Der Papst ist tot – es lebe die Intrige

Roman | Robert Harris: Konklave

Wer ist oben, wer ist unten in der Welt? Wer hat die Macht, wer lechzt nach ihr und wer fällt ihr zum Opfer? Das sind Fragen, die Robert Harris von jeher interessieren. Und er kleidet sie in bunte, abenteuerliche Gewänder, erfindet zwischen ihren Trägern – ob sie nun im faschistischen Deutschland, im alten Rom oder im stalinistischen Russland agieren – spannende Konflikte und verkauft das Ganze an Millionen Leser in aller Welt. Robert Harris’ ›Konklave‹ – eine Besprechung von DIETMAR JACOBSEN

Konklave von Robert Harris
Diesmal, in ›Konklave‹, tragen seine Protagonisten die vorgeschriebene feierliche Kleidung für Kardinäle bei einer Papstwahl. Aber unter Talar, Mozetta, Birett und Pileolus, hinter freundlichen Gesichtern, abgeklärten Gesten und weisen Worten wird eiskalt kalkuliert und intrigiert, hintergangen und verraten.

Jacopo Lomeli als Dekan des Kardinalskollegiums der römisch-katholischen Kirche obliegt es, nach dem Tode des bisherigen Papstes, das Konklave zur Wahl des ihm nachfolgenden Kirchenoberhaupts zu organisieren und zu leiten. Der über 70-jährige, gelegentlich schon ein wenig gebrechlich wirkende, Kardinalbischof von Ostia ahnt von Anfang an, dass es diesmal nicht so leicht werden wird, 118 Würdenträger aus aller Welt – zur Überraschung der meisten von ihnen kommt sogar noch ein einundertneunzehnter Stimmberechtigter hinzu – dahin zu bringen, einem der Kandidaten, die sich und die ihnen Wohlgesonnenen schon im Vorfeld der Wahl eines neuen Papstes wirkungsvoll in Stellung gebracht haben, zu der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im entscheidenden Wahlgang zu verhelfen.

Habemus Papam

Robert Harris (Jahrgang 1957) hat in den Mittelpunkt seines neuen Romans das Ritual gestellt, mit dem nach einem genau festgelegten Zeremoniell in der römisch-katholischen Kirche seit Jahrhunderten ein neues Oberhaupt bestimmt wird. Da sich dieser Vorgang, die Versammlung der wahlberechtigten Kardinäle zur Wahl des Bischofs von Rom, der gleichzeitig die Kirche als Papst leitet, hinter verschlossen Türen abspielt – conclave bedeutet im Lateinischen so viel wie »verschlossener Raum« –, die Öffentlichkeit also erst durch den weißen Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle sowie dem anschließenden Läuten der Glocken des Petersdoms vom Wahlerfolg erfährt, tun sich hier für einen Realität und Erfindung geschickt miteinander verknüpfenden Schriftsteller wie Harris Räume auf, die er erfindungsreich besetzen kann.

Und so findet sich der Leser über dreieinhalb Hundert Seiten neben Kardinal Lomeli mitten in einem Geschehen wieder, von dem er üblicherweise vollständig ausgeschlossen ist. Und vom ersten Moment an besteht für ihn nicht der geringste Zweifel: Wenn es um die Macht geht, ähnelt selbst die Versammlung von über einhundert seriösen Kirchenmännern einem Schlangennest. Es wird sich gegenseitig belauert, man wartet auf die Schwächen und Fehler der Konkurrenz, bindet die eigenen Bataillone durch Versprechungen an sich und scheut auch nicht davor zurück, seine Interessen mittels Verleumdung und raffiniert eingefädelten Intrigen durchzusetzen.

Hinter verschlossenen Türen

Allein dafür, dass alles am Ende doch noch einen guten Ausgang nimmt, die Intriganten bestraft werden und ein Mann an die Spitze der katholischen Kirche gelangt, von dem man wahre Veränderungen erwarten darf, gibt es ja den unbestechlichen Lomeli. Der hat, wie der Detektiv im Kriminalroman, ein Gespür für die fiesen Tricks, mit denen einige der Topkandidaten arbeiten.

