//

Wie im Lebenskreislauf

Bühne | Badisches Staatstheater Karlsruhe: ›Alles tanzt! The human condition‹

Gedanken über das Leben und die eigene Existenz, ausgedrückt im Ballett und seinen Tanzbewegungen, in diesem Stück passend zur Stimmung mit schwarzen Kostümen – das erlebte man als Zuschauerin und Zuschauer in ›Alles tanzt! The human condition‹. Die Koproduktion von Volkstheater und Staatsballett Karlsruhe am Badischen Staatstheater zeigte, wie wandelbar und anpassungsfähig man im Alltag, im Leben und im Sterben sein muss. Von JENNIFER WARZECHA

Um es mit den Worten von Hannah Arendt, der jüdisch deutsch-US-amerikanischen politischen Theoretikerin und Publizistin, auszudrücken: »We create the conditions that condition us.« Frei übersetzt heißt das: »Wir schaffen die Bedingungen, die uns bedingen, ausmachen.« Im Ballett sehen wir Jung und Alt, Klein und Groß, stellvertretend für die unterschiedlichen Menschen auf der Erde, wie sie Angst, Konzentration, Anstrengung – die, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen, ausdrücken.
Tanzende Menschen, die eine Linie vor einer Säule bilden

Der Tanzabend von Paul Calderone lässt denjenigen, der sich die Produktion ansieht, das Leben erleben, ausgedrückt durch die Mitwirkenden, sie sich emporräkeln und bewegen, plötzlich aus der Menge herausspringen mit vor Angst und Entsetzen geweiteten Augen, sich umarmen und einfach begegnen. Hannah Arendt nennt es, wie es das Programmheft mitteilt: »Der Neuanfang (…) mutet uns, wo wir ihm in lebendiger Erfahrung begegnen (…) immer wie ein Wunder an.« Marie Hausmann steht da und lässt erst ihre Arme und Hände umherkreisen, um sie dann vor ihren Augen zu verschränken. Manchmal möchte man vor den schlimmen Augenblicken des Lebens im wahrsten Sinne des Wortes die Augen verschließen. Dann wieder streckt man sich empor und ergrifft die Chancen des Lebens, hier ausgedrückt in den unterschiedlichen Tanzfiguren.

Diese verschränken sich teilweise ineinander, um sich selbst und eben die anderen zu begreifen. Da stellt sich die Frage, ob der Tanz des oder der einen sich nicht zugleich mit dem des anderen verschmilzt. Oder um es mit den Worten von Paul Calderone auszudrücken: »Tanzen hat das Element der unausgesprochenen Verbundenheit. Wenn wir still werden und den Menschen und der Atmosphäre um uns herum wirklich zuhören, beginnt eine andere Ebene von Verständnis.

Wenn wir dann noch Musik in den Raum einfließen lassen, können wir unseren Körper und die Art, wie wir ihn bewegen, anders empfinden und den Raum, in dem wir auftreten und uns ausdrücken, verändern. Dadurch können wir viel über unsere menschliche Natur erfahren, wie es in vielen alten und historischen Tanzpraktiken zu sehen ist.« Auch die Zusammenarbeit mit nicht-professionellen Tänzern ordnet er ein: »Bei nicht-professionellen Tänzer*innen finde ich die Art und Weise, wie sie sich mit Bewegung und Tanz auseinandersetzen, sehr faszinierend. Sie sind aufrichtiger und weniger kritisch gegenüber sich selbst. Vorgefertigte Vorstellungen darüber, wie etwas auszusehen hat, lassen sich leichter dekonstruieren und transformieren.

