Wie wurde aus einem kritisch beäugten Zeitvertreib ein weltweit beachtetes Kulturgut? Im Interview mit den Machern des ersten Computerspielemuseums spricht RUDOLF INDERST über die Geschichte einer Kulturinstitution, die Herausforderungen der digitalen Bewahrung und ihr neues Buch darüber.
Rudolf Thomas Inderst (RTI): Guten Tag Andreas Lange und Klaus Spieler, danke, dass Sie sich für unsere Unterhaltung Zeit nehmen. Bitte stellen Sie sich doch unseren Leser:innen kurz vor – wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus und an welchen Projekten arbeiten Sie zur Zeit?
Klaus Spieler (KS): Ich werde im Mai mein neunundsiebzigstes Lebensjahr beginnen und stehe vor einer neuen Phase meiner Lebenspläne. Derzeit bin ich mit Herrn Martin Görlich Geschäftsführer der Gameshouse gGmbH. Ich bin Vorstandsvorsitzender des Fördervereins für Jugend und Sozialarbeit e.V. (fjs), in dem die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) mit dem Softwarearchiv sowie das Computerspielemuseum entstanden sind. Der Verein ist Gesellschafter der Gameshouse, die das Computerspielemuseum betreibt, sowie Mitgesellschafter der Internationalen Computerspielesammlung (ICS). Das Buch ›Wie die Games ins Museum kamen‹ ist mein Abschied von der Geschäftsführung des Museums und der Übergang zu einem anderen Ufer. Ich habe erlebt, wie schwierig dieser Übergang ist, aber auch, wie spannend es sein kann, neue Ufer zu betreten.
Mir ist beim Schreiben des Buches aufgefallen, dass Games, Computerspiele bisher nur marginal Gegenstand von kultur- und kunsthistorischen Betrachtungsweisen sind. Ich betreibe nun Recherchen und Übungen zu etwas, das ich in bewusster Analogie zu vorhandenen Vorbildern »Meisterwerke der Gameskultur« nenne. Einen Teil dieser Übungen habe ich bereits im vorliegenden Buch veröffentlicht und mache hier auch den Rahmen deutlich, in dem sich Gameskultur für mich bewegt. Er reicht von den preußischen »sinnlichen« Kriegsspielen über die Installation der ›Gamblers‹ hin zu den Klassikern ›Batman‹ für den Joyce und ›Space Wars‹ für den Vectrex.
Nachdem ich in den letzten vierunddreißig Jahren als Geschäftsführer eines erfolgreichen und in unkonventioneller Weise gewachsenen Vereins meine Unabhängigkeit erarbeitet und eine fesselnde Nebentätigkeit als Ideengeber und im Management des Computerspielemuseums und der größten europäischen Sammlung von digitaler Spielesoftware gefunden hatte, ist es für mich reizvoll, wieder zu meinen Anfängen der Germanistik, Philosophie und Kulturtheorie zurückzukehren, wenn Gott mir diese Zeit noch schenken will.
Andreas Lange (AL): Nach meinem Weggang vom Computerspielemuseum betreibe ich mehrere berufliche Aktivitäten gleichzeitig. Für meinen Broterwerb arbeite ich als Projektmanager, z.B. bei einer kleinen IT-Genossenschaft oder dem Deutschen Designtag. Auch das Buchprojekt trug dankenswerterweise zu meinem Lebensunterhalt bei. Darüber hinaus leite ich ehrenamtlich den Verband institutioneller europäischer Computerspielesammler, den ich 2012 als Direktor des Computerspielemuseums selbst mitgegründet habe. Mittlerweile hat EFGAMP (European Fédération of Game Archives, Museums and Preservation Projects e.V.) 19 reguläre und mehrere unterstützende und assoziierte Mitglieder. Dabei reicht die Spanne von sehr etablierten Institutionen wie den Nationalbibliotheken Dänemarks und Schweden oder dem ZKM in Karlsruhe über private und öffentliche Computerspielemuseen und -sammlungen bis hin zu Grassroots Initiativen im Retro- und Medienkunstbereich. Des Weiteren habe ich 2019 zusammen mit Tobias Kopka die Art-of-Coding-Initiative mit dem Ziel gegründet, erstmalig mit der Demoszene eine originär digitale Kultur als UNESCO-Kulturerbe anerkennen zu lassen. Und tatsächlich ist die Demoszene mittlerweile in fünf Ländern (FI, GER, POL, CH, NL) als nationales immaterielles Kulturerbe anerkannt, wobei noch weitere Anträge in der Pipeline sind.
