Alchemie: Die Suche nach Gold und spiritueller Weisheit

Sachbuch | David Brafman: Die Kunst der Alchemie – eine Weltgeschichte

Rückblickend betrachtet versprach die Alchemie wohl einfach zu viel: unedle Metalle in Gold zu verwandeln, Elixiere, die lebensverlängernd wirken, Erleuchtung, für diejenigen, die sich mit ihr beschäftigten. All diese Zusicherungen konnte die Alchemie unmöglich einlösen. Aber Alchemisten entdeckten einige nützliche Techniken, unter anderem für Kunst und Kunsthandwerk. Von MARTIN GEISER

Ein altertümlicher Wissenschaftler trägt eine große Glasphiole, aus der ein Spruchband mit dem Titel herausströmt.Was ist Alchemie? Eine fertige Definition liefert David Brafman in ›Die Kunst der Alchemie – Eine Weltgeschichte‹ wohl mit Absicht nicht. Vielmehr präsentiert das Buch eine Art Überblick, was sie was sie alles war. Und es zeigt sich: Der Alchemist als einsamer Tüftler im Labor stellte eher die klischeehafte Ausnahme dar. Was Brafman unter dem Begriff Alchemie einordnet, war äusserst vielseitig.
 
Alchemisten betätigten sich als Forscher, Philosophen, Hersteller von Farben und Alkohol, als Künstler, Buchautoren, Pharmazeuten. Diese Vielfalt zeigt einerseits, dass all diese Richtungen weniger klar getrennt waren als heute und dass das Wirken der Alchemisten eingebettet war in eine umfassende Suche nach Wissen und Sinn – in gewissen Fällen nach Erleuchtung und ewigem Leben.
 

Die Kunst der Alchemie

Mit dem ersten Teil des Buchtitels deutet Brafman an, dass es sich für ihn bei der Alchemie (unter anderem) um eine Form von Kunst handelt. Dies zeigt sich für ihn bereits in den ersten noch erhaltenen Texten: Darin geht es um die Geheimnisse der Metallbearbeitung, der Schmuckherstellung und der dekorativen Kosmetik. Diese schriftlichen Zeugnisse stammen aus der Gegend um das Tote Meer und aus Ägypten, mehrere Jahrtausende vor unsere Zeitrechnung.
 
Alchemistisches findet Brafman weiter in zahlreichen Texten aus dem antiken Griechenland. Darunter die Materietheorie des Empedokles mit seiner Vier-Elemente-Lehre aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. Sie stellte für die folgenden Jahrhunderte eine wichtige Säule der Alchemie dar. Gemäss dieser Lehre bestünde sämtliche Materie in unterschiedlicher Zusammensetzung aus den „Elementen“ Feuer, Wasser, Luft und Erde.
 
Auch einige der Schriften des Aristoteles sollten die Alchemisten der folgenden Jahrhunderte beeinflussen. Sie übernahmen daraus das Konzept der Seele, die Leben verlieh und des Geistes, einer Art göttlichen Hauchs. Diese Vorstellungen verliehen der Alchemie etwas Spirituelles und etwas Mystisches – genauso wie die Idee eines fünften Elements, der Quintessenz.
 
Um diesen Stoff bildeten sich zahlreiche Legenden: er könne unedle Metalle in Gold verwandeln und zur Herstellung eines lebensverlängernden Elixiers verwendet werden. Der „Stein der Weisen“ war je nach Interpretation identisch mit dieser Quintessenz oder liesse sich mit anderen Zutaten daraus herstellen. Auch an weiteren alchemistischen Legenden mangelt es in Brafmans Buch nicht.
 

Eine Weltgeschichte

Der Untertitel des Buchs deutet zweierlei an: Dass die Alchemie wichtiger Teil der Wissenschaftsgeschichte war und dass sie auf allen Kontinenten – zumindest der Alten Welt – betrieben wurde. Auch wenn Alchemisten über ihre Kenntnisse gerne ein Geheimnis machten, existierte doch ein Austausch über die Grenzen von Herrschaftsgebieten und gar Kontinenten: So zum Beispiel entlang der Handelsrouten, die später Seidenstrasse genannt werden sollten. Brafman erkennt grosse Parallelen von alchemistischen Praktiken und Ideen in verschiedenen Weltgegenden. So ist ›Die Kunst der Alchemie‹ auch eine Reise zu den Alchemisten in China, Indien und der islamischen Welt.
 
Dank Austausch und Forschung bescherte die Alchemie – unter anderem mit dem Herstellen von Farbpigmenten – der Kunst und dem Kunsthandwerk zahlreiche neue Möglichkeiten. Viele Ergebnisse dieser Fortschritte sind im Buch abgebildet. Das Cover des Buches zeigt zum Beispiel einen Ausschnitt einer Seite des wundervoll gestalteten Buches ›Splendor Solis‹. Weitere der zahlreichen Abbildungen zeigen Auszüge aus Büchern mit Laborausrüstungen, mit geheimnisvollen Symbolen und allegorischen Zeichnungen.
 
Herausgepickt sei hier vielleicht die sogenannte Ripley-Rolle. Die dem katholischen Geistlichen George Ripley zugeschriebene, fast sechs Meter lange Rolle stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist voller Allegorien und Symbole. Sie verweist auf das antike Ägypten und damit auf die lange Tradition der Alchemie. Eines der noch erhaltenen Exemplare der Rolle findet sich übrigens auch bei Google Arts & Culture. Die im Buch abgebildete Version ist allerdings noch etwas detailreicher gezeichnet.
 

