/

Eine Herausforderung für Sebastian Bergman

Roman | Hjorth & Rosenfeldt: Die Schuld, die man trägt

Sebastian Bergman, Psychologe und, wann immer es brenzlig wird, Unterstützer von Schwedens Reichsmordkommission, hat in seinem Leben schon viel kaputt gemacht: Ehen, Freundschaften sowie berufliche Beziehungen aller Art gehörten dazu. Manches davon ließ sich kitten, anderes nicht. Schuldig hat sich Sebastian dabei aber nur in den wenigsten Fällen gefühlt – zu groß sein Ego, zu wenig empathisch ausgerichtet seine Gefühlswelt. Das sieht der Killer, auf dessen Spuren sich die Reichsmordkommission in Die Schuld, die man trägt, dem achten Sebastian-Bergman-Roman des Autorengespanns Hjorth & Rosenfeldt, begibt, allerdings anders. Und fordert den Psychologen zu einem intellektuellen Wettstreit heraus, in dem er als Opfer Menschen auswählt, denen Sebastian in seiner Vergangenheit Unrecht getan hat. Von DIETMAR JACOBSEN

»LÖS DAS HIER, SEBASTIAN BERGMAN!«, steht in großen roten Buchstaben auf der ansonsten ungestrichenen hinteren Wand eines Schweinestalls. Davor liegt die Leiche einer Frau. Ein Fall für die schwedische Reichsmordkommission unter ihrer Chefin Vanja Lithner. Die verbliebenen Mitglieder der kleinen Eliteeinheit haben allerdings immer noch nicht ganz verwunden, dass einer aus ihrer Mitte, Billy Rosén, vor nicht einmal sechs Wochen als Serienmörder enttarnt wurde. Jetzt schreiben die Zeitungen Tag für Tag über den »Mörderpolizisten«, der sich lange Zeit unentdeckt unter Schwedens Topermittlern aufhalten konnte. Und Rosmarie Fredriksson, die allein um ihr eigenes Ansehen besorgte Polizeichefin, spielt mit dem Gedanken, die restliche Reichsmordkommission einfach aufzulösen – aus den Augen, aus dem Sinn und vor allem: aus den Nachrichten.

Die Reichsmordkommission steht kurz vor ihrer Auflösung

Aber so weit ist es noch nicht. Denn die Tote aus dem Schweinestall gibt Rätsel auf. Und um die zu lösen, braucht man ihn halt wieder: Sebastian Bergman, Vanja Lithners Vater, einst als psychologischer Berater eng an die Einheit gebunden, inzwischen – auch seines schwierigen Charakters wegen – mal mehr, mal weniger gelittener Ansprechpartner in Sachen Profiling. Aber auch Bergman kann sich zunächst, obwohl er einst zusammen mit der Toten das Gymnasium in Västarås besuchte, keinen Reim darauf machen, warum der Mörder gerade ihn so frech wie offen herausfordert.

Das ändert sich freilich beim zweiten Opfer. Denn ab da weiß man sicher: Der Täter hat große Freude daran, einen der versiertesten Kriminalpsychologen Schwedens zu provozieren, indem er ihn mit seinen Morden an die kleinen Gemeinheiten gegenüber Menschen erinnert, mit denen Bergman im Laufe seines Lebens Probleme hatte. Mit seinem weniger erfolgreichen Kollegen Håkan Persson Riddarstolpe, dessen Leiche sich in einem über Nacht im Depot abgestellten Linienbus findet, hat es beispielsweise vor Jahren einen heftigen Zusammenstoß gegeben. Dessen Verlauf kostete Bergmans Konkurrenten nicht nur einiges an Reputation, sondern auch ein paar lukrative Aufträge. Dass der Mann seit jenen Tagen Rachegedanken hegt, ist deshalb kaum verwunderlich. Doch den hinterhältigen Plan, sich gerade im aktuellen Fall wieder als der seriösere Psychologe als Bergman in Erinnerung zu bringen, hätte er besser nicht gefasst.

Sebastian Bergman wird von seiner Vergangenheit eingeholt

Die Schuld, die man trägt nimmt das Muster auf, das den meisten der inzwischen acht Sebastian-Bergman-Romane zugrunde liegt. Mit einer am Ende immer erfolgreichen Mörderhatz verbindet das Autorenteam sich aus den unterschiedlich gearteten Beziehungen der Hauptfigur zu den einzelnen Angehörigen der Ermittlergruppe ergebende Probleme und Konflikte. Dazu spielt der Tod von Bergmans Frau und Kind, die zu den Opfern der Tsunamikatastrophe vom Dezember 2004 gehörten, vom ersten Buch der Reihe an eine wichtige Rolle.

Dass diese Bergmann zutiefst traumatisierende Tragödie, bei der Sebastian sich selbst nicht ohne Schuld sieht, denn er hat die Hand seiner dreijährigen Tochter in den über ihnen zusammenstürzenden Fluten nicht festzuhalten vermocht, tatsächlich ganz anders verlief, als bisher gedacht, hat der letzte Band der Reihe, Die Früchte, die man erntet (2021), bereits angedeutet. Diesen Erzählstrang führen Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt im vorliegenden Roman nun weiter und konfrontieren ihre Hauptfigur mit einem völlig neuen Blick auf die damaligen Ereignisse, der auch das Privatleben Sebastian Bergmans gehörig durcheinanderbringt.

Ein Abschluss für die Reihe?

