/

Allzeit unzeitgemäß

Menschen | ›Das Schattengetuschel‹ – der neue Band zum 80. Geburtstag von Botho Strauß am 2. Dezember

»Für mich wäre es das Schlimmste, aufs Schlimmste nicht gefasst zu sein«, schreibt Botho Strauß in seinem neuen, ohne Genrebezeichnung veröffentlichten Band ›Das Schattengetuschel‹. Das Buch besteht aus drei mehr oder weniger zusammenhanglosen Teilen. Zu Beginn begegnen wir kunstvoll arrangierten Prosa-Miniaturen, der essayistisch geprägte Mittelteil kreist um poetische Fragen und das Selbstverständnis als Dichter, den Abschluss bilden brillant pointierte, messerscharfe Aphorismen. Von PETER MOHR

Papierstreifen bilden ein GeflechtDer einleitende Text mit dem komplizierten Titel ›Um uns im Raum ein ruheloses Flüstern, als käm es von tuschelnden Schatten‹ reißt uns gleich mit in die Straußsche Theaterwelt, in der sich alles wie ein durch kalkuliertes Bühnenspektakel anfühlt: »Der Vorhang geht auf. Man sieht Menschen beim Leben erwischt. Sie erstarren und stehen steif auf der Stelle.« Die meisten Figuren wirken wie vom realen Leben entrückt, ein wenig skurril und dramatisch zugespitzt – so etwa eine dünne, junge, auffallend unzeitgemäß gekleidete Frau, die allein vor einem Mikrofon steht. »Man muss eine Menge Welt malen, bis eines Menschen Verlorenheit darin zum Vorschein kommt.« Strauß seziert seine Figuren und versucht durch das Stilmittel der Übertreibung die psychischen Deformationen freizulegen.

Der Mittelteil präsentiert uns den skeptischen Kulturkritiker, der sich mit großer Vehemenz gegen die Gender-Sprache und die künstliche Intelligenz wehrt und die Verdummung durch die digitalen Medien anprangert. »Der allzeit Unzeitgemäße suchte noch einmal zur Größe seiner Vorbilder sich aufzurichten. Wie ein Blitz wollte er zwischen die Heute-Anbeter fahren, Schrecken verbreiten, die bittere Schelte über sie bringen. Wollte ihnen das Leid-Wesen wiederentdecken, sie zwingen aufzublicken statt scheel aufs Display.«

Botho Strauß hat über viele Jahre als konservativer Querdenker, als polemisch-provozierender Intellektueller auch abseits von Literatur und Theater für Furore gesorgt. Vor fünfzehn Jahren hatte er noch »verführen, amüsieren, provozieren und beleben« als wichtigste Aufgaben des Autors bezeichnet und diese Attitüde auch noch in seinem Essayband ›Der Fortführer‹ (2018) mit großem Furor gepflegt. Da war sie noch einmal deutlich vernehmbar, die mahnende Stimme des Zweiflers und Skeptikers, der einst das Internet als »Logbuch einer weltweiten Mitteilungsinkontinenz« bezeichnet hatte.

Und doch ist der exzentrische Nonkonformist Botho Strauß, der zur Melancholie neigende erzählerische Philosoph und Zeitgeistkritiker, in Summe deutlich ruhiger geworden und schlägt neuerdings auch versöhnliche Töne an. Es begann schon vor zehn Jahren mit dem autobiografischen Band ›Herkunft‹. Darin blickte er geradezu melancholisch auf seine Kindheit in Bad Ems zurück. Das schmale Bändchen las sich wie ein verspätetes Liebesbekenntnis zu seinen Eltern. Er versöhnte sich mit seinem autoritären Vater, der einst schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt war.

