Liebeslügen zwischen Leipzig und Lagos

Roman | Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir?

Wenn der Himmel grau über der Stadt hängt und der Tag wenig Verheißungsvolles verspricht, könnte jede am Handy aufploppende Nachricht die Flucht in eine reizvolle Parallelwelt eröffnen. Martina Hefter spielt in ihrem aktuellen Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? verschiedene Lebens- und Realitätsebenen durch. Von INGEBORG JAISER

Juno und Jupiter kreisen umeinander, wie durch eigenwillige Gravitationskräfte gelenkt. Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein.  Hier die fitnessorientierte Performancekünstlerin Juno, die sechs Mal in der Woche ins Balletttraining geht (»Wegen der Körperspannung. Wegen der Haltung.«) und selbst Gymnastikkurse gibt (wegen des Geldes) – dort ihr Partner Jupiter, der an einer chronischen neurologischen Krankheit leidet, die schubweise voranschreitet und seinen Aktionsradius immer weiter einschränkt. Vom Bett kann er nur noch unter Mühen zu Rollator oder Rollstuhl wechseln. Seine Pflegebedürftigkeit lähmt auch Juno: die Verantwortung, die auf ihr lastet, hat unweigerlich Unruhe, Schlaflosigkeit, Vereinsamung zur Folge.

Wenn sie nachts in ihrem Zimmer liegt und dem Brummen des Pflegebetts im Nebenzimmer lauscht, vertreibt sie sich die Zeit in einer Parallelwelt am Handy. Sie weiß, dass sich hinter den vermeintlich attraktiven, sportlichen, braungebrannten Männern mit graumelierten Schläfen, die ihr als PhilGibson1973 oder JimmyTaylor354 schmeichelhafte Nachrichten schicken, leider Love-Scammer verbergen: »In Wahrheit saßen jüngere Männer in einem Internetcafé irgendwo weit weg und tippten kitschige Lügen in den Rechner.« Zuweilen vermischt sich Neugierde mit kleinen, süßen Gemeinheiten, wenn Juno ihrerseits wie in einem Ping-Pong-Spiel Lügen zurückschickt. Nur mit Benu aus Nigeria verhält es sich anders. Denkt sie zumindest. Dass es kein Happy End geben wird, ahnt man als Leser schon bald.

Selbstverleugnung und Disziplin

Das könnte das dominierende Sujet dieses Romans sein. Wenn es nicht von weitaus dringlicheren Themen überlagert würde: den prekären Verhältnisse freischaffender Künstler, der Überforderung in alltäglichen Pflegesituationen, dem dünnen Faden, an dem manches fragile Lebenskonstrukt hängt. Nüchtern, zurückhaltend und lakonisch erzählt Martina Hefter vom gleichbleibenden Ringen um Würde und Anstand, von wackligen finanziellen Arrangements zwischen Pflegegeld und sparsam gestreuten Fördermitteln.  Mit falschen Vorstellungen vom romantischen Künstlerdasein wird ziemlich schroff abgerechnet. Nein, das Wichtigste ist nicht Talent: »Die einzige Voraussetzung war, dass man lange Zeit von Haferflocken leben konnte und es nicht schlimm fand.«

Die Beklemmung lauert hinter vermeintlich harmlosen Szenen. Als die jährliche Begutachtung Jupiters durch die Pflegekasse ansteht, kommt es zu peinlichen Dialogen. »Sie sind ja beide ganz schön schmal, sagte die Frau. Kochen Sie auch ausreichende Mengen? Pause. Wir sind so geboren, sagte Juno dann. Wir sind schmale Menschen. Ich finde das eigentlich ganz schön.« Das Arrangement erfordert Selbstverleugnung und Disziplin, ein hohes Maß an Bedürfnislosigkeit, auch untereinander. »Gab es Bohnen und Reis, ließ Juno Jupiter jedes Mal mehr als die Hälfte im Topf, aber Jupiter nahm sich immer nur exakt die Hälfte. […] Jupi sagte: Du brauchst Kraft, und Juno sagte zu Jupi das Gleiche. Hungern mussten sie nicht, aber sie waren auf der Hut.«

Nur dieses eine, besondere Leben

Man darf vermuten, dass die Autorin Martina Hefter – 1965 in Pfronten im Allgäu geboren, aber schon lange in als Schriftstellerin und Performerin in Leipzig lebend – eigene Erfahrungen in ihren aktuellen Roman einfließen ließ, ungeschönte Wahrheiten über das deutsche Pflegesystem oder die „normale Selbstausbeutung“ als freie Kulturschaffende. Wie ihre Protagonistin Juno arbeitet auch Martina Hefter an der szenischen Umsetzung eigener lyrischer Arbeiten, für die sie in diesem Jahr den Großen Preis des Deutschen Literaturfons erhalten hat.  Was diese Würdigung auch an finanzieller Erleichterung bedeutet, lässt sich spätestens nach der Lektüre des aktuellen Romans ermessen, der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde.