Dieses Spektrum an Verletzlichkeit und Interpretation zu sehen, ist meiner Meinung nach genau das, was dieses Stück braucht, um herauszufinden, worum es beim Menschsein geht.« Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, nur, dass das die Schauspielerinnen und Schauspieler sehr gut umgesetzt haben. Klasse!

| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: ARNO KOHLEM

Termine
›Alles tanzt! The human condition‹
Tanzabend von Paul Calderone
Koproduktion mit dem STAATSBALLETT KARLSRUHE
Badisches Staatstheater Karlsruhe
Kleines Haus
Sonntag, 19.5., 18:00 – 19:00
ZUM LETZTEN MAL: Freitag, 14.6., 19:30 – 20:30

Besetzung
Martin Burger, Ralph Burkart, Josefa Diaz, Sara Frölich
Anna Gebhardt, Anna Hausmann, Marie Hausmann, Christina Honcharenko
Lorena Hunzinger, Kaloyan lliev, Christian Kaiser, Jule Kaufmann
Emilia Klemm, Laura Knorr, Eva Kortsch, Julika Kühner
Susanne Lisovski, Zoé Müller, Hannah Raißle, Alexandra Riemann
Scharona Sani, Julia Sauter, Lena Schmidt, Anabel Sengpiel
Charlotte Stein, Jurgita Toliautaite, Jill Weinmann, Katrin Weiß
Claire Zschiesche

Choreografie: Paul Calderone
Bühne & Kostüme: Isabell Wibbeke
Licht: Christoph Pöschko
Dramaturgie: Sabrina Toyen
Produktionsleitung & Co-Dramaturgie: Jannika Erdmann
Probenleitung:Louiz Rodrigues

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Etwas Zeit?

Nächster Artikel

Auflösung

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Die Revolution der Magie

Live | Show | House of Mystery Hans Klok steht seit Jahren an der Weltspitze der Illusionisten und es scheint ihm dort zu gefallen. Mit seiner Geschwindigkeit und seinen extrem unkonventionellen Ideen hebt er die Welt der Magie aus den Angeln und verpasst dem Berufszweig ein völlig neues Image. Wieder und wieder übertritt er die Grenzen der Illusion. ANNA NOAH hat geprüft, ob er wirklich 15 Illusionen in fünf Minuten schafft.

»Ich bereue nichts«

Bühne | Édith Piaf: Lieder eines Lebens

»Non, je ne regrette rien«. Lilian Huynen vollführt eine Revue über das Leben der Édith Piaf. JENNIFER WARZECHA war beim Chansonabend im Theater Pforzheim dabei.

Galileo!

Bühne | Theater: Ich bin nicht Mercury

Eine Coverband hat ihre letzte Probe vor der Studioaufnahme. Sie interpretiert Songs von Queen. Man ist sich noch nicht einig, ob man sie neu interpretiert oder doch lieber original singt. Nach und nach entfalten sich die Charaktere auf ihre völlig eigene, allerdings im Kontext Mercurys nicht sonderlich überraschende, Art und Weise. ANNA NOAH taucht erneut in ein Queen-Song-Potpourri ein.

Bis auf die Haut geschorene Schafe

Theater | Oliver Bukowski: Ich habe Bryan Adams geschreddert – Deutsches Theater Göttingen Ein Abend mit dem  Deutschen Theater. Da sag ich nicht nein. Pünktlich auf die Minute stand ich vor dem fein angeleuchteten Gebäude und drängte mich an der Schlange kartenkaufwilliger Menschen vorbei. Ein paar kleine Smalltalks am Pressestehtisch später hatte ich meine Karte und von mir aus konnte die Show losgehen. Von SVEN GERNAND

Ein König muss Federn lassen

Bühne | Volker Lippmann: Macbeth (Theater Tiefrot)

Der Legende nach bringt es Unglück, in einem Theater den Namen Macbeth auszusprechen. Die für diesen Fluch angeblich verantwortlichen Hexen stört das nicht. »Macbeth! Macbeth! Macbeth!« raunen sie und umschwirren den einstigen schottischen Heerführer, dem sie den Aufstieg zum König weissagten. Nun liegt Macbeth (Marcus M. Mies), von seinem Gewissen sichtlich geplagt, auf einem Bett aus Federn. Der flauschige Inhalt des Hexenkessels ergießt sich über die kleine Bühne des Kölner ›Theater Tiefrot‹. Von JALEH OJAN