Zwischen Grätsche und Abseits

Roman | Frank Goosen: Spiel ab

»Ich habe zwar auch an der Verklärung mitgeschrieben, aber immer versucht, das ironisch zu brechen«, hatte Frank Goosen vor einigen Jahren über seine Rolle als »Ruhrgebiets-Autor« in einem Interview erklärt. Der 56-jährige Goosen war einst mit seinem Partner Jochen Malmsheimer als kabarettistisches Tresenleser-Duo zu respektabler Popularität gelangt und hatte erst relativ spät zur Literatur gefunden. Dann startete er aber mit seinem später erfolgreich verfilmten Romandebüt Liegen lernen (2001) sofort richtig durch. Das Ruhrgebiet ist für den Bochumer nicht nur Heimat, sondern auch gleichzeitig stets Handlungsschauplatz der eigenen Werke. Von PETER MOHR

Nun hat Goosen die aus seinen Vorgängerwerken bekannten Figuren Förster, Fränge und Brocki reaktiviert und sie vor eine ebenso reizvolle wie nervenaufreibende Aufgabe gestellt. Sie wollen eine Jugendfußballmannschaft trainieren. Gastronom Fränge hat seine Beziehung gegen die Wand gefahren und hegt nun Schuldgefühle gegenüber seinem kickenden Sohn Alex. Fußball als Kitt für das zerbröselnde Familienglück? Mit Brocki und Förster will Fränge die C-Jugendmannschaft seines Sohnes vor dem Abstieg retten.

Frank Goosen, der einige Jahre dem Aufsichtsrat des VfL Bochum angehörte, ist leidenschaftlicher Fußballfan und war selbst einige Jahre als Jugendtrainer im Verein seiner Söhne tätig. Goosens Fußball-Vokabular ist authentisch, sowohl das der Kommunikation auf dem Platz als auch das vom Spielfeldrand.

Dieser von Dialogen getragene Roman will unendlich viel – die Faszination des Fußballs erklären, Gemeinschaftsgefühl im Mannschaftssport miterleben lassen, Marotten pubertierender Kicker beschreiben und auch etwas Fußball-Nostalgie transportieren. Der Romantitel Spiel ab hat programmatischen Charakter und impliziert ein Plädoyer für den Teamgeist und gegen die Individualisten.

Hier geht es absolut hemdsärmelig zu, nichts für Feingeister. Die Trainer leiden mit ihren Schützlingen, eine wahre emotionale Achterbahnfahrt. Die Herausforderungen des Trainer- und Vereinslebens, die Begegnung mit spleenigen Eltern und überforderten Schiedsrichtern, die Gefühlsaubrüche zwischen Grätsche und Abseits: Goosen kennt dieses Metier der verwaisten Fußballplätze der kleinen Vereine. Er weiß, wovon er schreibt und versprüht eine Art Ruhrpottcharme mit Schienbeinschonern. Nicht-Fußballfans und Nicht-Ruhrpöttler werden sich mit diesem Roman jedoch schwer tun.

Die multikulturelle C-Jugendmannschaft sieht sich häufig auch mit rassistischen Auswüchsen konfrontiert. Goosen (und somit auch seine drei Trainer) lässt den Jugend-Kickern bei der Lösung des Problems freien Lauf. »Ich bin kein Schlappschwanz und kein Opfer«, stellt Alim klar. Und sein Mitspieler Mostafa fordert die Mannschaft auf: »Wir gehen raus und machen die fertig!«

Frank Goosens Spagat zwischen Fußball-Romantik und martialischem Imponiergehabe der Jugendlichen fehlt es an der nötigen sprachlichen Balance. Dialoge und erzählerische Passagen unterscheiden sich kaum im Tonfall. Man schmunzelt an der einen oder anderen Stelle bei der Lektüre von Spiel ab, aber der Roman bleibt in Gänze ohne wirklichen Nachhall.

| PETER MOHR

Titelangaben
Frank Goosen: Spiel ab!
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2023
333 Seiten. 23 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Mehr zu Frank Goosen in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Welt mit richtigen Augen sehen

