligen Zeitströmungen nicht unbeeinflusst und notierte nach der Lektüre von Ernst Stadler und Georg Trakl: »Der Expressionismus wirkte auf mich wie ein Sturmwind oder eine Schneeschmelze.« Eine ähnliche innerliche Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit dokumentiert auch sein Studienverhalten nach der Rückkehr von der Westfront. Zuckmayer studierte in Heidelberg Philosophie, Kunstgeschichte, Soziologie und Biologie – wahllos und ohne akademischen Abschluss im Visier.
In dieser Zeit entstand sein erstes Bühnenstück »Der Kreuzweg«, ein durchweg expressionistisches Stück, das bei seiner Uraufführung 1920 in Berlin durchfällt. Rastlos zog Zuckmayer umher, nach Norwegen, nach Kiel, wo er einige Zeit als Dramaturg einer festen Anstellung nachging und nach München, wo er Bertolt Brecht kennenlernte, unter dessen Einfluss im Frühjahr 1924 das Stück ›Pankraz erwacht‹ vollendet wird.
Gemeinsam gingen beide als Dramaturgen ans Deutsche Theater nach Berlin. Ihre künstlerischen und privaten Wege trennten sich zwar bald, dennoch hat der von Brecht inspirierte Wechsel nach Berlin für Zuckmayer richtungsweisenden Charakter. Hier lernte er den Regisseur Heinz Hilpert kennen, der den »Pankraz« im Februar 1925 uraufführte und über Jahrzehnte hinweg ein ständiger künstlerischer Begleiter und Mentor Zuckmayers wurde.
Der große Durchbruch gelang noch im gleichen Jahr mit der Uraufführung des ›Fröhlichen Weinbergs‹, für den Zuckmayer später mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. Während selbst der damalige spiritus rector der Theaterkritik, Alfred Kerr, das Stück lobte, »weil Zuckmayer das Theater vor dem hemmungslosen Literaturmist rettet, vor dem sabbernden Chaos«, brach in der Öffentlichkeit – vor allem in Zuckmayers rheinhessischer Heimat – ein Sturm der Entrüstung aus. Die biederen Bauern und Kleinbürger aus dem Mainzer Umland fühlten sich von Zuckmayers Mundart-Stück verunglimpft.
Zwei Jahre später kam ebenfalls in Berlin der noch heute wohlbekannte, aber kaum gespielte ›Schinderhannes‹ auf die Bühne: Die Lebensgeschichte des Räuberhauptmannes Johannes Bückler, der in der napoleonischen Zeit im Hunsrück sein Unwesen trieb, die Reichen ausplünderte und die Armen beschenkte. Ein Stoff, der sich nur schwerlich für die Bühne inszenieren lässt und den uns Gerd Fuchs 1987 in Romanform noch einmal ins Gedächtnis brachte.
Die sich verändernden politischen Verhältnisse in Deutschland sorgten dafür, dass Zuckmayer 1931 nach der Uraufführung des ›Hauptmann von Köpenick‹ (wieder unter der Regie von Heinz Hilpert, und später u.a. mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle kongenial verfilmt) ein scharfer Wind entgegen blies. Das NSDAP-Blatt ›Völkischer Beobachter‹ geißelte das Stück als »Rinnsteinliteratur«, und Zuckmayer wurde erstmals öffentlich als »Halbjude« stigmatisiert.
Das Stück um den straffällig gewordenen Schuster Wilhelm Voigt, der in einer gekauften Uniform als »falscher Hauptmann« eine ganze Kleinstadt in Aufruhr versetzt, entlarvt schonungslos den typisch-preußischen Obrigkeitsgehorsam, die Irrationalität der deutschen Bürokratie und den noch heute bestehenden, anscheinend undurchdringbaren Teufelskreislauf aus Arbeitslosigkeit, Straffälligkeit und Wohnungslosigkeit.
Über Österreich, die Schweiz und Kuba emigrierte der von den Nazis mit einem Aufführungsverbot belegte Zuckmayer in die USA, wo er zunächst als Dozent an Erwin Piscators »dramatic workshop« und später als Drehbuchautor für Warner Brothers arbeitete. 1941 zog es ihn aus New York auf eine Farm nach Vermont, die er erst 1958 endgültig verließ. Die Abgeschiedenheit – nahe der kanadischen Grenze – gab ihm Ruhe, Kraft und Zuversicht, um sich wieder seiner literarischen Arbeit widmen zu können. Bert Brecht, der ihn 1942 besuchte, notierte: »Mit dir kann man lachen, auch wenn es nichts zu lachen gibt.« Was Brecht nicht wissen konnte: Zu dieser Zeit beschäftigte sich Zuckmayer bereits tatsächlich mit einer äußerst ernsten Idee – mit dem Entwurf zum ›Teufels Generals‹.
