Roman | Peter Zingler: Im Tunnel
Kamen Freunde von Gerichtsreportagen sowie Berichten aus Gefängniszellen in letzter Zeit durchaus auf ihre Kosten – der eifrige Beobachter blickte in Untiefen national organisierter Terrorzellen oder in den Edelknast einer bayerischen Fußballlegende (mit Nebenjob Würstchenfabrikant) –, so komplettiert der Frankfurter Journalist, Filmemacher und ehemalige Knastinsasse Peter Zingler in seinem autobiografischen Roman ›Im Tunnel‹ das Bild der bundesrepublikanischen Halb- und Unterwelt. Ein Lesevergnügen auf über 500 Seiten über das turbulente Leben eines Mannes der Nachkriegszeit mit heißen »Schlitten«, dickem Goldkettchen und – von Zeit zu Zeit – mit massig Zaster in der Tasche. Der passende Kontrapunkt zu den kommenden besinnlichen Tagen. Von HUBERT HOLZMANN
Die Zeit tickt für Peter Zingler alias Paul Zakowski, einem kleinen Ganoven, der seine Kindheit im Köln der Nachkriegszeit verlebte und wie alle Kinder dieser Zeit zur Versorgung der Familie beitragen und daher hamstern, klauen, »fringsen« musste. – Seine Entlassung aus dem Gefängnis steht wieder einmal kurz bevor. Dabei ist es gar nicht mehr so sicher, dass der junge Mann, der bereits als Fünfzehnjähriger im Jugendknast weggesperrt war, sein neues Leben endlich in Freiheit beginnen kann. Denn fanatische Staatsanwälte und eifrige Richter würden den mehrfach vorbestraften Kleinganoven Paul Zakowski am liebsten sofort wieder einbuchten. Doch es ist der 30. Dezember. Und auch Juristen machen mal Urlaub. Lässt sich also Zakowskis Plan, sich diesmal ins Ausland abzusetzen, diesmal doch in die Tat umsetzen?
Dabei hat Zakowski eigentlich längst für all die Delikte, die kleinen »Dinger«, die harmlosen Coups bezahlt, sogar für Taten gebüßt, an denen er gar nicht beteiligt war, die ihm jedoch in die Schuhe geschoben wurden, da ein Schuldiger gefunden werden musste. Dass Zakowski unter diesen Umständen natürlich kein ganz normales bürgerliches Leben, wie es unsereins führt, im Sinne hat, scheint verständlich. Die Karibik – sein Ziel. Dabei ist Zakowski eher zufällig straffällig geworden – ein junger Mensch, der kein gefährlicher Verbrecher oder Serientäter ist, zu dem er gestempelt wurde.
Der Typus »Gangster mit Charme«
Denn gerade die Nachkriegszeit, in die er hineingeboren wurde, war prägend für seine kleinkriminelle Karriere. Zunächst nutzt es sein Stiefvater aus, dass Paul als Kind strafunmündig ist, und so hilft er beim Schmuggel illegaler Waren nach Belgien. Mit geklauter Ware bessert er schon mal die Haushaltskasse der Mutter auf. Später wird er schon mal einen Uhrenladen ausrauben. So eine Rolex am Handgelenk macht ja durchaus was her in der Szene.
Die zentrale Stelle im Roman zeigt die klare, aber durchaus schlichte Lebensphilosophie des Helden, wohl seiner ersten Kinoerfahrung als Filmvorführer geschuldet: »Sein Held war Eddie Constantine, der als Lemmy Caution ständig mit zweifarbigen Cadillac-Cabrios unter Palmen am Meer entlang fuhr und stets eine wohlgeformte Blondine im Arm hatte. Ja, das war’s.«
Dass Paul dann noch als Jugendlicher im Jahr 1959 beschließt, auf seiner ersten großen Fahrt nach Südfrankreich Brigitte Bardot, eine seiner Heldinnen, in Saint-Tropez zu besuchen – ein Fischer, wie romantisch, bringt ihn an das Ziel seiner Träume –, demonstriert ganz gut diese großartige Geste des Abenteurers, Hochstaplers und Geschichtenerzählers Zingler alias Zakowski. Die Rückkehr wird den ersten Tiefschlag in seinem Leben bringen, die Haft in der Jugendabteilung im Knast Bad Bergzabern.
Zeit der Haft – Zeit der Erinnerung
Die Abschnitte im Gefängnis nutzt Paul, um zu lesen. Gleichzeit erlebt er jedoch auch hinter Gittern einige Abenteuer – ein Erlebnis in einer Drei-Mann-Zelle ist wohl filmreif zu nennen – und er schließt soziale Kontakte, die sein späteres Leben in Freiheit bestimmen werden und auch dafür sorgen, dass er nicht lange von der Polizei unbehelligt bleibt. Kalle und Dieter sind zum Beispiel zwei dieser Typen, mit denen er auch einmal einen kleinen Banktresor aufbricht. Es folgen noch andere Einbrüche in Banken und Supermärkten. Auch in der Schweiz glückt ihm ein durchaus lohnenswertes »Geschäft«.
Natürlich versucht sich Paul in seinem Leben nicht nur auf krummen Wegen. Er arbeitet als Metzgergeselle, später wird er für einen Getränkevertrieb Ware in Kommission verkaufen und er kann zusammen mit anderen Geldschiebern ein kleines funktionierendes Kartell mit Provisionsverkäufen aufbauen. Doch diese durchaus ehrlichen Jobs verliert er, weil seine Arbeitgeber immer wieder von seiner Vergangenheit als Ex-Knasti erfahren und ihn nicht weiterbeschäftigen. Außerdem besitzt Paul ein Faible für die Welt des Halbseidenen. So übt das Frankfurter Bahnhofsviertel auf ihn einen besonderen Reiz aus. Es ist der ideale »Abenteuerspielplatz« für seinen Fantasie-Mix aus ein wenig Porno, heißen Maschinen und großen Deals.
Paul Zukowski erzählt uns aus der Gefängniszelle von seinen unglaublichen Erlebnissen. Schon einmal war eine geschlossene Anstalt der Ort für die Niederschrift der Lebensgeschichte von Oskar Matzerath. Der Erzähler Peter Zingler nutzt sein Schreiben – auch während der summa summarum 12-jährigen Haft als Befreiung und Akt der Resozialisierung. Nach dem Erstling ›Notizen aus der Mülltonne‹ (1983), zahlreichen weiteren Romanen und Tatort-Drehbüchern ist nun sein autobiografischer Roman ›Im Tunnel‹ erschienen. Zum Schluss hin gerät die Rahmenhandlung des Wartens auf die Freilassung stellenweise doch sehr retardierend. Auch trägt Zingler beim Erzählen seiner großen »Dinger« etwas dick auf und schildert seine Erlebnisse extrem schillernd und plakativ. Doch wahrscheinlich entspricht dies durchaus der Realität. Eine sehr turbulente und unterhaltsame Feiertagslektüre.
Titelangaben
Peter Zingler: Im Tunnel
Frankfurt/Main: Frankfurter Verlagsanstalt 2015
576 Seiten. 19,90 Euro
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