RTI: Welche besonderen Herausforderungen und Chancen sind Ihnen beim Aufbau des weltweit ersten Museums für Computerspiele begegnet, und wie hat sich der gesellschaftliche Blick auf digitale Spiele seit der Gründung verändert?
AL: Als wir 1996 die Entscheidung fällten, ein Museum für Computerspiele zu eröffnen, war die Zeit reif dafür, auch wenn unser Vorhaben als erstes seiner Art damals oft noch verwunderte Nachfragen provozierte. Auf der anderen Seite war es aber auch dieser Neuigkeitsfaktor, der uns von Anfang auf offene Ohren stoßen ließ und Neugierde erzeugte. Es waren vor allen zwei Aspekte, auf denen mein Vertrauen fußte, dass die Unternehmung richtig ist. Erstens war nach gut einem Jahrzehnt Heimcomputern bereits absehbar, dass die Ausbreitung der digitalen Technologien in vielfältiger Weise auch unser Alltagsleben beeinflussen würde. Dass dies auch kulturelle Implikationen hat, lag auf der Hand, ebenso wie der Gedanke, dass sich dies am ehesten und prägnantesten in dem ältesten und populärsten digitalen Medium, den Computerspielen, spiegeln würde. Zweitens stimmte mich ein Blick in die Geschichte zuversichtlich. Kann man doch anhand eines Vergleichs mit dem den Games am nächsten stehenden »modernen« Medium, dem Film sehen, dass alle Stufen einer Etablierung als Kulturgut sich ganz ähnlich in Reihenfolge und Dauer bei den Games wiederholt haben. Von der Erfindung über die Kommerzialisierung, Gründung von Industrievertretungen und Eröffnung von Marktplätzen dauerte es rund 40 Jahre, bis eine systematische Sammlung und Dokumentation der jeweiligen Geschichte und damit die Phase des Kulturerbes begann. Man kann auch sagen, dass es ungefähr eine Generation dauert, bis eine kulturelle Neuigkeit als kulturprägend verstanden wird. Wie beim Film war es die erste Generation der Gamer, die in den 1990er Jahren im jungen Internet anfing, die Eindrücke und Prägungen ihrer Adoleszenz nachzuvollziehen und erste Strukturen einer systematischen Erschließung des herangewachsenen kulturellen Erbes zu skizzieren.
Dass dies im Internet passierte, eröffnete mir die Chance, effektiv und in relativ schneller Zeit, diese Beschreibungen und Dokumentationen in eine physikalische Ausstellung zu überführen. Hinzu kam, dass damals die historischen Konsolen, Computer und Spielsammlungen für kleines Geld auf Flohmärkten oder oft sogar umsonst über Kleinanzeigen verfügbar waren.
