/

Zwischen Recht und Moral

Menschen | Zum 80. Geburtstag von Bernhard Schlink

»Ich bleibe Optimist, indem ich nach wie vor wichtig finde, sich in der Welt und für sie einzusetzen.. Aber ob die Schwächung der Demokratie und das Erstarken der Sehnsucht nach dem Autoritären, die Unversöhnlichkeit in der Gesellschaft, der Hass und die Kriege, die Zerstörung von Klima und Natur aufgehalten werden können, weiß ich nicht«, bekannte Bestsellerautor Bernhard Schlink, der erst spät zum Schreiben gefunden hat (zunächst parallel zu einer beachtlichen Karriere als Jurist), in einem Interview im letzten Jahr. Von PETER MOHR

»Ich war zu alt, als dass die neue Rolle mein Leben entscheidend hätte verändern können. Ich hatte meinen Ort in der Welt bereits gefunden«, erklärte Bernhard Schlink 2009 in einem FAZ-Interview über sein »zweites Leben« als Schriftsteller. Er war immerhin schon Mitte vierzig, als er seinen ersten Roman vorlegte, war bis zu seinem 65. Lebensjahr nicht einmal Berufsschriftsteller, und doch hat er mit ›Der Vorleser‹ einen der (vor allem auch international) erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit vorgelegt.

Schlink war fast 20 Jahre Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster und wurde vor 2009 als Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der TU Berlin emeritiert. In den frühen 1980er Jahren hatte er sich nach Promotion und Habilitation in den USA für kurze Zeit auch als Goldschmied und Masseur versucht – eine Art »Selbstfindungstrip«.
Der Spagat zwischen Recht und Moral, ein ausgeprägtes Interesse an historischen Fragestellungen und die schnörkellose, aber dennoch präzise Sprache ziehen sich wie ein roter Faden durch die literarischen Werke von Bernhard Schlink, der am 6. Juli 1944 in Großdornberg (nordwestlich von Bielefeld) als Sohn eines Theologieprofessors geboren wurde und in Heidelberg aufgewachsen ist.
Obwohl Schlink bereits 1993 für ›Selbs Betrug‹ den Deutschen Krimipreis erhalten hatte, kam der Erfolg seines Romans ›Der Vorleser‹ zwei Jahre später einer Sensation gleich. ›Der Vorleser‹ wurde in über 50 Sprachen übersetzt und war das erste deutsche Buch, das auf Platz eins der Bestsellerliste der ›New York Times‹ stand. Auch die Kinoversion mit Oscar-Preisträgerin Kate Winslet und David Kross in den Hauptrollen war ein respektabler Erfolg.

Die Handlung beginnt Ende der 50er Jahre mit der unkonventionellen Liebesbeziehung zwischen dem 15-jährigen Akademikersohn Michael Berg und der über zwanzig Jahre älteren Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz. Unkonventionell nicht nur des Altersunterschiedes wegen, sondern, weil sich Jüngling Michael auch noch als eifriger Vorleser für die reife Frau betätigt. So plötzlich, wie Hanna in Michaels Leben getreten ist, verschwindet sie auch wieder. Michael beginnt ein Jurastudium und nimmt als Hospitant an einem Kriegsverbrecherprozess teil. Völlig irritiert und ratlos erkennt er auf der Anklagebank seine einstige Geliebte wieder, die in jungen Jahren als SS-Mitglied Aufseherin in einem Konzentrationslager war.

Michael verfolgt den Prozess weiter und erfährt, dass sich Hanna auch im KZ von jungen Häftlingen aus Büchern vorlesen ließ. Dies wird vom Gericht als besonders »grausame Methode« gewertet und die Analphabetin Hanna muss für 18 Jahre ins Gefängnis. Später schickt Michael – inzwischen Juraprofessor – Hanna Tonbandcassetten mit Aufnahmen von belletristischen Werken ins Gefängnis, wo sie unter großen Mühen lesen und schreiben lernt.

