/

Der Mann im Dunkeln

Roman | Jacob Ross: Shadowman

Nach Die Knochenleser (Suhrkamp 2022) ist Shadowman der zweite ins Deutsche übertragene Roman von Jacob Ross. Erneut stehen die jungen Polizisten Michael »Digger« Digson und Kathleen Stanislaus im Mittelpunkt. Und es geht um viel, nämlich um ihrer beider Karrieren, die auf dem Spiel stehen, nachdem Miss Stanislaus den Mann, der sie im Alter von 14 Jahren brutal vergewaltigte, erschossen hat. Muss sie deshalb ihren Dienst quittieren? Oder gelingt es ihr mit Diggers Hilfe, den Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen und nachzuweisen, dass sie in Notwehr gehandelt hat und nicht aus schlichter Rachsucht? Von DIETMAR JACOBSEN

Es ist nicht leicht, auf der (fiktiven) Karibikinsel Camaho Polizist zu sein. Das haben die auf unkonventionellem Weg zur Truppe gekommenen Officers Michael »Digger« Digson und Malan Greaves, aus denen ihr Vorgesetzter, Detective Sergeant Chilman, eine Spezialeinheit geformt hat, bereits in Jacob Ross‘ Debütroman Die Knochenleser (deutsche Ausgabe 2022 ebenfalls bei Suhrkamp) erleben müssen. Korruption bis in die höchsten Regierungsämter hinauf, Vetternwirtschaft und Machismo behindern ihre Arbeit im Dienste der Gerechtigkeit. Und weil die Schießeisen hier gewöhnlich locker sitzen und das Vertrauen der örtlichen Bevölkerung in die vom Staat eingesetzten Ordnungshüter nicht gerade groß ist, spielt nicht zuletzt mit seinem Leben, wer dem Gesetz vor Ort zur Achtung verhelfen will.

Sechs Wochen für einen Unschuldsbeweis

Letzteres hat auch Kathleen Stanislaus, Chilmans taffe Tochter, längst begriffen. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen Digson, dem Forensiker der kleinen Truppe, mit dem sie sich von Anfang an gut verstanden hat, geht sie allerdings nie ohne Waffe vor die Tür. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, denn als 14-jähriges Mädchen wurde Kathleen Opfer einer brutalen Vergewaltigung. Der Mann, der ihr das antat, Juba Hurst, kam damals allerdings straffrei davon. Statt hinter Gefängnismauern zu landen, durfte er seine »Karriere« als Furcht und Schrecken verbreitender Gangster weiter ausbauen, so dass es inzwischen kaum noch jemand wagt, sich mit dem menschlichen Fleischberg anzulegen.

Bis zu dem Tag, an dem sich Juba vor der Mündung von Kathleens Revolver wiederfindet. Dass sie den verhassten Mann und Vater ihrer Tochter nur erschossen hat, um das eigene Leben und das von Michael Digson vor dem wütenden Gangster zu schützen, nimmt man ihr danach freilich nicht ab. Und so muss sich Digger aufmachen, um seine Kollegin aus einem Schlamassel, der sie mehr als nur ihren Job kosten könnte, herauszuboxen. Dass man ihm gerade einmal sechs Wochen Zeit für dieses Unterfangen gibt, macht die Sache nicht einfacher. Und eigentlich müssten er und seine Kollegen sich auch um die Leute kümmern, die zur selben Zeit dabei sind, eine neue Route für Südamerikas Drogen Richtung Europa auszubauen und die vor keiner Gewalttat zurückschrecken, wenn es darum geht, die Interessen ihrer Auftraggeber durchzusetzen.

Eine Sondereinheit in Nöten

Jacob Ross, 1956 auf Grenada geboren und seit 1984 im Vereinigten Königreich lebend, hat mit seinem zweiten Kriminalroman Shadowman erneut einen Coup gelandet. Das Buch knüpft nahtlos an Ross‘ 2020er Thriller-Debüt Die Knochenleser – von renommierten britischen Blättern unter die besten Bücher des Jahres gewählt – an. Die karibische Herkunft des Autors spielt in allen seinen Büchern – außer den Thrillern veröffentlichte der auch noch als Mitherausgeber von Literatur- und Kunstzeitschriften tätige Ross noch von der Kritik hochgelobte Erzählsammlungen, Gedichte, Theaterstücke und einen bisher nicht ins Deutsche übersetzten ersten Roman aus Jahr 2008 – eine große Rolle. Das sorgt für die Authentizität des Erzählten, ohne dass die Exotik seiner Schauplätze die vielfältigen Probleme der einzelnen Romanfiguren in den Hintergrund drängen würde.

Denn Digger und Miss Stanislaus sind wahrlich nicht zu beneiden. Da sind Kollegen, die sich lieber bestechen lassen als ehrlich ihrer Arbeit als Ordnungshüter nachzugehen und die nicht hinter den Berg halten mit ihrem latenten Hass auf ein Ermittlerpärchen, das ehrlich bleiben will. Da ist ein Malan Greaves, so schnell mit dem Mund wie mit dem Revolver, dem Digger häufig misstraut und der dennoch Momente hat, in denen er wie ein guter Freund handelt. Da ist Diggers Liebesleben, in dem einiges gerade durcheinandergerät, weil Kathleen Stanislaus viel besser zu ihm zu passen scheint als Dessie Manille, die anspruchsvolle Tochter aus einer der reichsten Familien der Insel, geschieden von einem Bankmanager, der weiterhin versucht, ihr das Leben schwer zu machen. Und da ist nicht zuletzt der junge Jonathan Rayburn, den Ross‘ Held bei seinen Ermittlungen auf der Insel St. Andrews kennenlernt, aus einer unterprivilegierten Familie stammend, intelligent, witzig und mit großen Plänen für die Zukunft, dem Digger zu helfen sich müht, wie das einst Miss Stanislaus Vater für ihn getan hat.