Bekannt geworden ist Botho Strauß, der heute vor 80 Jahren in Naumburg an der Saale geboren wurde, in jungen Jahren zunächst als Dramatiker, nachdem er nach abgebrochenem Studium zuvor drei Jahre als Journalist für die Zeitschrift ›Theater heute‹ gearbeitet hatte. Seine beiden ersten Theaterstücke, ›Die Hypochonder‹ (1972) und ›Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle‹ (1974) wurden von der Kritik geradezu hymnisch gefeiert. 1975 gab er seinen Job als Dramaturg an der Berliner Schaubühne auf und widmete sich ausschließlich seiner schriftstellerischen Arbeit. ›Paare, Passanten‹ (1981), ›Der junge Mann‹ (1984), ›Das Partikular‹ (2000) und ›Mikado‹ (2006) sind einige der wichtigsten Prosaveröffentlichungen aus der Feder des abwechselnd in Berlin und in der Uckermark lebenden Georg-Büchner-Preisträgers von 1989.

»Man ist im Alter bereit zum geschlossenen Vollzug der Langeweile. Aber der Wahnsinn, Ausbund falscher Freiheit, ist nicht mehr interessant«, ließ Strauß eine Figur im Band ›Zu oft umsonst gelächelt‹ (2019) sagen. Worte, die wie eine treffende Selbstcharakterisierung anmuten.

Nicht mehr ganz so zornig wie einst, nur noch selten rebellisch, und schon gar nicht mehr provozierend: Botho Strauß hat für sich einen neuen Ton gefunden. Er kommt daher wie ein tänzelnder Harlekin mit einer leicht pathetisch anmutenden spöttelnd-hintersinnigen Prosa.

| PETER MOHR

Titelangaben
Botho Strauß: Das Schattengetuschel
München: Carl Hanser Verlag 2024
230 Seiten, 26 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Uneindeutig

Nächster Artikel

Alchemie: Die Suche nach Gold und spiritueller Weisheit

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

»Ich arbeite wie ein Maler«

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Dieter Forte »Manchmal denke ich, ich bin ein Fremder auf dieser Welt«, bekannte der Schriftsteller Dieter Forte 1998 in einem Interview. Sein großes literarisches Sujet stellte sich tatsächlich quer zum Zeitgeist: Die seelischen Verwundungen der Nachkriegszeit, die unsichtbaren Narben und Traumata, die durch Hunger und totale Zerstörung des Lebensraumes ausgelöst wurden, hat Forte zum Thema seiner vier großen Romane gemacht, die seit 1992 erschienen sind. Ein Porträt von PETER MOHR

Der Sommer der Ressentimentalisten

Thema | Martin Walsers ›Tod eines Kritikers‹

Ich ging in die Ferien, als die jüngste Walserei ausbrach. Dort, wo ich mich rund 3 Wochen aufhielt, im Süden Frankreichs, wäre es schwierig gewesen, an deutsche Blätter zu kommen. Ich habe es nicht versucht – um meinen »Seelenfrieden« (Martin Walser) wenigstens im Urlaub zu bewahren. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Skepsis, Leidenschaft und visionäre Kraft

Menschen | Zum 100. Geburtstag von Doris Lessing »Als ich jung war, hießen die weltbeherrschenden Themen Nazideutschland, Mussolini, das britische Empire, die Sowjetunion. Mir war zwar immer klar, dass die Welt sich schnell verändert, aber dass am Ende meines Lebens nichts von alldem mehr existieren würde, hätte ich nie gedacht«, hatte Nobelpreisträgerin Doris Lessing in den späten 1980er Jahren erklärt. Und ihr Leben selbst hätte tatsächlich genügend Stoff für ein opulentes Erzählepos hergegeben. Von PETER MOHR

Das Leben ist ein Gespräch

Menschen | Tankred Dorst zum 90. Geburtstag Zum 90. Geburtstag des Georg-Büchner-Preisträgers Tankred Dorst am 19. Dezember. Von PETER MOHR

Er liebte die extremen Töne

Menschen | 100. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki am 2. Juni

Er war ein begnadeter Selbstinszenierer, eitel und polarisierend. Er hat sich gern dem Mainstream widersetzt und genoss seinen Status als spät inthronisierter Popstar der Bücherwelt. Und doch hat er unendlich viel für die Literatur im deutschen Sprachraum getan: Die Rede ist von Marcel Reich-Ranicki. Von PETER MOHR