Und dennoch: Hey guten Morgen, wie geht es dir? könnte man als nüchternes Kammerspiel einer prekären Künstlerexistenz lesen, wenn nicht kleine Lichtblicke aufblitzen würde, eine aufbäumende Lust am Leben, trotz aller Widrigkeiten.  Juno erkämpft sich ihre Freiräume – und seien sie noch so beengt. »Juno trat in den Ballettsaal und sofort war die Erde schön und hell. Sofort war der Ballettsaal ein Kästchen, in dem das Leben spielt, und nur dieses eine, besondere Leben, das man nun mal hatte.«

| Ingeborg Jaiser

Titelangaben
Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Stuttgart: Klett-Cotta 2024
224 Seiten. 22 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Grenzüberschreitungen

Nächster Artikel

Vertrieben

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Strahlend in die Zukunft

Roman | Christoph Peters: Dorfroman
Der geplante Bau eines Kernkraftwerkes spaltet die Gesellschaft und zieht tiefe Gräben durch eine konservativ-katholische Dorfgemeinschaft am Niederrhein. Christoph Peters Dorfroman erzählt eine aufwühlende Zeit aus der Perspektive eines heranwachsenden Jugendlichen, der seine erste große Liebe erlebt und dabei zwischen die Fronten gerät. Von INGEBORG JAISER

Keine Pause, keine Ruhe, keine Kraft

Roman | Lukas Bärfuss: Die Krume Brot

»Welchen Faden ich auch immer aufnehme, hinter der nächsten oder spätestens der übernächsten Ecke führt er zu einem Massengrab«, hatte der 52-jährige Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss in seiner Dankesrede erklärt, als er 2019 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wurde. Soeben ist sein neuer Roman Die Krume Brot erschienen. Von PETER MOHR

Das verrückte Spielfeld des Romans

Roman | Martin Lechner, Tobias Premper – ein Gespräch

Wie entsteht die Idee zu einem Roman, was macht die Arbeit daran aus und was kommt danach? Martin Lechner und Tobias Premper sprechen über ihr Schreiben und ihre in diesem Jahr erschienenen Romane ›Die Verwilderung‹ (Residenz) und ›Sommer Ende‹ (Steidl).

Nicht nur Nixon erlebte sein Watergate

Roman | Ross Thomas: Dann sei wenigstens vorsichtig Was wäre ein Krimijahr ohne ein neues Buch von Ross Thomas. Na gut, das »neu« sollte man richtig verstehen. Denn erstens ist der amerikanische Autor bereits seit 23 Jahren tot und zweitens stammt sein jetzt erschienener Thriller Dann sei wenigstens vorsichtig aus dem Jahre 1973. Das Adjektiv »neu« indes rechtfertigt nicht nur der aktualisierte deutsche Titel – die Ullstein-Erstausgabe von 1974 hieß Nur laß dich nicht erwischen –, sondern auch die Tatsache, dass man das Buch nun endlich ungekürzt und in einer neuen Übersetzung lesen kann. Alles wie gehabt beim Berliner Alexander

Japan liegt an der Ostsee

Roman | Christoph Peters: Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln Hatte der Autor Christoph Peters die Absicht, einen Roman über eine aussterbende Berufsgattung zu schreiben? Oder gibt er der Agentur für Arbeit Tipps für Berufsinformation einmal anders? Jedenfalls wählt Peters in seinem neuen Roman ›Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln‹ – wie zuvor schon in ›Mitsukos Restaurant‹ (2009) – erneut ein kulturell etwas abseitiges Thema, den fast ein wenig marginal erscheinenden Beruf des japanischen Zen-Töpfers. Der Autor blickt dabei mit viel Humor auf diese alte fernöstliche Handwerkstradition, die sich ein deutscher Wandergeselle mit gewerkschaftlich erkämpften Rechten nicht freiwillig aussuchen würde. Was Peters uns in