Die größte Herausforderung bestand sicher in der Idee, den sich bisher im privaten vollzogenen und dokumentierten kulturellen Wandel in einem echten Museum abzubilden. Einerseits war die Idee bestechend, weil wir dadurch, ohne viel erklären zu müssen, ein starkes Statement setzen konnten. Denn wenn etwas in einem gesellschaftlich etablierten Kulturerbe-Rahmen existiert, muss es ja kulturell relevant sein. Andererseits muss die ganze Sache ja aufgebaut und dauerhaft betrieben werden, wofür einige Mittel und Ressourcen notwendig sind. Denn, dass die Zeit reif war, bedeutete ja nicht, dass man sogleich öffentliche Kulturmittel akquirieren konnte. Das sollte noch rund ein Jahrzehnt dauern. Es war also eine Situation notwendig, in der diese Ressourcen aus anderen Quellen bereitgestellt werden konnten. Und hier kommen wir zu der einmaligen Situation, die dazu führte, dass das weltweit erste Computerspielemuseum entstand. Im Buch beschreiben wir, wie die Kombination aus einem freien Träger der Jugendhilfe als Gründer einer Computerspielberatung sowie einem Alterseinstufungssystem für Computerspiele (USK) und den sich daraus ergebenden Verbindungen zur Branchenvertretung (VUD) verantwortlich war, am besucherträchtigen Standort Berlin zu diesem Zeitpunkt ein solches Museum nachhaltig zu etablieren.
Computerspiele standen ab ihrer Kommerzialisierung Anfang der 1970er Jahre immer stark im öffentlichen Rampenlicht. Durchgängig begleitete sie dabei die Narrationen über ihren technisch innovativen Charakter und eines erfolgreichen Wirtschaftsguts, wobei man dabei im Kopf haben sollte, dass beide Narrationen auch interessengeleitet sind. Andere Aspekte waren eher konjunktureller Natur. So wurde anfänglich das Thema Glücksspiel wirkungsmächtig, da die Games in Form von Automaten den gleichen Geschäftsmodellen und Aufstellungsorte wie Glücksspielautomaten besaßen. Als wir das Museum eröffneten, dominierte die Gewaltdebatte, da die Spiele durch 3D und optischer Datenträger realistischer wurden. Mit dem wachsenden Verständnis der Games als Kulturgut rückte dann ihre Spielenatur ins Blickfeld, die mit der Wurzel unserer kulturellen und zivilisatorischen Natur aufs Engste verbunden ist. Dieser Aspekt erfuhr durch die Verbreitung der MMOG und der Smartphones noch mal einen gehörigen Schub, da nun die soziale Seite der Spielwelten massiv expandierte, was wiederum das Aufleben der anfänglichen Suchtdebatte in neuer Qualität zur Folge hatte.
Aktuell fallen mir drei Tendenzen ins Auge. Einerseits haben sich ein vor dem Hintergrund der kulturellen Anerkennung der Games regionale Perspektiven herausgebildet, die die bisherige vom Mutterland der Games, den USA dominierte Geschichtsschreibung ergänzen. So gibt es mittlerweile eine ganze Reihe durch öffentliche Mittel geförderte Initiativen, das kulturelle Spieleerbe auf nationaler Ebene zu erforschen, zu sammeln und zu katalogisieren. Dabei ist beachtenswert, und das ist der zweite Aspekt, den ich hervorheben möchte, dass es nicht nur die öffentliche Hand oder die Zivilgesellschaft ist, die diese Initiativen vorantreibt. So entsteht gerade eine große Computerspielesammlung beim Gamesproduzenten Embracer Group. Auch engagieren sich die Industrieverbände Deutschlands und England in vielfältiger Weise bei der Sammlung, Bewahrung und Vermittlung des spielerischen Kulturerbes. Dabei steht speziell die Internationale Computerspielesammlung für ein zukunftsträchtiges Modell, bei dem private Kulturträger (Computerspielemuseum), Forschungsinstitutionen (Universität Potsdam), die Gamesbranche (USK, Stiftung digitale Spielekultur) sowie staatliche Mittelgeber (Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Land Berlin) gemeinsam die Herausforderungen der Erschließung und Bewahrung des digitalen spielerischen Kulturerbes angehen. Dabei treffen sich beide Tendenzen in der Entwicklung von Gamesförderprogrammen, die einerseits einen nationalen Fokus haben und andererseits kulturell begründet werden müssen, da sie sonst nicht als Eingriffe in den freien Markt erlaubt werden könnten.