Nicht leicht zu lesen

Während die Bebilderung des Buchs uneingeschränkt zu überzeugen vermag, ist dies beim Text nicht ganz der Fall: Kaum ein Abschnitt ohne verschachtelte Sätze und unscharfe oder komplizierte Formulierungen. Vielleicht soll dies zum mystischen Thema Alchemie passen, aber zahlreiche Leserinnen und Leser (inklusive des Rezensenten) würden bei einem Sachbuch klare, kurze Sätze zu schätzen wissen.
 
Als kleines Beispiel möge folgender Satz dienen: Der Kosmos ist das himmlische Meisterwerk der ars memoriae (Kunst der Erinnerung), er besteht aus miteinander verwobenen Mustern (also tantra) von Konzepten, angeordnet in dekorativer Ordnung und dargestellt in Bildern, die Substanz und Prozess symbolisieren.
 
Aber auch über diese sprachlichen Stolpersteine kann man letztlich hinwegsehen. Das Thema Alchemie wird umfassend bearbeitet und der gebotene Einblick ins Thema ist fesselnd. Und obwohl man die Alchemie heute zwar als esoterisch und pseudowissenschaftlich bezeichnen würde, bleibt der Eindruck zurück, dass die dahinterliegenden Ideen gar nicht so antiquiert sind.
 
Im Gegenteil: Die Vorstellungen von damals sind stets verlockend geblieben oder sind es im 21. Jahrhundert erst recht geworden: Seit künstliche Intelligenz riesige Fortschritte macht, beschäftigt die Idee, Leben künstlich zu erschaffen die Menschheit erneut. Und die Absicht, dem Tod möglichst lange ein Schnippchen zu schlagen, existiert weiter in der Forschung nach den Ursachen des Alterns und wie man dieses anhalten könnte.
 
| MARTIN GEISER

Titelangaben
David Brafman: Die Kunst der Alchemie – eine Weltgeschichte
(Art of Alchemy, 2023)
Bern: Haupt-Verlag 2024
175 Seiten, ca. 33 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Allzeit unzeitgemäß

Nächster Artikel

Kultur

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Nemos Korallenriff ist in Gefahr

Sachbuch | Richard Smith: Koralle & Co.

Die Schönheit dieser besonderen Natur, dieser Unterwasserwelt, mit der wir Normalsterblichen so selten oder nie in Berührung kommen, man bewundert sie, staunt, ist berauscht von der Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten. Zu all dem kommt heute aber noch ein absolut wichtiger Aspekt hinzu: Heute müssen wir diese Meereswelten leider als gefährdete Naturräume sehen, als Ökosysteme, die bedroht sind. BARBARA WEGMANN hat Einblicke in eine faszinierende Welt erhalten.

Einladungen zur Reise

Sachbücher | Atlanten

Es gibt ihn als Wirbel, als Gebirge oder als Bezeichnung für ein besonders glänzendes Gewebe. Aber wie die folgenden zwei Beispiele zeigen, ist ein Atlas auch eine Einladung auf Reisen zu gehen, in verschiedene Regionen, verschiedene Zeiten, zu verschiedenen Orten. BARBARA WEGMANN stellt die spannende Dreier-Mischung vor.

Streifzug mit royaler Begleitung

Sachbuch | Johan Erséus: Schweden entdecken

Sie mögen Schweden? Sie haben eine Schwäche für royale Häupter und Königshäuser? Und sie wandern vielleicht sogar noch gerne? Dann wird dies ein fantastischer Bildband sein, an dem sie nicht vorbeigehen sollten: Denn Sie hat ihren Traum verwirklicht und es letztlich uns allen vorgemacht: Kronprinzessin Victoria wanderte zwei Jahre lang immer mal wieder durch Ihr Land, wollte Ihr Land in allen Jahreszeiten erleben. Entstanden ist ein wunderschöner Bildband, natürlich für Schweden-Kenner, aber auch für die, die es werden wollen. BARBARA WEGMANN hat darin geblättert.

Der Western bleibt

Sachbuch | Anmerkungen zu Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität. Zur globalen Zirkulation des Western-Genres Man sollte über den Western vielleicht keine nüchternen Texte verfassen, das ist nur unter Schwierigkeiten möglich, und Thomas Klein weist in seiner hier rezensierten grundlegenden Untersuchung zurecht wiederholt darauf hin, dass dieses Genre sich facettenreich entwickelt und sich erfolgreich behauptet, indem es seine Erscheinung chamäleongleich verändert. Nun denn. Vielleicht gibt es dennoch einige Leitfäden. Von WOLF SENFF

Guten Appetit!

Kinderbuch | Paola Frattola Gebhardt, Leyla Köksal-Mergner: Die Welt schmecken und entdecken

Wenn zum Frühstück Müsli und Milch oder Brötchen und Marmelade auf dem Tisch stehen, finden wir das ganz normal: so beginnt man den Tag. Aber ganz so klar ist das nicht. Bei Imad in Marokko zum Beispiel gibt es Brot mit Öl zum Start in den Tag. Und auch sonst kann man schnell feststellen, dass anderswo anderes gegessen wird. ANDREA WANNER lief das Wasser im Mund zusammen bei dieser kulinarischen Weltreise.