Wyatt und die Raubkunst

Roman | Garry Disher: Hitze

Wyatts achter Auftritt führt ihn an die australische Goldküste im Osten des Landes. In dem kleinen Urlauberörtchen Noosa, nördlich von Brisbane, versucht Garry Dishers krimineller Held, sich bzw. seine Auftraggeberin in den Besitz eines Gemäldes aus dem 17. Jahrhundert zu bringen. Die Nazis haben das Bild einst für das von Hitler in Linz geplante Museum einer jüdischen Industriellenfamilie abgegaunert. Nun will Hannah Sten, Nachkommin der einstigen Besitzer, das Bauern bei der Feldarbeit zeigende Kunstwerk zurückhaben. Von DIETMAR JACOBSEN

Inzwischen hängt es an der Wand von Thomas Ormerod , Sohn eines in den 50er Jahren aus England nach Australien ausgewanderten und dort vor ihrem Tod zu Reichtum gekommenen Ehepaars. Kein Problem für einen Mann wie Wyatt, sollte man denken. Doch der Job konfrontiert ihn mit einer Handvoll Menschen, von denen jeder seine eigenen Pläne mit dem Gemälde hat.

Siebenmal hat Garry Disher (Jahrgang 1949) seinen Helden ohne Vornamen bisher auf Raubzüge geschickt. Meistens von einer kleinen Crew handverlesener Typen umgeben – doch wirklich Verlass war nie auf die. Deshalb braucht Wyatt auch in Hitze nicht lange, um einem Job den Rücken zu kehren, der ihm in Melbourne angeboten wird. Zu grün hinter den Ohren scheinen die drei Typen zu sein, die einen Geldtransport überfallen wollen und dazu ihn und einen seiner alten Kumpel angeheuert haben.

Da nimmt er dann schon lieber einen Auftrag an, den ihm David Minto – Anwalt, Bauunternehmer, Börsenspekulant und überhaupt eine große Nummer an der Gold Coast nördlich von Brisbane – vermittelt hat. Aus einem nachlässig gesicherten Haus in dem stark von Touristen frequentierten Ort Noosa soll er für eine israelische Auftraggeberin ein flämisches Gemälde aus dem siebzehnten Jahrhundert entwenden. Und damit altes Unrecht, das der Familie Sten einst von den Nazis angetan wurde, wiedergutmachen.

Held ohne Vornamen

Weil Wyatt – Disher-Leser wissen es aus den vorangegangenen sieben Bänden nur zu gut – ein überaus vorsichtiger Mann ist, nähert er sich dem Auftrag sowie der Auftraggeberin und dem Vermittler erst einmal aus der Distanz. Und merkt schnell, dass bei dem eigentlich als One-Man-Show geplantem Job mehr Leute mitzumischen gedenken, als ihm lieb sein kann.

Da ist vor allem David Mintos verführerische Nichte Leah Quarrell, zwielichtige Immobilienmaklerin und tief verstrickt in allerlei kriminelle Aktivitäten. Ihr zur Seite der Ex-Polizist Alan Trask, der sich aktuell mit kleinen Detektiv-Jobs über Wasser hält, Leah verfallen ist und gelegentlich auch einmal als ihr Mann fürs Grobe in Erscheinung treten muss.

Aber auch Wyatts Auftraggeberin Hannah Sten ist auf eine Art und Weise undurchschaubar, die sie durchaus gefährlich erscheinen lässt. Und der Anwalt, den sie aus den USA mit an die australische Ostküste gebracht hat, damit er ihre Interessen dem aktuellen Besitzer des Bildes gegenüber vertritt, ist keineswegs, wie jeder denkt, nach dem Scheitern seiner Mission wieder nach Hause zurückgekehrt, sondern wartet gut versteckt auf die Gelegenheit, seine eigenen Pläne mit dem millionenschweren Kunstwerk in die Tat umzusetzen. Angehörige einer Motorradgang und ein Mann, der glaubt, mit Wyatt noch eine Rechnung aus jüngster Vergangenheit offen zu haben, tun ein Übriges, damit es ziemlich bald nach Wyatts Ankunft im Urlaubsparadies ziemlich ungemütlich wird.

Vertrauen Fehlanzeige

Mit Hitze tritt Garry Disher ein weiteres Mal den Beweis an, dass er weltweit zur ersten Liga der Autoren von Spannungsliteratur zählt. Vom ersten – »Es lief jetzt schon nicht rund.« – bis zum letzten Satz – »Das war so ziemlich der beste Ausgang, den er erwarten konnte – in seiner Branche und weit weg von zu Hause.« – hat er seine Geschichte im Griff. Nichts, kein Schauplatz, keine Figur, keine Wendung der Erzählung, ist überflüssig. Geschickt werden die einzelnen Handlungsfäden miteinander verknüpft und ein Meister der raffinierten Dialoge ist Disher sowieso. Dass er für die, die solche Entdeckungen mögen, auch noch eine kleine Referenz an seinen zuletzt im Zürcher Unionsverlag erschienenen Roman Kaltes Licht eingebaut hat, sei nur am Rande vermerkt.