Die dritte Tendenz, die ich beschreiben möchte, ist meiner Meinung gerade erst dabei, wirkungsmächtig zu werden. Dabei geht es gar nicht um eine Entwicklung der Games selber, sondern um die Verbreitung der sozialen Medien, auch wenn diese zumindest anfänglich wesentlich von der Gamingkultur geprägt wurden. Mittlerweile wird deutlich, dass sie einen massiven Einfluss auf unser Leben in allen Bereichen haben. Meine Vermutung ist, dass dies für die Games erstmalig zu einer Normalisierung ihres gesellschaftlichen Images führen wird. Mussten sie doch bisher in Ermangelung anderer populärer digitaler Medien als Projektionsfläche für alle mit der Ausbreitung der digitalen Technologien einhergehenden Ängste und Hoffnungen herhalten. Damit möchte ich nicht sagen, dass die oben beschriebenen gesellschaftlichen Perspektiven auf Games keinen wahren Kern haben. Doch ist sicher manches an ihnen verzerrt und temporären Debatten unterworfen gewesen, die eher mit der Digitalisierung als Ganzes und weniger mit der Natur der Games selber zu tun hatten. Tatsächlich sehe ich darin eine Chance, sich vorurteilsfreier und unbefangener den vergangenen, aktuellen und zukünftigen digitalen Spielewelten zu öffnen und an ihnen teilzuhaben, sowohl als Spielende als auch als Kreative.
KS: Mein Blick auf die Geschichte des Computerspielemuseums ist möglicherweise einseitig. Immer stand im Vordergrund das wirtschaftliche Überleben der Idee. Als Geschäftsführer habe ich frühzeitig gelernt, dass jede noch so interessante Idee auf die Ressourcen angewiesen ist, in denen sie wachsen kann. Mein Pakt mit dem Mitgründer des Museums, Andreas Lange war einfach: er bietet mir die Chance, mich am Aufblühen der gemeinsamen Idee zu beteiligen und mir obliegt es, für den materiellen Unterhalt des Projekts zu sorgen. Als wirtschaftsfremder Kulturwissenschaftler musste ich lernen, Gelder zu beschaffen und über einen sehr langen Zeitraum die wirtschaftliche Existenz eines Unternehmens zu sichern, das in den Gründungsjahren für Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit wenig Existenzberechtigung hatte. Meinem Mitgründer gegenüber hatte ich eine Rolle, die mir nicht immer gefiel: Vom Geld zu reden, wenn das Thema eigentlich Kultur sein sollte. Die größte Herausforderung lag darin, in dieser langen Zeit nie den Mut zu verlieren.
Die Chancen lagen vor allem im Zuspruch, den unsere Idee bei vielen Menschen fand. Da waren nicht nur die Gamer, die die Idee liebten, ihrem Medium einen Tempel zu bauen. Da waren auch die vielen Spender von Hard- und Software, auf deren Gaben der Reichtum der Sammlungen des Computerspielemuseums beruht. Ein Rechtsanwalt aus München nutzte seine dienstlichen Reisen nach Berlin, um regelmäßig große Kisten mit Spielen in mein Büro zu bringen. Eine großartige Aufgabe für den Geschäftsführer war es, immer neuen Platz für die Aufbewahrung der sich vergrößernden Sammlungen, und Kräfte für deren Archivierung zu beschaffen. Das Computerspielemuseum wurde 1997 mit einer ersten kleinen Dauerausstellung eröffnet. Die Reaktionen reihten von zum Teil begeisterter Zustimmung über Gleichgültigkeit bis zu aktiven Ressentiments. Für die kritischen Warner vor den Gefahren des neuen Mediums stellte schon diese Gründung eine Provokation dar. Die kulturpolitischen Verantwortlichen der Stadt gaben diesem Museum etwa den Stellenwert eines Bierdeckelmuseums. Ein ehemaliger Kollege aus dem Institut für Kulturwissenschaft, der Kultursenator Flierl, teilte mir mit, dass seine Schwerpunkte nicht in einer Förderung dieser Initiative lägen.
