Roman | Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
Sie sind allesamt um die Vierzig, haben eine gute Ausbildung und Ansprüche an das Leben. Und dennoch scheitert Die Liebe im Ernstfall an Verletzungen, Verirrungen, Dissonanzen. Daniela Krien entwirft in ihrem neuen Roman fünf Frauenschicksale und Lebensentwürfe als exemplarische soziologische Versuchsanordnung. Und das in einer ungeschönten, klaren Sprache, deren Ungeheuerlichkeit oft zum mehrmaligen Lesen zwingt. Von INGEBORG JAISER
Allein das Covermotiv ist schon Programm: da steht eine wohlgeformte, sportlich wirkende Frau in einem blütenweißen Badeanzug an der äußersten Kante eines Sprungbretts und blickt in die Tiefe. Ihr Gesichtsausdruck lässt sich jedoch nicht erkennen; er könnte Mut, Angst, Vorsicht ausdrücken oder ganz nüchtern Distanz und Risiko ausloten. Judith könnte diese Frau heißen – oder Paula, Brida, Malika, Jorinde.
Wie die titelgebenden Hauptpersonen der fünf Geschichten dieses Buches. Denn auch wenn Die Liebe im Ernstfall die Genrebezeichnung »Roman« trägt, sind die geschickt miteinander verwobenen fünf Erzählungen eher ein Episodenroman, ein Schnitzler´scher Drama-Reigen mit moderner Ausprägung und veränderten Vorzeichen.
Rastloser Reigen
Alle Frauen suchen das Glück, die Liebe – und schrammen doch haarscharf daran vorbei. Wie die Buchhändlerin Paula, die dem rigiden Gutmenschengehabe ihres Partners Ludger nicht mehr folgen kann und am Tod ihres zweiten Kindes zerbricht. Wie die arrivierte Ärztin Judith, die sich ihre wechselnden Liebschaften scheinbar abgebrüht aus Dating-Portalen zusammenklaubt und insgeheim doch nur um Geborgenheit fleht.
Oder wie die Schriftstellerin Brida Lichtblau (vielleicht eine Blaupause der Autorin Daniela Krien?), die sich zwischen Kinder, Mann und dem Schreiben aufreibt, mit dem bitteren Fazit: »Nun, fast zwanzig Jahre später, kommt es ihr vor, als wären ihr alle Knochen einmal gebrochen, die Haut vom Leib gezogen und die Träume zerschmettert worden.« Die ungleichen Schwester Malika und Jorinde versuchen wiederum trickreich, der verlogenen Ehe ihrer Eltern und den eigenen ernüchternden Erfahrungen ein neues Lebensmodell entgegenzusetzen: ein reiner Frauenhaushalt mit drei Kindern, aber ganz ohne Männer.
Soziologische Versuchsanordnungen
Die Liebe im Ernstfall bewegt sich zwischen Wunsch und Realität, zwischen der offensichtlichen Unvereinbarkeit von Beruf, Familie, Selbstverwirklichung. Etwas Wertvolles bleibt immer auf der Strecke: mal sind es der Partner oder die Kinder, mal eine persönliche Chance oder gar die eigene Würde. Trotz aller erkämpften Errungenschaften durchzieht eine bittersüße Schwermut sämtliche Lebensentwürfe. Es wird gelogen und betrogen, taktiert und laviert, verletzt und gepetzt.
Dabei sind doch alle Beteiligten mit besten Bemühungen angetreten. So wie die Ärztin Judith ihre Internet-Bekanntschaften zähmt: »Der Ton war geschäftlich. Als wäre die Liebe ein Vertragsgegenstand, prüften sie die einzelnen Paragraphen auf ihre Tücken hin, handelten aus und einigten sich.« Mit Vernunft und Verstand wird versucht, das Leben auf ein besonnenes Arrangement herunterzubrechen: »Das, was die Leute Schicksal nennen, ist nichts anderes als die Summe ihrer Entscheidungen.« Und dennoch lässt sich das Lebensglück nicht allein mit gutem Willen erwirken.
Tatort Leipzig
Acht Jahre sind vergangen seit Daniela Kriens überraschendem Debütroman Irgendwann werden wir uns alles erzählen, dessen Verfilmung derzeit in Vorbereitung ist. Auch Die Liebe im Ernstfall überzeugt durch große bildliche Kraft. Die fünf Geschichten spielen allesamt in Leipzig und sind hier real verortet: im Rosental, im Café Telegraph, im Stadtteil Gohlis.
Leipzig ist auch der Wohnort von Daniela Krien, die dennoch nicht die dortige literarische Kaderschmiede durchlaufen hat (glücklicherweise, will man fast hinterherschieben). Wie schnell ein ambitionierter Lebensentwurf zerbrechen kann, hat die Autorin am eigenen Leib erfahren. Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder (eines davon schwerbehindert) weiß sie sehr gut um die einengende Einschränkung der Möglichkeiten, auch wenn einem die Welt ungeahnte Freiheiten vorgaukelt.
So bleibt die Suche nach Liebe ein anstrengender lebenslanger Versuch, ohne Netz und doppeltem Boden. Wie damit umzugehen ist, muss jeder selbst ausloten. Der Titel des Covermotivs (nach einem Gemälde von Eric Zener) lautet übrigens »Faith«, Vertrauen.
Titelangaben
Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall
Zürich: Diogenes 2019
287 Seiten. 22.- Euro
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