Als Frank Goldammer vor acht Jahren mit seiner Max-Heller-Reihe begann, war noch nicht zu ahnen, wie produktiv dieser Autor in den nächsten Jahren sein würde. Inzwischen liegen neben etlichen anderen Romanen bereits acht Bände um den Dresdener Kommissar vor, deren Handlungszeit sich vom Ende des Ersten Weltkriegs über die Monate kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1961, dem Jahr des Mauerbaus, erstreckt. Handlungsort ist immer Goldammers Heimatstadt Dresden. Und weil die bis 1989 im südöstlichsten Winkel der DDR lag, ist die Heller-Reihe ganz nebenbei auch noch zu einer spannenden Zeitgeschichte des geteilten Deutschlands geworden. Mit dem vorliegenden ersten Band seiner neuen Serie verlässt der Autor nun das 20. Jahrhundert, nicht aber die Familie seines Helden. Denn mit Gustav Johann Heller ermittelt nun Max‘ Großvater im Jahre 1879. Der muss sich zwar im Sattel oder auf dem Kutschbock an seine Tatorte begeben, lebt aber nicht weniger gefährlich als sein motorisierter Enkel mehr ein halbes Jahrhundert später. Von DIETMAR JACOBSEN
Obwohl es Gustav Johann Heller, dem Kriminalrat der Dresdener Staatspolizei, ein bisschen zu schnell zu gehen scheint, ist der Fortschritt im Jahr 1879 auch rund um die sächsische Elbmetropole nicht mehr aufzuhalten. Nach dem neun Jahre zurückliegenden Sieg über die Franzosen floriert die Wirtschaft immer besser. Beinahe wöchentlich öffnen neue Geschäfte, Fabriken schießen aus dem Boden wie Pilze und das Handwerk sucht händeringend nach gut ausgebildeten Arbeitern. Längst geben nicht mehr die Vertreter des Adels das Entwicklungstempo der Gesellschaft vor, sondern ein gebildetes und selbstbewusstes Bürgertum hat die bis dato durch ihre Geburt zu Führungspersönlichkeiten Bestimmten auf die Plätze verwiesen. Waren legen den Weg von ihren Erzeugern zu denen, die sie verbrauchen, immer schneller zurück. Und was Dampfkraft und Elektrizität in den nächsten Jahrzehnten noch zu leisten imstande sein werden, ist bereits zu erahnen.
Der Fortschritt und seine Gefahren
Aber natürlich ist der Fortschritt auch mit Gefahren verbunden. Oder ist das Schiffsunglück auf der Elbe nahe Pillnitz, dessen Augenzeuge der in der Nähe sein Gut als zweites Standbein bewirtschaftende Gustav Heller wird, gar nicht auf technische Mängel an der den havarierten Dampfer antreibenden Maschine zurückzuführen? Jedenfalls mutet die Katastrophe, die mehrere Todesopfer fordert, dem sich mutig in die tückische Strömung werfenden und einem dort treibenden Matrosen das Leben rettenden Kriminalrat und Pferdezüchter doch recht dubios an. Denn einerseits war das Schiff, das offenbar nichts geladen hatte, mit einem die Kraft seiner Maschine mehr als herausfordernden Tempo unterwegs. Und andererseits verschwinden nach dem Unglück nach und nach alle, die sich an Bord befanden und dementsprechend Aussagen machen könnten zum Hergang der Kesselexplosion.
Obwohl er von seinen Vorgesetzten keineswegs autorisiert wird, sich von Polizeiseite aus mit dem Vorfall zu befassen, beginnt Heller zu ermitteln. Denn nichts ist schlimmer für den grundehrlichen und um Gerechtigkeit bemühten Mann, der mit seinem Charakter regelmäßig aneckt, als ein lösbarer Fall, der wegen Rücksichtnahme auf Personen, die herausragende Positionen in der Gesellschaft einnehmen, ad acta gelegt wird.