Die Gründung des Museums in einem ehemaligen Gemüseladen erschien so auch als drohende dauerhafte Perspektive. Dazu kam, dass der Betrieb der kleinen Ausstellung alle Ressourcen verbrauchte, die zur inhaltlichen Weiterentwicklung nötig waren. Wir entschlossen uns daher, diese Ausstellung zu schließen. Aber in der Geschichte unseres Museums spiegelt sich auch eine schnelle Änderung des Zeitgeistes wider, die, in aller Bescheidenheit, auch durch das Museum herbeigeführt wurde. Schon sieben Jahre nach der Eröffnung der ersten Ausstellung und zwei Jahre nach ihrer Schließung erhielten wir den Zuschlag für einen Antrag an die Kulturstiftung des Bundes für die große Wanderausstellung ›pong.mythos‹. Das Statement der Kulturstiftung macht den sich anbahnenden Wandel deutlich: »Als kulturelles Phänomen werden Computerspiel bislang unterschätzt. Dabei entfalten die in die Programme eingeschriebenen Haltungen großen Einfluss auf das Bewusstsein der jungen Generation. Die Ausstellung, die den Namen des ersten erfolgreichen Videospiels ›PONG‹ trägt, zeichnete die Entstehung der Computerspielindustrie nach und stellte junge Künstler vor, die bei ihren Arbeiten auf die Ästhetik und Funktionsweisen von Computerspielen zurückgreifen.«
Die Ausstellung ›Pong Mythos‹ führte 2006 und 2007 von Stuttgart über Leipzig nach Bern und stellte den Durchbruch für die öffentliche Akzeptanz des Computerspielemuseums und auch für das neue Medium Computerspiel dar. Zehn Jahre später, zwanzig Jahre nach der Eröffnung der ersten Ausstellung des Computerspielemuseums, sprach die damalige Bundeskanzlerin, Frau Merkel vom KULTURGUT Computerspiele: »Immerhin haben wir seit Längerem auch deutlich gemacht: Computer- und Videospiele sind als Kulturgut, als Innovationsmotor und als Wirtschaftsfaktor von allergrößter Bedeutung«.
RTI: Digitale Medien sind oft flüchtig und technisch schwer zu konservieren. Wie gehen Sie im Museum mit der Bewahrung von Computerspielen und ihrer kulturellen Bedeutung um, und welche Strategien haben sich dabei als besonders erfolgreich erwiesen?
KS: Wir haben dieses Problem nicht zufriedenstellend gelöst, auch weil diese Lösung die Möglichkeiten eines privaten Museums überfordert. Herr Lange hat hier auf unsere zahlreichen Bemühungen hingewiesen, auch in der Zusammenarbeit mit nationalen und europäischen Partnern Lösungen zu finden. Ein Durchbruch war die Gründung der Internationalen Computerspielesammlung, die erstmals seit dem vergangenen Jahr mit Mitteln des Bundes und des Landes Berlin ausgestattet wurde. Hier geht es vor allem um die Bewahrung digitaler, d.h. auf vergänglichen Speichermedien erhaltener Bestände.
Noch ungelöst ist die Erhaltung der Spielmaschinen, von deren Lesefähigkeit ebenfalls abhängt, ob digitale Artefakte künftig noch sichtbar gemacht werden können. Darüber hinaus stellen diese Spielmaschinen in ihrem Zusammenwirken mit der für sie geschaffenen Software ebenfalls Artefakte dar, die aus dem kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft nicht verschwinden dürfen. Offen ist daher auch die Frage, wie bei der Wiedergabe von historischen Spielen deren Authentizität für das Publikum erhalten werden kann. Das physikalisch bedingte Verschwinden der Röhrenmonitore wird ebenfalls einen kulturellen Verlust darstellen. Die Strategie des Computerspielmuseums war, einen Stamm von hochqualifizierten Technikern zu halten, die bisher in der Lage waren, die Bestände unseres Archivs und der Ausstellung betriebsfähig zu halten und damit weiter sichtbar zu machen. Im Fokus stand dabei immer die eigene interaktive Ausstellung.
