Die allgemeine Konfusion verdichte sich, nicht wahr, man müsse sich eine gehörige Portion Argwohn bewahren, sagte Tilman und griff nach einem Vanillekipferl.
Farb schenkte Tee ein.
Der Planet sei heruntergewirtschaftet, die Dinge würden unaufhaltsam bröckeln, sagte er, der Status quo werde allerorten unzureichend oder falsch erklärt, und niemand wundere sich noch über ungewöhnliche Perspektiven.
Tilman warf einen Blick hinaus auf das Gohliser Schlößchen.
Der Umgang mit der eigenen Sprache, sagte er, sei das Fundament des Alltags und der Kultur, niemand dürfe das geringschätzen, durch gewalttätige Eingriffe wie die Rechtschreibreform der neunziger Jahre jedoch schwinge sich der Mensch zum Herrn auf, der Lieblingsfigur des homo sapiens, und er habe wie stets nicht die geringste Idee, wie sehr er damit Unfrieden stifte.
Sprache, sagte Farb, sei ein empfindsames Gewächs, störungsanfällig, und bedürfe sorgfältiger Pflege.
Die Rechtschreibreform, sagte Tilman, sei zwar Jahr um Jahr in wesentlichen Bereichen wieder zurückgenommen worden, jedoch ohne daß jemand die Verantwortung übernommen oder für den Fehltritt Reue gezeigt hätte – eine Peinlichkeit sei in aller Stille unter den Teppich gekehrt worden.
Versuche, die Sprache obrigkeitsstaatlich zu regulieren, sagte Farb, habe es viele gegeben, zu allen Zeiten.
Aktuell jedoch gehe es um weit mehr, selbst einem wenig aufmerksamen Beobachter könne nicht entgehen, daß sich das Fundament auflöse, verstehst du, als mutiere der Planet zu einem Krematorium, da seien Kräfte am Werk, die man nicht unterschätzen dürfe, rätselhafte Kräfte, massiv zerstörerisch, am Gendern lasse sich trefflich verfolgen, wie ein Keil in eine Gemeinschaft getrieben werde.
Übermut? Eine triumphalistische Geste des Feminismus, ein destruktiver Reflex, ein Ventil für Überdruß?
Tilman lächelte. Das sei zwar charmant formuliert, aber zu einfach gedacht, erwiderte er und griff zu einem Keks.
Farb lehnte sich zurück.
Er zweifle daran, sagte Tilman, daß die nüchternen Erklärungsmuster der Moderne der Komplexität all dieser Symptome gerecht würden, das Leben sei nicht mit Logik erklärbar, die Kategorien der Informationsgesellschaft erfassen nur Oberfläche.
Dünnbrettbohrer?
Möglich, ja.
Und welche Kräfte sind es, die den Zerfall der Sprache betreiben?
Niemand will das, stell dir auch das vor wie einen Rausch, der uns in seinen Bann geschlagen hat, wir wissen nicht, was wir tun.
Lust an der Zerstörung, ist es das?
Das mag man so sehen, Farb, es ist so etwas wie eine Massenhysterie, nur daß sie bei der Sprache nicht immer offen zutage tritt, Regelverstöße geben sich originell, man wandelt auf einem schmalen Grat, sie gelten sogar als schick, es sind subversive Prozesse, autoaggressiv, gern mit coolem Anstrich versehen, man biedert sich bei Protestströmungen an.
Das hat System?
Wie gesagt, ein Rausch.
Droge?
Gewiß auch Droge, jedoch klärt das nicht die Hintergründe.
Keine klaren Verhältnisse? Wer oder was steckt denn nun dahinter?
Wir werden uns wohl oder übel an den Gedanken gewöhnen müssen, daß dämonische Kräfte existieren und, wie es so schön heißt, ihr Unwesen treiben, denn vieles ist mit Vernunft einfach nicht zu erklären.
Dein Ernst?
Mein Ernst, sicher, sagte Tilman, rückte mit dem Sessel näher zum Couchtisch und bemühte sich um eine schmerzfreie Sitzhaltung.
Wir müssen umdenken, sagte er, und ja, er wisse selbst nicht, wie damit umzugehen sei, woher denn auch, jedenfalls sei es keine Lösung, vermutlich betroffene Subjekte hinzurichten, so klug sei man hoffentlich geworden.
Schwierig, sagte Farb und nahm sich einen Marmorkeks.