Auf der Suche nach dem ominösen Selbst

Roman | Nora Haddada: Nichts in den Pflanzen

Partys, Missgunst, Rausch und Neid: Mit Nichts in den Pflanzen schreibt Nora Haddada eine Geschichte, die man kennt – und trotzdem gerne liest. Lektüretipp für ein Frühlingswochenende. Von Sven Beck

Als die junge Drehbuchautorin Leila vor ihrem ersten großen Deal steht, hat sie für die Filmbranche Berlins nur Abscheu übrig: Alle tauschen Gerüchte aus, keiner beschäftigt sich mit Kunst. Sie sieht eine ungerechte Welt, in der die eigene Karriere von Beziehungen abhängt. Und dann lernt sie jemanden kennen.

Nora Haddadas Debütroman ist unter anderem ein Buch über eine Zweier-Beziehung, die von Anfang an geprägt ist von Macht. Auf der einen Seite der erfolgreiche, kluge Produzent Leon, vernetzt, bis an die Filmsets der Vereinigten Staaten, auf der anderen Seite die No-Name-Nachwuchskünstlerin, die ihm ihre sechsstellige Provision verdankt. Für das Geld müsste sie lediglich schreiben…

Es gibt gute Gründe, Haddadas Hauptfigur psychische Störungen zu unterstellen, das Ermorden von Leons Lieblingskatze ist einer davon. Aus einer krankhaft-narzisstischen Ich-Perspektive erleben wir ein Jahr voll Selbstmitleid und Eskapismus, und welchen Schaden eine Schreibblockade anrichten kann.

Dafür gibt es zwei Erzählstränge: Der Herbst, in dem Leila sich mit alten, dicken Alkoholiker-Männern (»AdAMs«) betrinkt, ihren Freund belügt und Hasstiraden schmettert, und den Frühling, in dem (anfangs) noch alles in Ordnung ist, Agentin Lenka ihr Hoffnung auf Cannes macht und sie verliebt in Leons Armen liegt.

Ein Buch, wie eine Tafel Vollmilchschokolade

Die Zeitsprünge strukturieren den 240-Seiten-Roman in Kapiteln, haben aber keinen tieferen Sinn. Insbesondere zu Beginn stiften sie Verwirrung, tragen lediglich zu mehr Abwechslung bei. Fast so als müsste Haddada den Leser so am Ball halten, dabei hat ihr Stil das nicht nötig. In ästhetisch-schlichter Wortwahl und vielen, klaren Bildern beschreibt Leila die Filmbranche und die Sucht nach Anerkennung. Ihr Präsens ist leichtfüßig, in kurzen, prägnanten Sätzen, fließt es von Wohnzimmer zu Kneipen zu Restaurants. Haddada schreibt nicht radikal, aber schön. Ein bisschen wie eine Tafel Milka-Vollmilch. Viele werden es lecker finden, kaum jemanden wird es vor Begeisterung vom Stuhl hauen.

»Oder hat es was mit der Migrationsfrage zu tun…«

Sobald ihr Durchbruch ansteht, werden die Seiten, die sie davon trennen, für Leila zur Herkulesaufgabe. Schuld sind vordergründig Fliegen. Dieses Hauptmotiv des Textes stört bei der Konzentration und gibt dem Buch seinen Namen: in ihren Pflanzentöpfen findet sie nämlich nichts. Stattdessen sucht sie Inspiration auf anderem Wege, betrügt ihren Freund mit einer Muse namens »Anderer Leon«, der all das ist, was in ihren Kreisen verpönt ist: Erbe, Spekulant und latent rassistisch: »Man sieht es dir ja an«, mutmaßt er über die Herkunft der Protagonistin: »Vielleicht gibt es da so was… irgendein Stammeskönig oder so«. Solche Rassismus-Erfahrungen spielen in der Erzählung keine dominante, aber eine konstante Rolle. Ihr Versagen kann Leila allerdings auch nicht darauf schieben, denn es gibt noch Aischa, ebenfalls Autorin mit Migrationshintergrund, die weniger Privilegien hat, härter arbeitet und sofort bereit wäre, Leilas Chance zu nehmen.

Und so muss man immer wieder das Gesicht vergraben, während man dieser Hauptfigur bei ihrer Sabotage an sich selbst zusieht, aber ist ehe man sich versieht mittendrin. Haddadas Sprache macht Lust auf mehr, saugt ein. Ihr Debüt glitzert. Es erzählt von einer Gejagten ihrer eigenen Ambition, einer unverbesserlichen Individualistin unter Abgrenzungszwang – ironischerweise charakteristisch. Lesefreude ist garantiert.

| SVEN BECK

Titelangaben
Nora Haddada: Nichts in den Pflanzen
Hamburg: Ecco Verlag 2023
240 Seiten. 24 Euro
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