Entstanden war der Gedanke durch eine kleine Meldung über den Absturz des deutschen Fliegergenerals Ernst Udet in einer amerikanischen Zeitung. Zuckmayer erinnerte sich an sein Berliner Treffen mit Udet 1936, als ihm dieser gestand: »Ich bin der Luftfahrt verfallen. Ich kann da nicht mehr raus, aber eines Tages wird uns alle der Teufel holen.« So wurde in mehr als zweijähriger Arbeit aus Udet der General Harras für das Bühnenstück, das 1946 mit sensationellem Erfolg in Zürich (abermals durch Heinz Hilpert) uraufgeführt wird.
»Wenn man ein Drama schreibt, sind seine Figuren keine Prinzipienträger, sondern Menschen, die handeln und leiden, ihren Weg suchen oder ihn verfehlen«, hat Zuckmayer »Des Teufels General« selbst zu erklären versucht. Zuckmayer stellte den aktiven Widerstand und die passive Duldung des Unrechts nebeneinander, ohne für eine der beiden Figuren entscheidend Partei zu ergreifen.
1958 siedelte Zuckmayer nach seiner langen Vermonter Zeit ins Schweizer Bergdorf Saas-Fee über, wo er bis zu seinem Tod am 18. Januar 1977 als hochgeschätzter Ehrenbürger lebte. »Jeder Tag, den ich nicht in Saas-Fee verbringe, ist nur ein halber Tag«, berichtete Zuckmayer in seiner äußerst lesenswerten, 1966 erschienenen und über eine Million Mal verkauften Autobiographie »Als wär’s ein Stück von mir.«
Überhaupt scheint die Prosa bei der Bewertung des Oeuvres bisher allzu stiefmütterlich behandelt worden zu sein, denn auch einige Erzählwerke verdienen eine abermalige Lektüre. So der 1938 vollendete und 16 Jahre später von Axel Korda verfilmte Roman »Herr über Leben und Tod«: die Geschichte eines Chirurgen und eines Landarztes, zwischen denen eine Frau steht-
Ähnlich derb und volkstümlich wie im ›Fröhlichen Weinberg‹ geht es in der Erzählung »Der Seelenbräu« (1945) zu, die im Salzburger Land angesiedelt ist (er lebte einige Zeit in Henndorf) und in der ein erbitterter Kampf zwischen dem »Seelenbräu« (Pfarrer) und dem »Leibesbräu« (Besitzer einer ortsansässigen Brauerei) thematisiert wird. Weit weniger humorvoll geht es in der 1959 erschienenen ›Fastnachtsbeichte‹ zu. Es dreht sich alles um einen mysteriösen Mord im hektischen Mainzer Fastnachtstreiben. Zuckmayer präsentierte darin eine bis dahin völlig unbekannte Facette seines Talents: den psychologisierenden Erzähler, der einen weiten Spannungsbogen auszulegen versteht.
Die Erfolge seiner späten Theaterstücke (›Das kalte Licht‹, 1955; ›Die Uhr schlägt eins‹, 1961; ›Kranichtanz‹, 1967 und ›Der Rattenfänger‹, 1975) hielten sich zwar in Grenzen, doch die zahlreichen Auszeichnungen genoss Zuckmayer in vollen Zügen (u.a. Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, Heinrich-Heine-Preis, Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik). Mit besonderem Stolz hielt er 1959 im Deutschen Literaturarchiv in Marbach die Festrede zu Schillers 200. Geburtstag.
»Wo immer ich gelebt habe, ob in Salzburg, bei den österreichischen Bauern, ob in Amerika mit den Farmern in Vermont, ob in der französischen Schweiz mit Leuten, mit denen man französisch sprechen muss, ob jetzt im deutschen Oberwallis, ich spreche immer mainzerisch, und überall werde ich verstanden«, hatte Zuckmayer rückblickend auf sein Leben an den wechselnden Schauplätzen beschrieben.
Sein unprogrammatisches Erfolgsrezept bestand darin, dass er stets den Menschen (mit all seinen Stärken und Schwächen) und nicht die ihn umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse in den Vordergrund rückte. So gebührt ihm als volkstümlicher Philanthrop und begnadeter Humorist, als Dichter sui generis ein vorderer Platz im Kanon der deutschsprachigen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Jetzt an den langen Winterabenden in unserem turbulenten Alltag gerade die richtige Zeit um die Werke (liegen bei S. Fischer als Taschenbücher vor) dieses warmherzigen Dichters (wieder) zu entdecken.
Die Gemeinde Henndorf (20 km nordöstlich von Salzburg) hat ihre Geburtstagsausstellung wegen der Covid-Entwicklung bis Mai 2022 verlängert
Rund um seinen letzten Wohnort Saas-Fee sind inzwischen mehrere Carl-Zuckmayer-Wanderwege eingerichtet worden
Die in seiner Geburtsgemeinde Nackenheim für den 27. Dezember geplante Gedenkveranstaltung ist wegen der Covid-Entwicklung abgesagt worden
| PETER MOHR
| Abbildung: Bundesarchiv, Bild 146-2005-0008 / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 146-2005-0008, Carl Zuckmayer, CC BY-SA 3.0 DE