Darüber hinaus waren wir immer bestrebt, durch Ankäufe und Vorratshaltung funktionsfähige Bestände zu sichern. Das stößt aber ebenfalls auf materielle Grenzen, die für uns deutlich wurden, als wir versucht haben eine Werkstatt zur Regeneration von Röhrenmonitoren aufzubauen. Es hat einfach das Geld gefehlt. Es gibt derzeit kein Berufsbild des digitalen Restaurators und keine Ressourcen, dieses in Ausbildungen und Werkstätten umzusetzen. Hier liegt eine Aufgabe, bei deren Lösung das Computerspielemuseum sich beteiligen könnte.
AL: Das ist in der Tat eine der wichtigsten Fragen, die sich nicht nur uns, sondern zunehmend auch unserer gesamten Gesellschaft stellt. Werden doch im Zuge der Digitalisierung immer mehr Dokumente, Kulturgüter und gesellschaftliche Vorgänge rein digital erzeugt und betrieben. Und da jedes digitale Werk seine Bedeutung nur entfalten kann, wenn es gerendert wird, geht es nicht nur darum, das Werk selber zu erhalten, sondern man muss auch die komplexe Apparatur aus Hardware, Betriebssystem und Anwendungssoftware am Laufen halten. Bei Games kommt noch erschwerend hinzu, dass sie als audiovisuelle und interaktive Werke in Echtzeit ausgeführt werden müssen, was zusätzliche Anforderungen an die Ein- und Ausgabegeräte sowie die Geschwindigkeit und Güte des bewahrten Render-Environments stellt.
Tatsächlich haben sich im Gamesbereich die ambitioniertesten Bewahrungsmethoden für digitale Kultur insgesamt entwickelt. Denn technisch gesehen haben im digitalen Zeitalter alle Bereiche die gleichen Probleme zu lösen. Dafür verantwortlich sind neben den erwähnten hohen Anforderungen, die Games stellen auch der Umstand, dass sie sowohl das älteste als auch das populärste digitale Kulturerbe sind. So können wir als Bewahrungsinstitution auf Methoden und Werkzeuge zurückgreifen, die von einer weltweiten Fancommunity über Jahrzehnte hinweg entwickelt und gepflegt wurden. Damit meine ich hauptsächlich die Emulatoren, die systematisch gesehen die Möglichkeit sind, die komplexe Apparatur aus Hardware und Betriebssystem zu bewahren. Da weder ein dauerhafter Erhalt eines historischen Rechners aufgrund der physikalischen Prozesse vor allem im Inneren der Mikrochips noch eine sich permanent wiederholende Portierung der Games auf neue Plattformen realistisch ist, sind Emulatoren die einzige Möglichkeit, Spiele dauerhaft lauffähig zu halten. Dabei gilt es allerdings die Herausforderung zu bestehen, dass auch die Emulatoren an neue Rechnerplattformen angepasst werden müssen. Hierbei sehe ich tatsächlich zunehmend die Gesellschaft in der Verantwortung, die großartigen Leistungen der Fans, die die hochkomplexen Emulatoren bisher ohne materielle Unterstützung programmiert haben, zukünftig weiterzuführen.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass sich die Phase des datenträgergebundenen Vertriebs von Games dem Ende zuneigt. Viele der heutigen und zukünftigen Spiele wird man sich nicht mehr ins Regal stellen können. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um komplexe Programme, die auf dezentralen Serverstrukturen betrieben und integral mit externen Systemen wie virtuellen Zahlsystemen oder Handels- und kommunikationsplattformen verbunden sind. Da absehbar ist, dass wir hierbei als Bewahrer an unsere Grenzen stoßen, werden wir zunehmend Sorgfalt und Ressource darauf verwenden, nicht das Werk als solches spielbar zu erhalten, sondern das Spielgeschehen und seinen kulturellen Kontext, Paratext genannt, zu dokumentieren. Dies kommt auch der Entwicklung entgegen, dass es sich bei immer mehr Spielen um Multiplayer-Spiele handelt, deren spielerische und soziale Dynamiken sich ebenfalls kaum bewahren bzw. wiederaufführen lassen.