Während er die Versammlung von einem Wahlgang zum nächsten lenkt, scheut er weder den persönlichen Affront noch Mittel, die jenen seiner Gegner gar nicht so unähnlich sind, um Schaden von der Kirche abzuwenden. Dass seine eigenen Chancen, zum nächsten Oberhaupt der Kirche gewählt zu werden, dabei ebenfalls automatisch steigen, nimmt er billigend in Kauf. In welch unverhoffte Richtung das Wahlbarometer schließlich ausschlagen wird, ahnt freilich auch er nicht.

Harris lässt in ›Konklave‹ kaum ein Problem aus, das die katholische Kirche in der Gegenwart umtreibt. Korrupte Diener des Herrn, die sich von Kirchengeldern prächtige Wohnsitze bauen. Der Ausschluss der Frauen von zahlreichen Kirchenämtern. Unterdrückte Sexualität und Missbrauchsskandale weltweit. Das alles ist so spannend und erzählerisch routiniert aufbereitet, dass es die terroristischen Anschläge, die gegen Ende des Romans Rom und die Mauern der Vatikanstadt erschüttern, eigentlich gar nicht mehr gebraucht hätte, um die Leser bei der Stange zu halten. Denn Spannung geht auch ohne Action, wenn man als Autor über die Begabung verfügt, tief in die Widersprüche des menschlichen Hoffens und Sehnens einzutauchen.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Robert Harris: Konklave
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
München: Wilhelm Heyne Verlag 2016
352 Seiten. 21,99 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Letters I’ve written …

Nächster Artikel

Wortreiche Zeiten

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Die unendliche Bedeutungslosigkeit des Seins

Roman | Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit Milan Kundera zeigt in seinem neuesten Roman ›Das Fest der Bedeutungslosigkeit‹, dass er dem Ruf, einer der bedeutensten zeitgenössischen Romanciers Europas zu sein, mehr als gerecht wird. Die Erkenntnisse, an denen er VIOLA STOCKER teilhaben ließ, zeugen von großer Weisheit und Gleichmut des Alters. All der Zorn, der ihn als Ausgeschlossenen verfolgt hatte, scheint verflogen und seine traurige Komik gipfelt im Bild des französischen Bauern Stalin, der es nicht mag, wenn Genosse Kalinin Statuen französischer Königinnen anpinkelt.

Ein modernes Künstlerleben

Roman | Markus Orths: Max In seinem jüngsten Roman ›Max‹ beleuchtet der deutsche Schriftsteller Markus Orths die privaten, künstlerischen und politischen Wechselfälle des Malers, Grafikers und Bildhauers Max Ernst. Von BETTINA GUTIÉRREZ

Was ist ein Leben in Reichtum wirklich wert?

Roman | Elena Chizhova: Die Terrakottafrau Was macht ein gutes Leben aus: Es ist nur das Geld? Oder spielen Freundschaft, Familie und ein reines Gewissen eine größere Rolle? Und wie wichtig ist Freiheit? Elena Chizhova stellt in ihrem Roman ›Die Terrakottafrau‹ die ganz großen Fragen. Es ist ein tiefgründiges Werk über Gewissen und Moral und über die Entscheidung, wen man sehen möchte, wenn man in den Spiegel blickt. Es geht um die Kraft der Literatur, um Familie und Freundschaft und die Vermischung von beidem, und es geht um Geld. Beziehungsweise um die Frage, welche Opfer man dafür zu bringen bereit

Raus aus dem Stedtl

Debüt | Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse Mit seinem witzigen Debüt Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse leistet der Schweizer Thomas Meyer nicht nur einen Beitrag zur Verständigung zwischen den Religionen. Er gibt vor allem ein kurioses Beispiel für die Anziehungskraft zwischen Männern und Frauen. Meyer erzählt hier die Geschichte eines jungen orthodoxen Juden, der sich trotz mütterlicher Überwachung auf der Suche nach seiner eigenen Identität macht. Und wie immer bewahrheitet sich die Weisheit: Der Weg ist das Ziel. Von HUBERT HOLZMANN

Fantasievolle und heitere Erzählkunst

Roman | Gabriel Garcia Márquez: Hundert Jahre Einsamkeit In Deutschland wurde der kolumbianische Schriftsteller und Journalist Gabriel García Márquez mit seinem Roman Hundert Jahre Einsamkeit, der jetzt in einer Neuübersetzung vorliegt, bekannt. Aber auch andere Werke von ihm zählen zu einer allseits beliebten Lektüre. Von BETTINA GUTIÈRREZ