Wieviel Trost und Hoffnung im Lauf der Jahreszeiten, im unaufhaltsamen Wandel der Natur verborgen liegt, können wir alle erfahren. ›Frühling wird es sicher wieder‹ verkündet zuversichtlich der Maler, Grafiker und Fotograf David Hockney mit seinen Bildern aus der Normandie und im angeregten Austausch mit seinem Freund, dem Kunstkritiker Martin Gayford. Von INGEBORG JAISER
Ein sattgoldener Sonnenaufgang über den Hügeln. Blühende Weißdornhecken hinterm Haus. Wolkenschichten in zartem Orange und Violett. Ein pointillistisch anmutendes Blütenmeer im April, farbenprächtig überquellend. Wohl dem, der die Zeiten des Rückzugs in einer inspirierenden Umgebung verbringen kann, um gestärkt, angeregt und mit frischen Impulsen zu neuen Projekten aufzubrechen. Auch David Hockney hat die glücklichen Umstände des Landlebens genutzt.
Frühling in der Normandie
Im fortgeschrittenen Alter von über 80 Jahren erwirbt der britische Maler und Grafiker ein bäuerliches Anwesen im Norden Frankreichs, bestens geeignet für ein »Bohemeleben mit etwas Komfort«. Dass bei ihm ein Ortswechsel nie aus purer Lust und Laune heraus geschieht, sondern häufig eine neue Schaffensperiode einläutet, zeigen seine vielgestaltigen Werkphasen. Doch der ursprüngliche Plan, bereits 2019 die Ankunft des Frühlings in der Normandie zu malen, lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht realisieren. So verschiebt sich das Projekt um ein weiteres Jahr. Um in der erzwungenen Isolation während der Covid-19-Pandemie in einem wachsenden Bilderzyklus zu münden. ›Frühling wird es sicher wieder‹ berichtet von diesem berauschenden, begeisterten Aufbruch David Hockneys, aus der Sicht von und im Dialog mit seinem langjährigen Freund Martin Gayford.
Moderne Freilichtmalerei
Als David Hockney das jahrhundertealte normannische Bauerngehöft »La Grande Cour« zu einem Atelier umgestalten lässt und das angrenzende Land zum erweiterten Arbeitsraum ernennt, kann er bereits auf eine 60jährige Künstlerkarriere mit vielseitigen Werkperioden zurückblicken. Seine ikonischen Poolbilder markieren Meilensteine der modernen Kunstgeschichte, seine Werke erzielen Preise in Millionenhöhe. Aber das hält den unbeirrten Nonkonformisten nicht davon ab, weiterhin ganz unprätentiös seinen eigenen Weg zu gehen. In der Wahl seiner Mittel jedoch immer state-of-the-art. Während er sich manchen Modeerscheinungen und Trends hartnäckig widersetzt (»Heute tragen alle diese Sportklamotten. […] Ich nicht, ich habe keine Jeans.«), benutzt er ganz selbstverständlich ein iPad zum Malen, kurvt mit dem Toyota-Truck über sein weitläufiges, vier Hektar großes Anwesen und kommuniziert via FaceTime.
Gerade das iPad als neues künstlerisches Arbeitsinstrument eröffnet David Hockney ungeahnte Möglichkeiten: schnell und unmittelbar, ohne den mühsamen Aufbau von Staffelei und Malutensilien, unabhängig vom Wetter und Temperaturen, entstehen so in drei Monaten über 100 Bilder des aufkeimenden Frühlings. Eine begeisterte Vermessung von Landschaft und Natur. Der im Prestel-Kunstbuchverlag erschienene Band präsentiert zum Teil zuvor noch unveröffentlichte Zeichnungen und Gemälde Hockneys, aber auch zahlreiche Werke der Kunstgeschichte, die als Grundlage, Inspirationsquelle, Referenzen dienen – von van Gogh bis Picasso, von Monet bis Munch.
Ansteckender Enthusiasmus
Doch noch beeindruckender als David Hockneys Schaffenskraft sind sein ungebrochener Enthusiasmus, seine nicht zu bremsende Neugier und Begeisterungsfähigkeit. Der »Lockdown im Paradies« wird getragen von einem unerschütterlichen Optimismus über den Lauf der Dinge und den Wandel der Jahreszeiten, der sich im Originaltitel dieses Buches noch viel deutlicher offenbart: ›Spring cannot be cancelled‹. Der opulente, mit über 140 Abbildungen reich illustrierte Band (auch wenn man sich die Darstellungen teilweise etwas großformatiger gewünscht hätte) bietet einen profunden Einblick in David Hockneys Schaffen und sein Alterswerk. Kunstkenner und Naturliebhaber werden gleichermaßen ihre Freude daran haben.
Titelangaben
David Hockney, Martin Gayford: Frühling wird es sicher wieder
David Hockney in der Normandie
München: Prestel 2022
280 Seiten, 28,- Euro
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