Mosaikstein der Kulturgeschichte

Kurzprosa | Arno Schmidt: Der Briefwechsel mit Max Bense

Arno Schmidt war kein einfacher Zeitgenosse, aber einer der avanciertesten und kritischsten Autoren seiner Zeit. Mit vielen Autoren und Intellektuellen war er befreundet, mit einigen arbeitete er zusammen. Die Arno-Schmidt-Stiftung publiziert in schöner Regelmäßigkeit die wunderbar edierten und kommentierten Briefwechsel, etwa mit Alfred Andersch oder Eberhard Schlotter. Als sechster Band ist jetzt der Briefwechsel mit dem Philosophen Max Bense erschienen, in dem sich Schmidts einmal für die »vielen unleserlichen Postkarten« bedanken. GEORG PATZER hat den Briefwechsel gelesen.

In Stuttgart trafen sie sich im August 1952 zum ersten Mal, der Schriftsteller Arno Schmidt und der Philosoph Max Bense, in der Kantine des Süddeutschen Rundfunks: »Im Kasino war außer Walser am Tisch ein kleiner stabiler lebhafter Herr, der Älter aussah die Mitte 40 die er haben sollte, Prof. Bense und seine Assistentin, Fr. Dr. Walter«, schreibt Alice Schmidt in ihrem Tagebuch, sie hieß allerdings Walther und wurde später Benses Frau. »Ein rundl. blondes Frl. etwa meine Größe um die sich Bense recht sorgte.«

Es gab, wie auch mit Martin Walser und Alfred Andersch, die für den Rundfunk arbeiteten und Schmidt mit Aufträgen versorgten, gleich mehrere Anknüpfungspunkte: Sie waren beide Atheisten und Gegner der Adenauer-Regierung und der Wiederbewaffnung: »Darüber hinaus aber bin ich d’accord mit Ihnen was Kirche, Pfaffen, Bürgertum, u.s.w. anbetrifft«, schreibt Bense am 1.9.1953 an Schmidt, »ich bewundere die Courage, mit der Sie dem Gesindel namens Menschheit ins Gesicht springen und ich versichere Ihnen, dass ich gehörig mitspringe.«

Und auch literarische. Beide liebten und kannten die vergessenen Klassiker Wieland und den Anton Reiser. Und sie waren der Avantgarde gegenüber aufgeschlossen: Schmidt schrieb eh experimentell, Bense scharte die später berühmte Stuttgarter Gruppe um sich, zu der auch Ernst Jandl gehörte. Der Unterschied war: Schmidt war bitterarm, Bense Lehrer an der neugegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm. Schon beim ersten Treffen schlug Bense ihm vor, »eine Vorlesung vor einem auserwählten Publikum in der techn. Hochschule« in Stuttgart zu halten. Ein wenig später lud er ihn sogar ein, in Ulm eine Dozentenstelle anzunehmen.

Der Vorschlag kam passend: 1955 erschien Schmidts Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas, sie eröffnete die neue, von Alfred Andersch herausgegebene Zeitschrift Texte und Zeichen. Und gefährdete seine Existenz: Das Erzbistum Köln erreichte, dass Schmidt wegen Gotteslästerung (§166 StGB) und Verbreitung unzüchtiger Schriften (§184 StGB) strafrechtlich angezeigt wurde. Moniert wurden Stelle wie diese: »Die Bibel : iss für mich n unordentliches Buch mit 50.000 Textvarianten. Alt und buntscheckig genug, Liebeslyrik, Anekdoten (…), politische Rezeptur (…). Der ‹Herr›, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt oder 10 Millionen im KZ vergast werden : das müßte schon ne merkwürdige Type sein – wenn’s ihn jetzt gäbe!« Oder: »‘Lauf brünieren lassen, daß a nich in der Sonne blitzt!‘ fügte er, alter Frontsoldat, hinzu, und zog die Badehose noch tiefer, wahrscheinlich um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, daß er männlichen Geschlechtes sei.«

Schmidt wurde beim Amtsgericht Saarburg verhört und hatte nun Angst vor Gefängnis und Ruin. Seine Frau notierte im Tagebuch: »A. ist jetzt völlig geknickt über die Prozeßaussicht. 10 Jahre Elendsleben als Krönung dann noch Gefängniszelle.« Und um aus dem katholischen Kastel an der Saar in ein liberaleres Land zu kommen, suchte er auch dringend eine neue Wohnung.  Ein Umzug nach Ulm, den er zur Bedingung für eine Anstellung machte, wäre da ganz passend gekommen.