RTI: Das Buch beleuchtet auch die Vielfältigkeit digitaler Spielekultur anhand ausgewählter Exponate. Wie haben Sie die Balance gefunden, sowohl ein breites Publikum anzusprechen als auch tiefgehende Einblicke für Fachbesucher:innen und Forschende zu bieten?
KS: Wir hoffen, dass uns dies einigermaßen gelungen ist. Das werden letztlich die Leserin und der Leser entscheiden. Als wir die Arbeiten an dem Buch begonnen haben, war uns klar, dass wir nur unsere persönlichen Geschichten in ihrer Verbindung mit dem Aufbau des Computerspielemuseums aufzeichnen konnten. Dass so die Geschichte einer neuen, mit dem neuen Medium verbundenen Institution entstehen konnte, war schon klar. Wichtig waren auch die Gespräche und die kritische Befragung der Erzählungen. So führte die Beschreibung der einzelnen Gesträuche im Rückblick zum Bild eines Waldes.
AL: Als Kurator kam es mir immer darauf an, die Games in größere gesellschaftliche, technische und kulturelle Zusammenhänge einzuordnen. Damit wollte ich auch zeigen, dass sie nicht als etwas total Neues vom Himmel gefallen sind, sondern an mannigfaltige kulturelle Traditionslinien anknüpfen und sie mit den Möglichkeiten digitaler Technologie verbinden. Einerseits spiegelte diese Herangehensweise den fachlichen Diskurs wider, der sich seit Ende der 1990er Jahre unter dem Label Games Studies entwickelte und in dem unterschiedliche Disziplinen jeweils aus ihrer Perspektive begannen, Games zu erforschen und einzuordnen. Andererseits bot dieser Ansatz Anknüpfungspunkte für Besucher mit ganz unterschiedlichem Background.
Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass die Games schon lange in der Breite des Publikums angekommen waren. Schließlich kommen die Spielenden der ersten Generationen mittlerweile mit ihren Kindern und bald mit ihren Enkelkindern in die Ausstellung. Wir haben mit den Games also auch ein dankbares Thema, nicht zuletzt, was die Möglichkeit angeht, attraktive Hands-On Exponate anzubieten.
RTI: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Verlag Werner Hülsbusch? Was war Ihnen bei der Gestaltung besonders wichtig?
KS: Ich habe Herrn Hülsbusch bei der Zusammenarbeit an unserem Buch ›Wie die Games ins Museum‹ kamen, näher kennengelernt und bin beeindruckt von der Vielseitigkeit seiner Bildung und seiner Kreativität und Arbeitsfähigkeit als Verleger. Ohne ihn und seinen Verlag wäre die Buchlandschaft zum Thema Games und Games Studies nicht nur sprichwörtlich ärmer. Ein Ein-Mann-Verlag produziert diese Fülle und Vielfalt, das ist schon sehr erstaunlich. Es war ein Glücksfall für uns, ihn als Verleger für unser Buch gewinnen zu können. Er war, trotz seiner mit Sicherheit hohen Arbeitsbelastung immer im Bilde, immer ansprechbar und verlor nie die Geduld. Die Ruhe und die Sicherheit, die er ausstrahlte, haben uns, den beiden Autoren, dem Gestalter und hoffentlich auch dem Buch gutgetan.
AL: Die Zusammenarbeit war super. Dabei machte sich positiv bemerkbar, dass der Verlag Werner Hülsbusch ein Fachverlag für Computerspielekultur ist. Einerseits kamen wir deshalb sehr schnell zusammen und anderseits war das Lektorat nicht nur durch Genauigkeit, sondern auch durch hohe Kompetenz geprägt.
