Es ist nicht das erste und bitte, hoffentlich nicht das letzte Buch von David Zinn. Besser als alles andere vertreiben seine kleinen Outdoor-Kunstwerke schlechte Laune, trübe Gedanken, ja, ganz im Gegenteil, sie zaubern in Sekundenschnelle mindestens ein spontanes Lächeln in Gesichter und mehr, meint BARBARA WEGMANN.
Wäre es nicht so arg weit, ich würde nach Michigan fliegen und an einem der Workshops teilnehmen, die David Zinn in Sachen Kreidekunst anbietet. Nein, nein, nicht, dass man glaubte, jemals jene Fähigkeiten zu erreichen, aber einmal dabei sein, wenn dieses Genie zur Kreidefarbe greift. Zwei Jahrzehnte war der Amerikaner als Werbeillustrator tätig, bis die Kreide ihn endgültig gefangen nahm, und alles fing dabei schon so früh an.
In seinem Vorwort verrät Zinn Details aus seiner Kindheit, erzählt von der Zappeligkeit, die er und sein Bruder als kleine Kinder gern an den Tag legten, wenn sie mit den Eltern unterwegs waren. »Jedes Mal, wenn mein Bruder und ich in der Öffentlichkeit laut wurden, riss mein Vater zwei leere Seiten aus dem Notizblock, den er immer in seiner Hemdtasche mit sich herumtrug, und legte sie vor seine Kinder, daneben je einen Kugelschreiber.« Der Vater habe seine Ruhe gehabt, schreibt Zinn, und er und sein Bruder seien regelrecht aufgegangen in den kleinen Kunstwerken.
Mittlerweile malt David Zinn verrückte Figuren zum Verlieben auf Bürgersteigen, an Mauern, in U-Bahnhöfen, an Straßenlaternen und auf Pflastersteinen, in Hausecken oder auf Straßen in aller Welt. »Zufällige Begegnungen oder der Himmel unter unseren Füßen.« So schreibt er, und in der Tat, das ist es: kleine Geschöpfe, Männchen, tanzende Mäuse, winzige Gnome, kleine Eichhörnchen oder Roboter, Drachen, Katzen, Echsen, Schildkröten oder Eulen. Fantasie oder ganz real, ganz egal, vielleicht ja auch außerirdisch, diese kleinen Wesen bezaubern und bei ihrem Anblick ist man geradezu schockverliebt. Der ganz spezielle Zauber und das so Besondere dabei: All diese in den Bann ziehenden kleinen Kunstwerke suggerieren eine abenteuerliche und so völlig unvermutete Dreidimensionalität, gaukeln dem Betrachter vor, dort sei ein Raum, eine Tiefe, ein Leben hinter einer Betonwand, dabei ist doch alles plan und eben.
Zinn bezieht kleine Unkräuter, die zwischen Betonsteinen wachsen mit in seine Zeichnungen ein, sie werden zu krausen Haaren von Fantasiegebilden, zu stattlichen Bärten oder dem zierlichen Ballettröckchen einer kleinen Maus. Ein Gulli bildet mit seinen Eisenstreben den Körper eines Kraken. Ein Kopf mit großen Augen und langen Fangarmen, fertig ist ein Tier, das Aufmerksamkeit auf sich zieht und einen schnöden Gulli völlig vergessen lässt. Bilder, die graue Hauswände vergessen lassen, eintönige Pflasterungen zu völlig neuem Leben erwecken, Bilder und kleine Wesen, die so voller Liebenswürdigkeit, voller Witz und Charme stecken, die man aufheben und mitnehmen möchte. Und vor allem: die man bewahren möchte.
Aber hier ist der große Haken: »Du kannst nicht behalten, was du geschaffen hast.« Sicher, es gäbe zwar Tricks, die Lebensdauer von Kreidezeichnungen etwas zu verlängern, schreibt Zinn, aber »irgendwann wird sie unweigerlich verblassen und verwischen, deshalb ist es schlicht einfacher, sich von ihr zu verabschieden.«
Zinn ist ein spannender Künstler, der sein Kindsein nicht vergessen hat und es als unglaublich kreativen Schatz hütet. Der gleichzeitig eine logische, philosophische und konsequente Stellung zu seiner Kunst bezieht. »In Ermangelung einer Vergangenheit und einer Zukunft können sich meine Zeichnungen und ich uns ganz auf unsere kurze gemeinsame Gegenwart konzentrieren … Für mich persönlich ist das gelungenste Symbol der Vergänglichkeit unserer Existenz, wenn der Regen oder ein Kleinkind deine harte Arbeit zerstört.«
Für ihn sei seine Arbeit auf der Straße so, als ginge er zur Post oder zum Supermarkt, schildert der sympathische Streetart-Künstler. Eben normal, mit wenig Planung. Aber zwischen den Zeilen schwingt die Hoffnung, dass »jemand über seine Bürgersteigkreationen stolpert, staunt und sich über das, was er sieht, freut.« Was für eine Faszination kann vergängliche Kunst haben!
Titelangaben
David Zinn: Street Art
Prestel Verlag
160 Seiten, 18 Euro
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