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Grönland

TITEL | Textfeld: Wolf Senff: Grönland

Sie reden vom Klimawandel, sagte Farb, und schwadronieren von seinen angeblich positiven Seiten.

Die USA haben die Insel käuflich erwerben wollen.

Ein schlechter Witz, spottete Farb, in welchen Zeiten leben wir.

Es gab sogar wiederholte Angebote.

Sie firmiert als größte Insel des Planeten, Tilman, ist zu achtzig Prozent mit einem Eisschild bedeckt, schmale Küstenstreifen sind besiedelt, doch die Temperaturen steigen und Eis schmilzt, Bodenschätze werden vermutet, seltene Erden, jeder sucht seltene Erden, da herrscht kein Mangel an Investoren.

China, die USA, Rußland – und Grönland, 2,2 Mio km², geopolitsch begehrt, umfaßt eines der größten Landgebiete der Arktis, die Konkurrenz ist wachsam, auch Norwegen und Kanada zählen als Anrainer der Arktis, man kämpft mit harten Bandagen.

Die Eisschmelze gibt Land frei, das bebaut und bewohnt werden kann,  Bodenschätze werden besser zugänglich, Zeit ist Geld, ein groß angelegtes Projekt amerikanischer Investoren sucht an der Westküste nach Vorkommen von Kupfer und Nickel.

Von heute auf morgen.

Goldgräberstimmung – Jeff Bezos, Bill Gates, Michael Bloomberg, wer einen Namen hat, ist dabei.

Nur vom feinsten, Tilman, das Kapital streckt seine Fühler aus, diese Leute wissen, wo Bartel den Most holt.

Die Insel gehört zu Dänemark, sagte Anne, das macht die Dinge kompliziert, und wahrscheinlich ist das gut so, sechsundfünfzigtausend Einwohner, die ihre politische Bindung an Dänemark lockern wollen, ein Referendum entschied mit großer Mehrheit, über die künftige Beziehung wird nun nachgedacht.

Ein geopolitisches Machtpoker steht zu erwarten.

Tilman rückte ein Stück zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Farb griff zu einem Keks und warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.

Niemand solle glauben, es werde ein Wunschkonzert, sagte  Anne, null Aufbruchsstimmung, sie lügen einander in die Tasche, ein erbitterter Verteilungskampf um eine verbliebene, nicht ausgeplünderte Region zeichne sich ab.

Farb trank einen Schluck Tee und blickte nachdenklich auf den zierlichen Drachen.

Zur Zeit, sagte Anne, spreche nichts für eine friedfertige Lösung, zumal wenn Rußland beteiligt sei, es herrsche gewalttätige Auseinandersetzung, es herrsche Krieg, kein Zentimeter Boden werde preisgegeben, das Motto sei alttestamentarisch Auge um Auge, Zahn um Zahn, das sei kein positives Signal für Grönland.

Die Geschichte der Kriege sei lang und häßlich, sagte Farb, und da Waffen produziert würden, ergänzte er, würden sie auch eingesetzt, in welchen Zeiten leben wir.

Tilman räusperte sich, er war verärgert, wo man hinsehe, werde aufgeregt dahergeschwätzt, viel Hektik, viele Worte, breaking news, die Medien überböten einander, während es aber gelte, sagte er, Ruhe zu bewahren in einer Situation, in der sowieso schon Krieg propagiert und aufgerüstet werde, man müsse sich besinnen, müsse abrüsten, schloß er.

Anne griff zu einem Keks und legte ihr Buch beiseite.

| WOLF SENFF

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Das werde sich wie von selbst erledigen, sagte Tilman, kein Grund sich aufzuregen, eine monströse Blase sei im Begriff zu platzen, im günstigsten Fall halbwegs geräuschlos zu platzen, seht hin, und mir nichts, dir nichts sei die Luft heraus, so etwas gehe schnell heutzutage.

Meine Güte, sagte Farb und tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

›Follower‹ nennen sie sich und ›Influencer‹, spottete Annika, und ob sie ›Follower‹ hätten, fragte sie Tilman und Farb, nein, woher denn, sie wisse das nicht, außerdem seien diese Zeiten längst wieder vorbei, fügte sie hinzu, der Wind habe gedreht, nur daß die es gar nicht gemerkt hätten, sie hielten fest an ihrer Spaßgesellschaft, ich will immer auf dich warten.

Farb lachte. Die Zeiten seien halt schnellebig, sagte er, die Trends würden gewechselt wie die Socken, sagte er, jeder Weg hat mal ein Ende, eben noch waren die Trends medial aufgeblasen und seien doch aus der Welt gefallen, ehe man sich’s versah, ein Wimpernschlag, seien rückstandsfrei zurück geblieben, verloren, als ob es sie nie gegeben hätte, und täglich werde eine neue Sau durchs Dorf getrieben.

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