Was hat Schlinks grandiosen Erfolg 1995 ausgemacht? War es die Tatsache, dass er einer NS-Täterin ein greifbares Gesicht und menschliche Züge verlieh, ohne für sie beim Leser um Mitleid zu buhlen? Oder hatte der Autor mit seiner männlichen Hauptfigur Michael Berg und dessen fast flehender Frage den Nerv der Generation der Nachgeborenen getroffen: »Was sollte und soll meine Generation der Nachlebenden eigentlich mit den Informationen über die Furchtbarkeit der Vernichtung der Juden anfangen?«

Um Geschichte, um Heimat und Suchbewegungen drehte sich auch der 2006 erschienene Roman ›Die Heimkehr‹. Variantenreich verarbeitete Schlink das Heimkehrer-Motiv und Anleihen aus der Odyssee – fraglos der kompositorisch anspruchsvollste Schlink-Roman.

Heftig diskutiert wurde sein Roman ›Das Wochenende‹ (2008), in dem ein nach langer Haftzeit entlassenes RAF-Mitglied im Zentrum steht. Trotz seiner großen Bravour als Erzähler konnten die Romane ›Die Frau auf der Treppe‹ (2014) und ›Olga‹ (2018) nicht mehr an die emotionale Sprengkraft der Vorgängerwerke heranreichen. Im letzten Herbst legte Schlink mit dem Roman ›Das späte Leben‹ ein berührendes Alterswerk vor, in dem Protagonist Martin Brehm im Alter von 76 Jahren erfährt, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat. Mehr als nur eine unter die Haut gehende Lebensbilanz, es geht darin um späte Liebe, um Eifersucht und das Warten auf den Tod.

»Ich fand immer die Vorstellung schön, dass mein Buch an der Bahnhofsbuchhandlung gekauft, auf die Reise mitgenommen und im Zug gelesen wird«, hatte Schlink, der abwechselnd in New York und Berlin lebt, vor einigen Jahren einmal erklärt. Der Bestsellerautor ist auf eine sympathische Weise bescheiden geblieben.

| PETER MOHR
| Foto: Roger Eberhard, Bernhard Schlink, CC BY-SA 3.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schwarz-Weiß-Fotografie

Nächster Artikel

Ohnmacht

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Tugend und Sünde

Roman | Zum 80. Geburtstag von Isabel Allende erscheint der Roman ›Violeta‹

Da ist wieder eine der typischen Frauenfiguren von Isabel Allende: kämpferisch, selbstbewusst und manchmal ihrer Zeit auch etwas voraus. Und doch ist Violeta, die Protagonistin des 26. Romans aus der Feder der chilenischen Erfolgsautorin, die seit vielen Jahren in den USA lebt, etwas anders. Von PETER MOHR

Nicht Hamlet, sondern Clown

Menschen | Zum Tod des Nobelpreisträgers Dario Fo Als »Wettstreit zweier Berufskomiker« hatte Dario Fo sein höchst angespanntes Verhältnis zum einstigen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bezeichnet. Mit seiner 2003 uraufgeführten Bühnenarbeit ›Der anormale Doppelkopf‹ – ein mehr als zweistündiges Zweipersonenstück, das er mit seiner Frau Franca Rame spielte – hatte er in Italien ein gigantisches mediales Echo entfacht, weil er darin Putins Hirn in Berlusconis Kopf verpflanzt hatte. Von PETER MOHR

Politisch nicht opportun

Menschen | Wolfgang Held: Ich erinnere mich Bevor man Wirklichkeit erkennt, muss man den Informationsmüll beiseite räumen, den Mainstream täglich auswirft, und es ist nicht bloß Müll, es ist Manipulation, es ist Täuschung, wer findet sich da zurecht, oh weh, Ende Gelände. Wir arbeiten die Dinge auf, so nennen wir das, wir bahnen uns einen Weg durch dichtesten Nebel, überall herrscht »schlohweißer Tag« (Tamara Danz). Von WOLF SENFF

»Berühmt werden – etwas anderes wollte ich nie«

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Oscar-Preisträgers Anthony Hopkins am 31. Dezember »Eine 80 Jahre alte Maschine muss ständig gut geölt sein, sonst rostet sie ein.« Er öle seine Maschine »mit Musik, mit Malerei, mit meiner Arbeit«, hatte Chopin-Liebhaber Anthony Hopkins vor einigen Wochen in einem Interview mit der ›Bild am Sonntag‹ erklärt. Von PETER MOHR