Eigentlich handelt es sich bei der zentralen Figur von Hitze ja um einen Mann, der für Jahre hinter Gitter gehörte. Aber das vergisst man schnell bei der Lektüre. Denn fast will es so scheinen, als wäre der Gangster Wyatt von all den verschlagenen, hinterhältigen und selbst für den kleinsten Vorteil skrupellos über Leichen gehenden Menschen, die sein Erfinder in diesem Roman aufmarschieren lässt, noch derjenige, dem man am ehesten vertrauen könnte. Schon seltsam, wie sympathisch Kriminelle manchmal sind. Und ganz und gar nicht verwunderlich, dass man am liebsten, kaum hat man das Buch zugeschlagen, mit Wyatts nächstem Abenteuer – unter dem Titel Moder hat es der Pulp Master Verlag bereits für nächstes Jahr angekündigt – weitermachen würde.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Garry Disher: Hitze
Ein Wyatt-Roman
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller
Berlin: Pulpmaster 2019
278 Seiten, 14,80 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sehr fremde Sprachen

Nächster Artikel

Wo ist das Fleisch in der Suppe?

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Die Wut der Väter, die Melancholie der Mütter

Roman | Martin Becker: Die Arbeiter

Die Arbeiter rackern sich »den Arsch aus der Hose«, hoffen auf zehn Richtige im Lotto und kämpfen sich bis dahin mit reichlich Schnaps, Zigaretten und allzu fettem Essen durch die Mühsal der Tage. Mit seinem neuen Roman errichtet Martin Becker ein literarisches Denkmal für ein aussterbendes Milieu, eine scheinbar verschwundene Klasse, ungeschönt und ohne falsche Melancholie. Von INGEBORG JAISER

Kuckuckskinder

Roman | Mick Herron: Spook Street

Die »Slow Horses« um ihren ungehobelten Chef Jackson Lamb, vom normalen Karriereweg beim englischen Inlandsgeheimdienst MI 5 ausgeschlossene Frauen und Männer, bekommen mal wieder Arbeit. In einem Einkaufszentrum im Westen Londons tötet eine mitten am Tag explodierende Bombe 42 Jugendliche. Kurz darauf bekommt einer von Lambs Leuten, River Cartwright, Ärger mit seinem pensionierten Großvater. Der war vorzeiten die Nummer 2 des MI 5. Inzwischen etwas trottelig geworden, weiß er sich trotzdem noch zu wehren und erschießt kurzerhand einen Mann, der sich mit dem Enkeltrick bei ihm einschleichen will. Aber was hat der aus Frankreich kommende und dem jungen Cartwright zum Verwechseln ähnlich sehende Bursche mit dem Anschlag in der Westacres Shopping Mall zu tun? Und wieso müssen Jackson Lambs lahme Gäule aus der »Loser-Absteige« erneut alles riskieren, um sich und ihr Land vor einer Gefahr zu schützen, die ihre Vorgänger einst heraufbeschworen haben? Von DIETMAR JACOBSEN

Die im Licht und die im Dunkeln

Horst Eckert: Die Stunde der Wut

Horst Eckerts Leser – und das werden offenbar immer mehr – kennen Melia Adan bereits aus dem letzten Roman des Düsseldorfer Autors Im Namen der Lüge (2019). Da arbeitete die Mittdreißigerin allerdings noch für das nordrhein-westfälische Landesamt für Verfassungsschutz und war beteiligt an der Aufdeckung einer rechten Verschwörung. Dass an den Plänen des weit verzweigten Netzwerks, das mit Terroranschlägen einen Regierungswechsel provozieren wollte, auch Leute aus den eigenen Reihen beteiligt waren, die anschließend ungeschoren davonkamen, desillusionierte Melia allerdings, so dass sie den Arbeitsplatz wechselte. Zu Beginn von Die Stunde der Wut fungiert sie deshalb als Leiterin der Kriminalinspektion 1 des Polizeipräsidiums Düsseldorf. In dieser Position ist die frischgebackene Kriminalrätin auch die Vorgesetzte des für Tötungsverbrechen zuständigen KHK Vincent Veih, den Eckert bereits viermal in seinen Romanen auftreten ließ. Und wieder müssen die beiden viel riskieren, um einen Fall, dessen politische Dimensionen von Tag zu Tag deutlicher werden, aufzuklären. Von DIETMAR JACOBSEN

Schwimmen in Montauk

Roman | Jakob Augstein: Strömung

In Montauk geht es nicht weiter. Nur zurück oder hinaus aufs Meer. An jenem magischen Ort, das östlichste Dorf auf Long Island, das seit Max Frischs autobiografischer Erzählung auch fest in der Literaturgeschichte verankert ist, lässt Jakob Augstein seinen Romanerstling Strömung enden. Von PETER MOHR