Die Karibik als Thrillerschauplatz

Mit seinen Romanen präsentiert Jacob Ross eine Welt, die auf der Landkarte der ins Deutsche übersetzten internationalen Kriminalliteratur bis dato noch ein relativ unbeschriebenes Blatt darstellt: die Karibik. Und er verleiht dieser Gegend beileibe nicht nur exotische Qualitäten, sondern rückt soziale und mentale Konflikte, wie sie die Antillen bis heute beherrschen, in den Mittelpunkt. Machismo, Korruption, die Neigung zu Gewalt als alleinigem Konfliktlösungsmittel und die dubiose Rolle, die die Kirche dabei spielt – dies alles ist Bestandteil seiner Romane. Mit einer ordentlichen Prise Action gemixt, interessanten Figuren, denen es nicht an Individualität mangelt, und einem brisanten Plot als Transportmittel ergibt das Lesestoff, der fesselt, unterhält und bildet zugleich.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Jacob Ross: Shadowman
Aus dem karibischen Englisch von Karin Diemerling
Berlin: Suhrkamp 2023
462 Seiten. 16,95 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Auf der Suche nach dem Vater

Nächster Artikel

Grenzüberschreitungen

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Zehn Tage für die Jagd auf einen Mörder

Roman | Jo Nesbø: Blutmond

Nach seinem letzten Fall ist Harry Hole wieder einmal aus Oslo verschwunden. Nichts hielt ihn mehr in der Heimat nach der Ermordung seiner Frau und dem Freitod eines zwielichtigen Kollegen und ehemaligen Freundes. Doch nach wie vor wird der Mann gebraucht, wenn es die heimische Polizei mit einem Serientäter zu tun bekommt. Und so wundert es auch nicht, dass Hole nach der brutalen Ermordung zweier junger Frauen plötzlich wieder da ist. Aber er arbeitet diesmal nicht für die Osloer Polizei, sondern im Auftrag jenes Mannes, den Ermittlungsorgane und Presse für dringend verdächtig halten, die beiden Frauen getötet zu haben. Und Hole hat noch dazu wenig Zeit. Denn in Los Angeles hat er ein Versprechen gegeben, das er unbedingt zu halten gedenkt. Von DIETMAR JACOBSEN

Für Zuckerwatte und hungernde Kinder

Roman | Ross Thomas: Der Messingdeal Und weiter geht es mit der Ross-Thomas-Reihe im Berliner Alexander Verlag. Band 14 heißt Der Messingdeal und ist im Original 1969 unter dem Titel The Brass Go-Between erschienen. Zum ersten Mal taucht hier bei Thomas der weltläufig-gebildete »Mittelsmann« Philip St. Ives als handelnde Figur auf. Sein Erfinder hat ihm bis 1976 dann noch vier weitere Abenteuer gegönnt. Alle fünf St. Ives-Fälle erschienen übrigens zunächst unter dem Pseudonym Oliver Bleek – vielleicht um den Eindruck zu vermeiden, hier schriebe einer seine Bücher inzwischen gar zu routiniert herunter. Von einem Qualitätsabfall gegenüber dem Rest des Werks

Rufschädigend

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Der Irre Iwan (MDR), Neujahrstag, 20.15 Uhr »Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?« – »Dreiundsechzig, nein, entschuldigen Sie, zweiundsechzig. Ich hatte Frau Kleinert noch mitgezählt!« Korrekt gezählt ist unverzichtbar, und Sie merken schon, dieser Film will witzig sein, das könnte ja ein wertvoller Vorsatz sein, und kühler Witz, klug gehandhabt, kann jeden ›TATORT‹ bekömmlich würzen. Von WOLF SENFF

Auf anspruchsvollem Niveau

Film | TATORT – Eine andere Welt (WDR), 17. November Soll man anfangen mit den Peinlichkeiten Fabers (Jörg Hartmann), die uns befristet aufregen dürfen, bis wir uns am Zügel einer souveränen Regie (Andreas Herzog) hinreichend aufmerksam, erleichtert gar, der Handlung zuwenden? Hm. Ebenso überzeugend ist die Idee, Bildfolgen von Nadine Petzokats (Antonia Lingemann) Mobiltelefon leitmotivisch einzuspielen und damit dem Geschehen ein Gerüst zu verleihen, originell und tragfähig, das die Ereignisse faszinierend ätherisch ausbalanciert. Von WOLF SENFF

Aus dem Rahmen gefallen

Film | TV: Polizeiruf ›Morgengrauen‹ (BR), 24. August Liefert uns ›Morgengrauen‹ diesmal den ambitionierten Versuch, aus eingefahrenen ›Polizeiruf 110‹-Spuren auszubüxen? Oder mehr noch, man will diesen Kommissar neu erfinden? Kann ja sein. Er nennt sich diesmal nicht mehr »von«. Jedenfalls nicht durchgängig. Und es ist angekündigt, dass er sich verliebt. Meuffels? Verliebt? Von WOLF SENFF