Vielleicht tut man Friederike Mayröcker mit der Behauptung unrecht, dass ihre Arbeiten in den letzten Jahren zugänglicher und verständlicher geworden sind. Aus der genauen Arbeit mit dem Material der Sprache hat sich eine zunehmend geschärfte autobiographische Prosa entwickelt, die gerade mit dem neuen Buch einen Blick auf ihre Beziehung zu Ernst Jandl ermöglicht. Von THOMAS COMBRINK
Zugegeben: Der Anfang scheint für die unzähligen Möglichkeiten Friederike Mayröckers, die deutsche Sprache in einen gleichmäßigen, nuanciert-akzentuierten Rhythmus zu versetzen, fast ein wenig unrund. »meine Nerven waren sehr aufgeregt, und Gertrude Stein sagt, in dem Gesicht stand dasz er, wenn er ein Stück Wiese angeschaut hatte, es immer ein Stück Wiese für ihn gewesen wäre«. Vielleicht ist diese syntaktische Kurzatmigkeit auch nur ein Ausdruck der derangierten inneren Gestimmtheit. Wenn die Nerven verrückt spielen, dann kann auch die Schreibhand, die in diesem Fall den Umweg über die Tastatur der Schreibmaschine geht, keine ruhigen und gleichmäßigen Sätze mehr formen.
»Und ich schüttelte einen Liebling« heißt das neue Buch der 1924 in Wien geborenen Friederike Mayröcker, und es ist wie so viele ihrer Bücher auch dieses Mal eine sehr persönliche Arbeit, ein Text vor allem über das Abschiednehmen von ihrem Lebens- und Schriftstellergefährten Ernst Jandl, diesem bedeutenden Lyriker, der im Jahre 2000 verstarb. Dabei könnte man bereits bei dem Titel auf die Idee kommen, dass sich hinter dem Liebling Ernst Jandl verbirgt, aber Mayröcker betonte in einem Interview, dass mit dem Liebling in erster Linie die Sprache gemeint ist, die man so lange schüttelt, bis etwas herauskommt.
Nun, Friederike Mayröcker hat in der Tat am Baum der Sprache gerüttelt, vermutlich nicht so heftig wie in den Büchern ihrer experimentellen Phase, und doch meint man durch das Erzähler-Ich hindurch auf eine Autorin blicken zu können, die sich in ihrem Leben ganz auf die Sprache und die dichterischen Formen, die im intensiven Dialog mit dem Material der Sprache entstehen, kapriziert hat. »Ich lasse mich von meiner Sprache tragen als sei ich ausgestattet mit Fittichen und es trüge mich in die Lüfte, aber ich sehe es nicht und es musz von alleine kommen.« Es sind gerade diese Höhenflüge, bei der die Erzählerin den Sichtkontakt zum Boden behält, denn den Erschütterungen und Verlusten der Vergangenheit zollt sie Tribut. Denn »Und ich schüttelte einen Liebling« ist ein Akt des Bilanzierens, des Aufrechnens verpasster Chancen und des sich Klarwerdens über die Bedeutung verstorbener Menschen. Die Beziehung zum Vater und das Verhältnis zur Mutter sind Gegenstand von Betrachtungen, die als in Splitterform artikulierte Erinnerungsstücke in den Text geschleust werden. »Und wenn Mutter zum Essen rief, kamen alle sehr hungrig zu Tisch nur ich kam nicht, denn ich hatte keinen Appetit, ich hatte nie Appetit, wenn ich den ganzen Morgen geschrieben hatte, und Mutter erklärte der übrigen Familie die irritiert war, dasz ich nicht zum Essen kam, Mutter sagte, sie kann nicht essen, wenn sie den ganzen Vormittag, usw., so war sie immer auf meiner Seite, nicht wahr.« Autobiographie könnte man dieses Verfahren nennen, wenn sich nicht auch die häufigen Momente der Verfremdung, der Abkehr von den Prinzipien realistischer und wirklichkeitsgetreuer Prosa finden ließen.
Friederike Mayröcker umspielt mit diesem Buch die Arbeit einer Schriftstellerin, deren Literatur ihr in den letzten Jahren immer mehr ans Herz gewachsen ist. Es geht um Gertrude Stein, die große Avantgardistin, die mit ihrem sprachexperimentellen Texten ganze Generationen von Schriftstellern beeinflusst hat. Dabei verwundert es doch, dass Mayröcker sich in »Und ich schüttelte einen Liebling« auf ein Buch von Stein bezieht, dass ungemein konventionell, ja fast schon bieder erzählt ist. »Die Autobiographie von Alice B. Toklas«, deren deutsche Neuübersetzung demnächst im Arche Verlag erscheint, schildert in reihender, anekdotenhafter Form die Pariser Zeit von Miss Stein, die mit wirklich jedem Künstler von Rang und Namen zu dieser Zeit Kontakt hatte. Der erzählerische Kniff der »Autobiographie« und ein Moment, das Friederike Mayröcker begeistert hat, ist die fingierte Form autobiographischen Schreibens. Am Schluss des Buches stellt sich nämlich heraus, dass nicht Alice B. Toklas, sondern Gertrude Stein diesen Lebensweg so dargestellt hat.
Im Gegensatz zu der »Autobiographie« wirkt die jüngste Prosa von Friederike Mayröcker weitaus frischer, es scheint, als würde hier wesentlich freier geatmet, was vermutlich auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass Mayröcker vielstimmiger, komplizierter und subtiler ihre schriftstellerischen Mittel ausschöpft. Es sind die analytischen Fähigkeiten von Friederike Mayröcker, die aus der Sprache selbst eine Wirklichkeit entwickeln kann, und gleichzeitig aus den Erfahrungen ihres nunmehr langen und auch verlustreichen Lebens schöpft, um dieses Buch mit Emotionen anzureichern, die nur an wenigen Stellen einen leichten Hang zum kitschigen Pathos erkennen lassen.
Titelangaben
Friederike Mayröcker: Und ich schüttelte einen Liebling
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005
238 Seiten, 19,80 Euro