Ein gesundheitlicher Einschnitt zwingt zum Innehalten und Bilanzziehen. Auch Munk, der Protagonist aus Jan Weilers neuestem Roman, lässt sein Leben noch einmal Revue passieren, entlang seinen Liebschaften der letzten Jahrzehnte. Beginnend vom Partykeller- bis zum Social-Media-Zeitalter. Eine anregende Lektüre nicht nur für Patienten mit Broken-Heart-Syndrom. Von INGEBORG JAISER
»Als Peter Munk zwei Tage nach seinem einundfünfzigsten Geburtstag auf der Rolltreppe des Globus zwischen der zweiten und dritten Etage einen Herzinfarkt erlitt, ergriff ihn weder Todesangst noch Verunsicherung, sondern reine Empörung.« Das sitzt. Dieser Romananfang katapultiert uns umgehend ins Geschehen, ganz ohne Ouvertüre und Vorgeplänkel. Denn Munk, erfolgreicher Freiburger Architekt und Golfspieler, Nichtraucher und höchstens mäßiger Trinker, hat allen Grund, diesen Vorfall als Kränkung zu empfinden.
Nachdem ihm in einer vierstündigen Operation ein Bypass gelegt wurde, ist er zumindest wieder fähig, sich eine standesgemäße Reha-Einrichtung zu suchen: das Schwarzwälder Mönchhof-Resort, ein Fünfsternehotel mit Beautyfarm und Spa und Barcelona Chairs in den Lounges. Davon dürften die meisten Leser in einer ähnlichen Situation nur träumen – doch auch dafür ist Literatur gemacht. Selbst wer die Hauptfigur aus Wilhelm Hauffs Das kalte Herz bislang verdrängt hatte, wird spätestens bei all den namentlichen Referenzen wieder auf die richtige Spur gelenkt.
Krankheit als Chance?
Zwischen Selleriesäften und Waldspaziergängen ist Munk durchaus gewillt, seinem bisherigen Leben eine kritische Rückschau zu gönnen. »Es war, als habe er jahrelang irrtümlich das Geräusch einer Autobahn zu Meeresrauschen umgedeutet und sei erst jetzt darauf gekommen, dass es sich in Wahrheit um unerträglichen Lärm handelte.« Noch forciert wird die Retrospektion durch die Anregung des Psychotherapeuten, Munk solle die wichtigsten Beziehungen in seinem Leben auflisten und klären, wer ihm so das Herz gebrochen habe.
Wie in einem Liebesreigen tänzeln durch Munks Erinnerung die 13 (oder 14?) Frauen seines Lebens, gleich Nummerngirls in einer Revue. Die Chronologie der Aufzählung ist trefflich ausgeschmückt mit Ortswechseln, Musikrichtungen und Modetrends der vergangenen Jahrzehnte. Beginnend mit Nadja (»Sie wurde ganz klamm und kalt wie ein über Nacht vergessenes Badehandtuch.«) über eine Beinahe-Hochzeit mit der schlagerliebenden Heike (»Hölle, Hölle, Hölle«) bis zu einer Phase der Stagnation mit Claudia (»Mit Ende dreißig war Munk ein sogenannter Stararchitekt, der nun öfter in den Zeitschriften vorkam, die er selbst als Student schon abonniert hatte.«).
Die Summe aller Frauen
Die gekonnt mit Situationskomik und Zeitgeschmack ausstaffierten Episoden mögen noch spannend in der ursprünglichen Konzeption gewesen sein – als 52teilige Fortsetzungsgeschichte und Auftragsarbeit für die NZZ am Sonntag. Schmeichlerisch verlegt Jan Weiler so den Ausgangsort des Geschehens nach Zürich: »Er fand, dort zu leben, sei wie in einem warmen Apfelkuchen zu wohnen.« Doch angereichert und aufgeplustert auf eine Romanlänge von 380 Seiten tritt die Gefahr der Ermüdung ein und der Impuls, unkonzentriert ein paar Seiten zu überblättern, um dem angekündigten überraschenden Ausgang näher zu kommen.
Dabei gilt Jan Weiler als Garant für pointiert humorvolle Unterhaltung. Sein Bestseller Maria, ihm schmeckt´s nicht (2003) war eines der erfolgreichsten Überraschungsdebüts der letzten Dekaden, mit einem Titel, der sich fast schon zum geflügelten Wort entwickelt hat. Die Nominierung seines Romans Der Markisenmann ((2022) für den Literaturpreis Ruhr verweist auf ein genaues Gespür für Lokalkolorit und Milieustudien. So begeistert auch Munk mit feinen regionalen Seitenhieben auf öde Orte zwischen Düren und Heidenheim an der Brenz. Wer Spaß daran hat, sollte unbedingt In meinem kleinen Land (2006) noch einmal wiederlesen. Oder einem der Hörbücher lauschen, die Jan Weiler selbst eingesprochen hat. Sein Talent zum Vorlesen, zum wohl modulierten Vortrag, dürfte wiederum seiner Kindheit im rheinischen Meerbusch zuzuschreiben sein. Damit meistert er auch bravourös das überraschende Ende von Munk, einem Akt der kollektiven weiblichen Selbstermächtigung. War vielleicht doch alles ganz anders?
Titelangaben
Jan Weiler: Munk
München: Heyne 2024
380 Seiten. 24 Euro
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