Alles ist so einfach, wenn man sich schreibt. Das Gegenüber anonym, die Fantasie blüht. Doch was geschieht mit der Magie, wenn man sich gegenübersteht? Von MONA KAMPE
Emmi wartet. Seit zehn Monaten. Auf eine E-Mail von Leo. Sein Postfach ist inaktiv, so der Systemadministrator. Was ist passiert? Lebt er noch? Und wenn, kann er ihr nicht verzeihen, dass sie zu ihrem Treffen nicht erschien?
Emmi und Leo waren E-Mail-Freunde. Wie der Zufall es wollte, schrieben sie sich wochenlang intensiv Nachrichten. Ihre Welt voller Vorstellungen, Hoffnungen und Träume – eine willkommene Ablenkung zu der Realität, in der alles wenig glamourös schien. Dann endlich die Verabredung. Doch zu einer Begegnung kam es nicht. Seitdem Funkstille.
Plötzlich blinkt Emmis Postfach, Leo hat geschrieben. Er war geschäftlich in Boston und hat jemanden kennengelernt! Pamela! Ob er einem letzten Treffen zustimme? Ja – auf einen Kaffee im Messecafé Huber. Nur eine Stunde. Nur um das Geheimnis endlich zu lüften, sich nicht zu fragen, was wäre, wenn. Kommen sie? Beide? Allein? Und wenn, dann …? Emmi ist noch immer verheiratet, Leo vergeben. Zwei Schreibfreunde testen die Wellen.
Die siebte Welle wirft ihre Schatten voraus
Dies ist keine gewöhnliche Liebesgeschichte. Sie schlägt Wellen – von der Tiefe der Tastaturtasten bis zum Strahlen auf dem Gesicht des Nachrichtenempfängers. Von den sanft tippenden Fingern bis zur Berührung des Handrückens. Von einer Person, die einem alles gibt oder auf einen Wellenschlag alles nimmt. Man springt kopfüber hinein, taucht unter und wartet, bis die Brandung ruht. Aber Vorsicht: Stille Wasser sind bekanntlich tief!
So müssen Emmi und Leo das Wasser austesten, Zeh um Zeh, um nicht einzusinken, in die Strömung gezogen zu werden. Und wenn sie kommt, dann reißt sie sie mit – aus ihrem Leben, hinein in dessen Abgründe. Die komplizierte Realität, die im virtuellen Raum so weit weg schien. Hier gibt es Verpflichtungen statt Träume, Beziehungen und Missverständnisse.
In der Fortsetzung seines Bestsellers ›Gut gegen Nordwind‹ führt Daniel Glattauer seine Protagonisten wieder zusammen und stellt ihre E-Mail-Romanze auf die Alltagsprobe. Und so schwimmen Sandra Kiefer und Stephan Arweiler in blauem Mondschein auf indigofarbenen Blüten über die Bühne des kleinsten Theaters Hamburgs und stellen sich ›Alle sieben Wellen‹. Ihre Chemie ist großartig. Das Publikum feiert die winzigen Gesten, den charmanten Witz und die knisternden Annäherungen. Jede Welle trägt sie. Und alle warten: auf das Happy End. Doch der Wind dreht sich. In die andere Richtung. Für immer? Lars Ceglecki macht es gewohnt spannend. Seine Bühne lebt von kleinen Details, schlichter Impression und Alltäglichkeit. Das macht sie so eindrucksvoll. Alle fühlen mit.
Alles war so einfach, als sie sich nur schrieben. Sie träumten. Bis die siebte Welle sie mitriss. Sie hebt sie hoch hinaus oder verwäscht ihre Spuren im Sand.
| MONA KAMPE
| Foto: Foto: PATRICK BIEBER
Titelangaben
Alle sieben Wellen
Theater das Zimmer Hamburg
Mit: Sandra Kiefer und Stephan Arweiler
Regie & Bühne: Lars Ceglecki