Roman | James Lee Burke: Glut und Asche
Auf Anhieb hat es James Lee Burke 2015 mit Regengötter auf den ersten Platz/international des Deutschen Krimi Preises geschafft. Die Geschichte um den texanischen Sheriff Hackberry Holland und seinen psychopathischen Widersacher, Preacher Jack Collins, überzeugte die Jury durch ihre Archaik und eine Sprachgewalt, die noch dem kleinsten Ereignis eine schicksalhafte Bedeutung zu geben verstand. Nun, in Glut und Asche, ist Hackberry Holland zurück und hat sich im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko gleich mit einer ganzen Reihe von durchgeknallten Gewalttätern auseinanderzusetzen. Von DIETMAR JACOBSEN
Wer sind die Männer, die mitten in der Nacht im texanisch-mexikanischen Grenzland mit zwei Gefangenen unterwegs sind, den einen von ihnen vor den Augen eines Zeugen entfliehen lassen und den anderen brutal ermorden? Danny Boy Lorca, der die Tat beobachtet hat, taucht anderntags im Sheriff-Büro von Hackberry Holland und Pam Tibbs, Hollands weiblichem Chief Deputy, auf und informiert die örtlichen Ordnungshüter über den Zwischenfall.
Es bleibt nicht der einzige – und weil sich bald in das wachsende Durcheinander zwischen mexikanischen Killern, einer merkwürdigen, sich für die Rechte illegaler Einwanderer einsetzenden Chinesin, russischen Mafiosi und einem rassistischen Prediger-Eremiten auch noch die von Sheriff Holland seit je verabscheuten FBI-Beamten einmischen, muss das schon lange jenseits seiner besten Jahre angekommene Raubein noch einmal aufsatteln und in den Kampf ziehen.
Hackberry Holland auf hehrer Mission
Man sieht den Mann sofort vor sich, wenn man die kurze Charakteristik Burkes auf der zweiten Seite des Romans liest: »Ein schmerzender Rücken, ein kantiges Profil, ein Stetson, ein Thumb-Buster Kaliber .45 und eine Vergangenheit als Trinker und Hurenbock bildeten die Eckpfeiler seines Leumunds, wenn nicht sogar die seines Lebens.« Nein, mit diesem Kerl ist nicht zu spaßen. Der ist durch die Hölle eines koreanischen Gefangenenlagers gegangen und etliche Male in seinem fast 80-jährigen Leben tragisch gescheitert. Für die ihm noch verbleibenden Erdentage ist er deshalb fest entschlossen, keine Kompromisse im Kampf gegen das Böse mehr zu machen, auch wenn es sich ihm in Gestalt einer ganzen Armee von Psychopathen entgegenstellen sollte.
Und mit einer solchen bekommt er es tatsächlich zu tun, als er sich gemeinsam mit seiner kleinen Crew, über die er wacht wie ein Vater über seine Kinder, aufmacht, das Geheimnis um den Flüchtling jener Nacht an der Grenze zwischen Texas und Mexiko zu lüften. Der ist, wie sich schnell herausstellt, ein abtrünniger Regierungsmann mit wertvollen Informationen im Gepäck. Die betreffen Predator-Drohnen, tödliche Kampfmaschinen, und könnten eine Menge wert sein, wenn man sie an interessierte Parteien wie zum Beispiel al-Kaida weiterverkaufen würde. Doch dazu muss der Mann erst einmal gefunden und dingfest gemacht werden.
Glut und Asche ist ein Roman, der sich auf 700 Seiten kaum eine Atempause gönnt. Grandiose Landschaftsbeschreibungen wechseln ab mit tiefen Blicken in die schwarzen Seelen all der auf verschlungenen Pfaden ihr Heil suchenden Outlaws und der Männer des Gesetzes, die sie jagen, obwohl sich ihre Mittel und Methoden kaum voneinander unterscheiden. Es geht um Gewalt und Vergebung, Fanatismus und Schicksal, Erlösung und Verdammnis. Und immer wieder werden die amerikanischen Traumata angesprochen, die auf dem Land lasten wie dichte Nebel, aus denen jederzeit eine »spirituelle Bösartigkeit« herausbrechen kann.
Spirituelle Bösartigkeit
»Hackberry war mit den Jahren zu der Ansicht gelangt, dass die Welt nun einmal war, wie sie war, und sich nicht änderte, nur weil der Betrachter älter wurde. Die historische Epoche spielte keine Rolle. Es waren immer die gleichen Akteure, die den Ton angaben. Diejenigen, die den Planeten am schamlosesten plünderten, die uns in einen Krieg nach dem anderen führten und vorgefertigte Rechtfertigungen aus dem Ärmel zauberten, wenn wir uns gezwungen glaubten, ohne Skrupel und Moral gegen unsere Mitmenschen vorzugehen, waren immer auch diejenigen, denen wir am eifrigsten folgten«, heißt es an einer Stelle.
Mehr Kritik an einem Land, in dem Waffenbesitz und -gebrauch – zum Schutze der eigenen Person und Familie, versteht sich – zu den Grundfreiheiten zählen, dass sich nur noch im Wort zu jenem mythischen, in den Sockel der Freiheitsstatue eingelassenen Versprechen bekennt, Hort für alle Müden, Armen und Geknechteten der Welt zu sein, und das die Weltöffentlichkeit bewusst in die Irre führte, um einen Krieg zu beginnen, der eine ganze Region bis zum heutigen Tag destabilisiert, ist wohl kaum möglich.
James Lee Burke ist einer der großen amerikanischen Autoren der Gegenwart, dessen Romane sich ihren Weg zwischen Thriller und Western, Mythos und Gegenwart suchen. Nachdem es hierzulande eine Weile sehr still um ihn geworden war, haben ihn in jüngster Zeit gleich zwei Verlage wiederentdeckt. Bei Heyne erscheint mit Fremdes Land in diesem Frühjahr bereits der nächste Roman mit einer Hauptfigur aus der Holland-Familie. Und im Pendragon Verlag zu Bielefeld kümmert man sich um Burkes inzwischen auf gewaltige 20 Bände angewachsene Dave-Robicheaux-Reihe – aktuell mit Mississippi Jam von 1994. Wir werden in nächster Zeit also genug von einem Mann zu lesen bekommen, der wie kaum ein anderer in seinem Werk die dunkle Seite des amerikanischen Traums, seiner Wurzeln, Versprechungen und Enttäuschungen, erforscht.
Titelangaben
James Lee Burke: Glut und Asche
Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller
München: Wilhelm Heyne Verlag 2015
699 Seiten. 17,99 Euro
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