Dass auch andere Dinge, die in den vorangegangenen Bänden der Reihe eine Rolle spielten, im Verlauf des Romans wieder aufgerührt werden – eine Frau, die wegen Bergman fast zur Mörderin aus Eifersucht wurde, kommt aus dem Gefängnis frei und beginnt sofort wieder damit, Sebastian zu stalken, und dann ist da ja auch noch der Serienmörder Billy Rosén, den Bergman vor seinen Dämonen nicht bewahren konnte und der im Gefängnis einen perfiden Plan entwickelt –, legt den Verdacht nahe, Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt wollten mit diesem Band eine Art Abschluss für die ganze Reihe finden. Dem widersprechen allerdings die beiden Cliffhanger, mit denen die Autoren ihren achten Sebastian-Bergman-Roman beenden. Denn einiges ist da ganz und gar noch nicht auserzählt. Ob es allerdings Sebastian Bergman sein wird, der dem demnächst auf den Grund gehen wird – warten wir es ab!

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Hjorth & Rosenfeldt: Die Schuld, die man trägt
Ein Fall für Sebastian Bergman
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
Hamburg: Wunderlich 2023
480 Seiten. 25 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Mehr zu Hjorth & Rosenfeldt in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zeitenwende

Nächster Artikel

Unheimliches

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Intrigen im Dreikaiserjahr

Roman | Axel Simon: Eisenblut

Historische Kriminalromane zählen in letzter Zeit zu den auffälligsten Erscheinungen auf dem deutschsprachigen Thrillermarkt. Volker Kutscher, Susanne Goga, Kerstin Ehmer, Alex Beer, Angelika Felenda und neuerdings auch Dirk Kurbjuweit – sie alle haben sich die Goldenen Zwanziger als Hintergrund für ihre Romane ausgesucht. Nun geht Axel Simon noch ein paar Jahrzehnte weiter zurück. Eisenblut spielt im Dreikaiserjahr 1888 in Berlin. Und obwohl es bis zum nächsten großen europäischen Konflikt noch ein gutes Vierteljahrhundert hin ist, stößt der aus einer ostpreußischen Grundbesitzerfamilie stammende Gabriel Landow, der eine kleine Detektivagentur in Berlin betreibt, bei seinen Recherchen in drei Mordfällen auf eine Verschwörung jener Kräfte, für die Krieg selbst dann noch ein höchst profitables Geschäft darstellt, wenn man sich gerade mitten im Frieden befindet. Von DIETMAR JACOBSEN

Wenn der Tod im Osten Einzug hält

Roman | Jerome P. Schaefer: Der Dschungel von Budapest

Die Welt an der schönen blauen Donau scheint in Ordnung zu sein. Auf den ersten Blick zumindest. Bei genauem Hinsehen aber regt sich leiser Zweifel an der Idylle in Budapest: Das Wasser des Stroms »glitzert« schon etwas »unruhig«, der Himmel strahlt eisig »kalt blau« und die Margaretheninsel schimmert in der Ferne »fast wie eine Schimäre«. Und mitten in dieser Szenerie, am Rande des Budapest Marathons, finden wir Tamás Livermore. Nicht als teilnehmenden Sportler, nein, der Privatdetektiv hat sich als Sicherheitsmann anstellen lassen und beobachtet, ausgerüstet mit einem Walkie-Talkie, das Geschehen von der anderen Seite des Flusses. Die Störung lässt nicht lange auf sich warten. Eine Autobombe zerreißt das friedliche Bild, »die Kakophonie des Notfalls setzt ein«. In seinem Debüt Der Dschungel von Budapest – erschienen im Berliner Transit-Verlag – gerät Jerome P. Schaefers Privatermittler mitten in ein ziemlich brisantes politisches Räderwerk von dunklen Machenschaften im Ungarn der Nachwendezeit. Gelesen von HUBERT HOLZMANN

Der 100-Millionen-Coup

Roman | Lee Child: Der Ermittler

Die Nachricht sorgte für einige Unruhe. Lee Child will sich nach mehr als 20 Jahren und zwei Dutzend Romanen von seiner Figur Jack Reacher trennen. Da der Ex-Militärpolizist freilich inzwischen an der Schwelle zur Unsterblichkeit steht, soll Childs – der im bürgerlichen Leben den Namen James Grant trägt – Bruder Andrew Grant als Andrew Child Reacher übernehmen und die Saga fortsetzen. Kann das funktionieren? Man wird sehen. Oder auch nicht, sollte der Plan wieder aufgegeben werden. Für seine deutschen Leser wäre das im Übrigen momentan nicht ganz so dramatisch. Denn noch warten drei Reacher-Romane auf ihre hiesige Erstveröffentlichung. Enough time to say Good-bye! Von DIETMAR JACOBSEN

Kritisch angehaucht hat Methode

Film | Tatort 906 – Borowski und das Meer (NDR), 30. März Ein ›TATORT‹, der Geschäftswelt und globalen Handel zum Thema hat, weit weit über den Planeten verteilt, doch niemand muss reisen, Kontakt wird über Skype gepflegt. In Wellington/Neuseeland kommt ein Umweltschutz-Aktivist zu Tode, in der Kieler Förde stürzt Jens Adam über Bord, der für die Firma Marex, Hamburg, mit Stammsitz in Vancouver Schürfrechte für Seltene Erden verhandelt. Bald wird eine Leiche angespült, die in eine Schiffsschraube geriet. Das stiftet Verwirrung, die aufgelöst sein will. Von WOLF SENFF