Nächster Artikel

Kaputt in Hollywood

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Heißer Sommer

Roman | Johannes Groschupf: Berlin Heat

Johannes Groschupf hat die Handlung seines neuen Berlin-Thrillers ein wenig in die Zukunft verschoben. Man findet sich, wenn das Buch, das im Frühjahr erschien, beginnt, bereits im Sommer 2021 wieder. Die Corona-Pandemie scheint vorbei und Hunderttausende versuchen schnell nachzuholen, was ihnen in anderthalb Jahren der staatlichen Reglementierung ihres Lebens verboten war. Mittendrin: Groschupfs Held Tom Lohoff, Anfang 30, spielsüchtig, pleite und gleich in zwei Frauen verschossen. Er könnte sich in der hitzigen Atmosphäre vor der Bundestagswahl einfach mittreiben lassen, feiern, das letzte Jahr einfach vergessen und leben mit allem, was dazugehört. Doch er braucht Geld. Und so lässt er sich auf einen Deal ein, der ihm mehr als nur unruhige Nächte beschert. Von DIETMAR JACOBSEN

Von Tod und Tofu

Roman | Christine Lehmann: Allesfresser Lisa Nerz ohne ihre berühmte Lederjacke? Da muss etwas ganz Besonderes geschehen sein. Ist es auch: Im Internet wird zum Mord aufgerufen. Tod denen, die töten! Denn: »Tiere zu essen ist nicht weit vom Kannibalismus entfernt.« Und warum sollte der, der den Tod von Millionen Kreaturen gutheißt, nicht ebenfalls über den Jordan geschickt werden? Christine Lehmann ist mit ihrem elften Lisa-Nerz-Krimi wieder ein provokantes Stück Literatur gelungen. Nach seiner Lektüre schaut man die Fleischpakete im Supermarkt jedenfalls mit anderen Augen an. Von DIETMAR JACOBSEN

Für Zuckerwatte und hungernde Kinder

Roman | Ross Thomas: Der Messingdeal Und weiter geht es mit der Ross-Thomas-Reihe im Berliner Alexander Verlag. Band 14 heißt Der Messingdeal und ist im Original 1969 unter dem Titel The Brass Go-Between erschienen. Zum ersten Mal taucht hier bei Thomas der weltläufig-gebildete »Mittelsmann« Philip St. Ives als handelnde Figur auf. Sein Erfinder hat ihm bis 1976 dann noch vier weitere Abenteuer gegönnt. Alle fünf St. Ives-Fälle erschienen übrigens zunächst unter dem Pseudonym Oliver Bleek – vielleicht um den Eindruck zu vermeiden, hier schriebe einer seine Bücher inzwischen gar zu routiniert herunter. Von einem Qualitätsabfall gegenüber dem Rest des Werks

Schwein auf Schwejk

Roman | Vladimir Sorokin: Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs Géza Jasnodworski kocht. Doch nur für die, die es sich leisten können. Denn Géza brutzelt und brät über bibliophilen Erstausgaben. Schnitzel über Schnitzler. Steak auf Joyce. Und Stör auf Dostojewski. Denn niemand liest mehr in der gar nicht so fernen Zukunft, in die Vladimir Sorokin den Leser in seinem neuen Roman entführt. Stattdessen plündert man die Bibliotheken und Museen für ultimative Geschmacksevents. Allein die Konkurrenz der neuen Starköche schläft nicht. Und kommt mit einem Produkt auf den Markt, das Géza und den Seinen das Wasser abzugraben droht. Von DIETMAR JACOBSEN

Apokalypse in Texas

Roman | James Lee Burke: Glut und Asche Auf Anhieb hat es James Lee Burke 2015 mit Regengötter auf den ersten Platz/international des Deutschen Krimi Preises geschafft. Die Geschichte um den texanischen Sheriff Hackberry Holland und seinen psychopathischen Widersacher, Preacher Jack Collins, überzeugte die Jury durch ihre Archaik und eine Sprachgewalt, die noch dem kleinsten Ereignis eine schicksalhafte Bedeutung zu geben verstand. Nun, in Glut und Asche, ist Hackberry Holland zurück und hat sich im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko gleich mit einer ganzen Reihe von durchgeknallten Gewalttätern auseinanderzusetzen. Von DIETMAR JACOBSEN