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Trauen darf man wirklich keinem

Roman | Garry Disher: Moder

»Plane fürs Optimum, erwarte das Schlechteste, beachte die Fluchtwege«, ist nach wie vor Wyatts Devise. Garry Dishers Gangster ohne Vornamen, aber mit Überzeugungen hat sich in seinem neunten Abenteuer in Sydney niedergelassen. Mit heißen Tipps für gewinnbringende Coups versorgt ihn der im Gefängnis sitzende Sam Kramer bei seinen Freigängen. Dafür kümmert sich Wyatt um dessen Familie. Bis die gut funktionierende Tour eines Tages schiefgeht und ein paar andere von Wyatts nächstem Coup Wind bekommen. Von DIETMAR JACOBSEN

Wyatt, Garry Dishers Gangster ohne Vornamen, ist nahezu ungreifbar: »ein Chamäleon, sozial gesehen«. Das merkt auch der Afghanistan-Veteran Marty Welsh, der sich nach seiner Rückkehr vom Hindukusch als Privatermittler in Sydney niedergelassen hat. Von seinem windigen Army-Kumpel Nick Lazar, inzwischen Chef einer Sicherheitsfirma und Freizeit-Rockstar, auf den Mann angesetzt, der so etwas wie eine Privatbank für die Familie Kramer darstellt, deren Oberhaupt Sam im Gefängnis sitzt und dort Pläne schmiedet, die Wyatt dann durchzieht, muss er erst einmal passen. Keine Spur von dem Mann, dem nichts wichtiger ist als die eigene Sicherheit und der einem Ort sofort den Rücken zukehrt, sollte ihn dort ein ungutes Gefühl beschleichen. Doch Lazar braucht dringend Geld und deshalb geben er und sein alter Freund nicht so schnell auf.

Sozial gesehen ein Chamäleon

In Moder, Garry Dishers neuntem Wyatt-Roman, sind wie immer viel zu viele scharf auf nur eine Beute. Und weil natürlich niemand ans Teilen denkt, ist Stress von Anfang an vorprogrammiert. Den hat außer Lazar und Welsh vor allem Jack Tremayne, der mittels fieser Finanztricks – mit dem nach dem italienischstämmigen US-Amerikaner Charles Ponzi (1882-1949) benannten Betrugssystem hat er Scharen blauäugiger Anleger um ihr Erspartes gebracht – ein kleines Vermögen angehäuft hat. Inzwischen ist der Mann allerdings in den Fokus von Polizei und Finanzaufsicht geraten. Und weil sein Kompagnon bereits hinter Gittern sitzt und die Zahl seiner Freunde kontinuierlich abnimmt, wird ihm der Boden in der nördlich von Sydney gelegenen Stadt Newcastle langsam, aber sicher zu heiß.

Da ist es nur gut, dass noch eine eiserne Reserve von einer knappen Million in Geld, Wertpapieren und Schmuck gut versteckt für ihn bereitliegt. Die könnte ihm den Neuanfang irgendwo anders auf der Welt mit Sicherheit erleichtern. Doch weil sein Kumpel im Gefängnis geplaudert hat, wissen nun nicht nur Wyatt über seinen Informanten Sam Kramer, sondern auch noch ein paar andere giergetriebene und vor nichts zurückschreckende Zeitgenossen von der stattlichen Rücklage.

Kampf um die eiserne Reserve eines Betrügers

Disher ist ein wahrer Großmeister im Verknüpfen von Handlungsfäden. Wie viele Themen er auch anschlägt, immer schafft er es, sie alle geschickt miteinander zu verknüpfen. Und so begeben sich auch in Moder wieder etliche Personen an den Start eines Rennens, dessen Zieleinlauf dann nur noch die wenigsten erleben. Hinterhältige Freunde des Betrügers Tremayne, seine um etliche Jahre jüngere Ehefrau, die es versteht, sich mit geheuchelten Liebesversprechen eine vorteilhafte Position im Kampf um die Million zu sichern, ein Rechtsverdreher, der dieser unfreundlichen Umschreibung seines Berufsstandes alle Ehre macht, sowie ein paar grünschnäbelige Ganoven, deren Weg sich dummerweise mit dem des Flüchtenden kreuzt – sie alle versuchen, den Mann aufs Kreuz zu legen und um sein Restvermögen zu erleichtern.

Letzteres strebt natürlich auch Wyatt an. Doch ist er zu raffiniert und vorsichtig, um sofort aufs Ganze zu gehen. Denn Garry Dishers mit allen Wassern gewaschener Held hat gemerkt, dass ihm bei seinem aktuellen Vorhaben jemand auf den Fersen ist, der sich auch mit den raffiniertesten Ablenkungsmanövern nicht abschütteln lässt. Diesem hartnäckigen Ermittler, Detective Sergeant Greg Muecke, sind vor geraumer Zeit Gemeinsamkeiten bei einer Reihe von Einbrüchen an der australischen Ostküste aufgefallen. Und das hat ihn auf den im Gefängnis sitzenden Sam Kramer aufmerksam werden lassen und auf den Gedanken gebracht, dass der Inhaftierte als unauffälliger Tippgeber für einen äußerst intelligenten Kompagnon fungieren könnte. Erst einmal so weit, kommt Muecke Wyatt tatsächlich gefährlich nahe, obwohl der – als Vogelkundler getarnt, »akkurat gekämmt, mit Brille und einem entwaffnenden Lächeln« – sich so unauffällig wie möglich verhält, als er die Gegend rund um den Wohnort Tremaynes ausspioniert.

Kriminelle Geschäfte im Grenzland wechselseitigen Respekts

Wyatt und Muecke – zwei einander durchaus ebenbürtige Männer, freilich auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes stehend. Aber man bewegt sich »im Grenzland wechselseitigen Respekts zwischen Kriminellen und Cop«. Während der eine versucht, den anderen abzuschütteln, um sich endlich dem Schatz von Jack Tremayne widmen zu können, und der andere sich müht, seine Vorgesetzten von der Wichtigkeit seiner Ermittlungen zu überzeugen, spitzen die Dinge sich immer weiter zu. Ganz ohne Schrammen kommen am Schluss weder Dishers Held noch sein hartnäckiger Verfolger aus der Geschichte heraus. Dass aber Wyatt wieder einmal das bessere Ende für sich hat, ist fast erleichternd. Denn über die Jahre ist einem der Bursche richtig ans Herz gewachsen.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Garry Disher: Moder
Ein Wyatt-Roman
Übersetzt aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Berlin: Pulp Master 2021
302 Seiten. 14,80 Euro
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