Zu der Stelle in der Hochschule kam es nicht: Er hatte mit dem Leiter der Hochschule, dem Schweizer Designer Max Bill wohl ein sehr unerquickliches Gespräch, das leider unter vier Augen stattfand, und seine Arbeit war nicht so, wie er es erwartet hatte. Am 7.9. schrieb Schmidt an Bense: Er sei bei einem Arzt gewesen, der ihn vor Überarbeitung gewarnt habe. »Nun ist hierzu ihr Ulmer Angebot gekommen. Ich soll dort, praktisch ohne Zeit zur Vorbereitung, meine Prosatheorien vortragen, ausführlich mit Beispielen belegen, kurz eine Arbeitsgemeinschaft in meinem Sinne einrichten. Und wenn das auch am Tage nur wenige Stunden Lehrtätigkeit sind, so setzen diese natürlich das Doppelte an Vorbereitung voraus. (…) Zudem muss ich mir auch unbedingt die für eigene Produktion pluss (sic) Lehrtätigkeit unerlässlichen Voraussetzungen schaffen: ich muss als festes Pünktchen, von dem aus ich die Welt dann mit aller Behaglichkeit aus den Angeln heben kann, eine, wenn auch noch so reduzierte Häuslichkeit haben (also eine Wohnung, und zwar noch vor Beginn meiner eigentlichen Tätigkeit in Ulm.)«

Später stellte sich auch noch heraus, dass Schmidt nicht etwa literarische Vorlesungen halten sollte: »In Ulm hatte mein Mann«, schrieb Alice Schmidt an eine Freundin, »eine lange Verhandlung mit Direktor Bill und es ergab sich, daß die Arbeit meines Mannes darin bestehen sollte, seinen Schülern ‚kristallklare‘ Reklametexte und Schlagworte beizubringen. Es sollen aus der Literaturabteilung keinesfalls Journalisten oder gar etwa Schriftsteller hervor gehen, sondern praktische Leute.«

Und auch die Rahmenbedingungen änderten sich für Schmidt: Es gelang ihm, nicht nur mit dem Karlsruher Stahlberg-Verlag einen Verlag zu finden, der trotz der richterlichen Bedrohung sein nächstes Buch Das steinerne Herz veröffentlichte, allerdings mit einigen wenigen politischen Entschärfungen. Es gelang ihm auch, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Darmstadt umzuziehen, wo die Justiz liberaler war als an der Saar. Erst ein Jahr später wurde das Verfahren eingestellt.

Schmidt wurde allerdings Mitarbeiter an der Zeitschrift Augenblick, die Bense mit seiner späteren Frau Elisabeth Walther herausgab, dort verdiente er regelmäßig Geld mit kleineren Arbeiten und es kam sogar zu einem Sonderband, Schmidts Kosmas oder Vom Berge des Nordens.

Diese spannende Zeit, in der Schmidt gerichtlich bedroht war und nach neuen Verdienstmöglichkeiten suchte, ist im Briefwechsel schön dokumentiert, auch die Probleme mit Verlegern, etwa dem Agis Verlag in Krefeld und Baden-Baden: Der Agis-Verleger Klaus Fischer fand nämlich, dass die Kosmas-Erzählung »Stellen (hat), mit denen ich mich nicht identifizieren konnte und die ich für absolut gekünstelt halte«. Und Das steinerne Herz fand er »geschmacklos, ja ekelerregend«. Schön kann man auch die gegenseitige Verehrung von Schmidt und Bense nachvollziehen: Einige Male schrieb Bense über Schmidts Werke sehr positiv und Schmidt bedankte sich mit Erwähnungen in seinem Werk und einem langen Widmungsgedicht in Seelandschaft mit Pocahontas mit dem Titel »(8 Herbstpromille. Für / Professor Max Bense)« und setzt ihm in Die Gelehrtenrepublik 1957 noch ein Denkmal: »Menschwardasnicht – : Bense?: Klar!.«

Allerdings fand Schmidt, dass Bense ihn und seine Werke überhaupt nicht verstanden hätte, wie Alice Schmidt im Tagebuch schon am 25.8.1952 festhält: »Bense propagiere ihn, als ein Geschöpf seiner technisierten Welt. In Wirklichkeit aber wäre er ja (Arno) der größte Feind der Technik. Schwarze Spiegel schlüge ja aller Technik ins Gesicht, zeigt ihr, wie weit dies brächte und sänge das hohe Lied der untechnisierten Welt. – Bense müßte ihn also eigentlich als seinen größten Feind betrachten. Welch ein Irrtum also. – Aber natürlich hüte er sich, dies ihm zu sagen.« Denn er verdiente bei Bense ja schließlich recht gut.

Der Kontakt riss später auch nicht ab, aber wurde weniger, in seinem Tagebuch schrieb Arno Schmidt in Darmstadt am 3.2.1958, nachdem er bei seinem Verleger Bläschke war: »Bläschke’s – wir besprechen technisches zum ‚Augenblick‘ (wobei sich ergibt, daß Bense mich schlecht gemacht hat: meine Sachen taugten nichts, etc.) Konsequenzen ziehen.« In Bargfeld wurde er noch von Bense besucht, der Bericht der chauffierenden Studentin Ingeborg Hansen endet mit den Worten: »Die geheimnisvolle Atmosphäre der Menschen und des Hauses sind mir unvergessen.«

Vor allem das kluge Nachwort und die vielen begleitenden Dokumente und Auszüge aus den Tagebüchern von Schmidt und seiner Frau Alice machen den Briefwechsel zwischen Arno Schmidt und Max Bense zu einem spannenden Mosaikstein in der Kulturgeschichte der frühen Bundesrepublik.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Bargfelder Ausgabe. Briefe von und an Arno Schmidt
Band 6: Der Briefwechsel mit Max Bense
Mit Briefen von und an Alice Schmidt, Elisabeth Walther und dem AGIS-Verlag. Herausgegeben von Michaela Nowotnick
Berlin: Suhrkamp Verlag 2024
200 Seiten. 48 Euro
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