Allein mit seinen Ermittlungen gegen zwei Reeder, die sich um die lukrative Schifffahrtslizenz für Lastdampfer auf der Elbe bemühen, tritt Heller alsbald in mehr als nur ein Fettnäpfchen. Der Dresdener Freiherr von Kelb, ein Neuling in der Schifffahrtsbranche, und der aus Hamburg des guten Geschäfts wegen in den Osten gekommene, erfahrene und gutbetuchte Schiffseigner Alwin Engelbrecht, versuchen, sich gegenseitig auszustechen, um den Zuschlag von dem für die Vergabe der Flussfahrtkonzessionen verantwortlichen Gremium für ihr jeweiliges Unternehmen zu bekommen. Dass sie dafür mehr tun würden als lediglich ein paar für die Lizenzerteilung wichtige Beamte zu bestechen, ist Heller schnell klar.
Allerdings macht er sich keinen Begriff davon, wie weit der Einfluss der beiden Konkurrenten reicht und dass einer der beiden selbst vor Mord und Brandstiftung nicht zurückschreckt, wenn es gilt, das gesteckte Ziel zu erreichen. Und so sieht sich Goldammers Held nicht nur bald beruflich von seinen Vorgesetzten in die Enge gedrängt, sondern muss sich und die Seinen auch noch mit der Waffe in der Hand vor einer auf ihn und seine Familie angesetzten Mörderbande verteidigen. Dass er zunächst Jagd auf den falschen Verdächtigen macht, bringt den Kriminalrat zunächst auf die Abschussliste der verantwortlichen Ministeriellen. Da muss dann schon ein Deus ex Machina in Gestalt des sächsischen Königs Albert her, um die Dinge doch noch zum Guten zu wenden.
Ein interessanter Vorfahre
Mit Gustav Johann Heller hat Frank Goldammer seinem Dresdener Kommissar Max Heller einen interessanten Vorfahren erfunden. Wie Max, der nach einer Verschüttung im Ersten Weltkrieg traumatisiert nach Dresden zurückkehrt und sich mühevoll und nicht ohne Rückschläge seine Position in der Nachkriegsgesellschaft erarbeiten muss, hat auch sein Großvater einen Krieg, den Deutsch-Französischen 1870/71, im Rücken. Töten und Sterben an der Front haben ihn gelehrt, den Wert jedes einzelnen Menschenlebens hochzuschätzen und zu verteidigen. Seine Aufgabe als Polizist sieht der Rittmeister und Gutsbesitzer deshalb darin, dem Recht ohne Rücksicht auf die Personen, die es verletzen, zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist nicht immer leicht und stürzt ihn in etliche Konflikte. Mit seinem Assistenten Adelbert Schrumm an der Seite und dem großen familiären Rückhalt durch seine Frau Helene, Tochter Johanna und Sohn Albert, denen er ein liebe- und rücksichtsvoller Ehemann und Vater ist, befindet er sich freilich auf einem guten Weg.
In dem zuletzt erschienenen, zwischen 1917 und 1924 spielenden Prequel der Max-Heller-Serie mit dem Titel In Zeiten des Verbrechens – Max Hellers erster Fall (2023) hatte der Großvater des Helden im Übrigen bereits einen ersten kleinen Auftritt. Dort führte seine Überzeugung, dass sein Enkel ihm, was Eigensinn, Intelligenz und den ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit betraf, durchaus ähnlich war, dazu, ihn über eine kurze, aber lehrreiche Zwischenstation als Schutzpolizist für den Dienst bei der Kriminalabteilung zu empfehlen. Dass er das ohne das Einverständnis von Max‘ Eltern tun musste, lag daran, dass er sich offenbar in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend von der Familie entfremdet hatte und erst nach vielen Jahren wieder versucht, Kontakt mit einem seiner Nachfahren aufzunehmen. Vielleicht erzählt uns Frank Goldammer in den zu erwartenden weiteren Bänden seiner neuen Reihe auch, wie es zu dieser Entfremdung kam. Eine kleine, knapp 15-seitige Leseprobe aus dem für das Frühjahr 2025 angekündigten Folgeband von Tod auf der Elbe macht schon ein wenig Lust auf mehr.
Titelangaben
Frank Goldammer: Tod auf der Elbe. Kriminalrat Gustav Heller
München: dtv 2024
400 Seiten, 17 Euro
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