RTI: Spielen Sie eigentlich privat und welches Wunschprojekt würden Sie gerne in nächster Zukunft angehen?
KS: Ich spiele privat und denke auch, dass die Nähe zum Kunstwerk Computerspiel ähnlich wie in anderen Kunstgattungen nur durch die eigene Betätigung mit dem Werk erreichbar ist. Als Geschäftsführer der USK hatte ich das Privileg, mit den dort beschäftigten Spieltestern im engen Austausch sein zu können. Das waren junge Menschen, die als Gruppe die ganze Welt der Computerspiele einbrachten. Von ihnen erhielt ich nicht nur Anregungen, selber Spiele zu spielen, sondern erfuhr auch mehr über die Maßstäbe der »Profis« von guten und schlechten Spielen. So war für mich nacherlebbar, wie jedes neue Medium auch seine eigenen ästhetischen Kriterien hervorbringt und seine Rezipienten qualifiziert. Das reichte von der Spielidee, der erzählten Geschichte, der Grafik bis zur technischen Umsetzung. Ich kann mich erinnern, welche Begeisterung ein damals entwickelter Flugsimulator auslöste. Auf der beschlagenen Glasscheibe bildete sich ein Tropfen, der beim Herunterrinnen immer größer wurde. Als Gamer musste ich allerdings früh die Erfahrung machen, dass das Computerspiel mehr verlangt als nur die Bereitschaft zum qualifizierten und interessierten Lesen oder Betrachten. Es setzt auch manuelle Fähigkeiten voraus wie Koordination und Geschwindigkeit. Spätestens beim Spiel »BioShock« (2007) musste ich feststellen, dass es eine Altersgrenze für bestimmte Spiele gibt, die ich überschritten hatte.
Heute spiele ich noch immer die Aufbau- und Strategiespiele, nach wie vor favorisiere ich die »alten« Siedler, und versuche, den Überblick über die Spiele für unterwegs zu behalten. Ich finde es interessant, wie die digitale Renaissance der alten Brett- und Tischspiele zu interessanten und spannenden, teilweise ästhetisch ansprechenden Varianten geführt hat. Mein Wunschprojekt habe ich oben schon beschrieben: die Meisterwerke der Gameskultur.
AL: Tatsächlich war mein berufliches Handeln nie in erster Linie durch eine persönliche Spielleidenschaft, sondern eher aus einem kulturellen Interesse heraus motiviert. Insofern spiele ich seit meinem Weggang aus dem Museum eher wenig und konzentriere mich mehr auf die Lobbyistenseite meines beruflichen Daseins. Insofern sehe ich auch hier meine nächsten Herausforderungen, die ein besseres Verständnis des digitalen kulturellen Wandels zum Ziel haben. Nachdem die Demoszene die Tür zum etablierten UNESCO Kulturerbe-Bereich aufgestoßen hat, ist es nun reizvoll zu überlegen, welche anderen digitalen Kulturen folgen könnten. Dass ich dabei speziell im Gamesbereich schaue, welche Kultur dafür infrage kommen kann, entspricht meiner Überzeugung, dass die Games entscheidenden Anteil an der Transformation unseres traditionellen kulturellen Erbes in digitale Kontexte hatten und haben. Dabei sehe ich meine Aufgabe vor allem in der theoretischen und strategischen Vorbereitung der weiteren kulturellen Anerkennung von Games. Dass wir hierbei im Rahmen der UNESCO Konvention für das immaterielle Kulturerbe vorgehen, ist eine wichtige Weichenstellung. Zwar ist diese vor gut 20 Jahren nicht für digitale Kultur geschaffen worden, doch bieten ihre Kriterien vieles, was man für das Verständnis originär digitaler Kulturen braucht, die ja vor allem prozessualer Natur sind und oft als interaktive Medien gelebt werden wollen. Allerdings gibt es auch noch ein paar Hürden zu meistern, wie die grundlegende nationale Ausrichtung aller UNESCO Konventionen, die in der digitalen Welt zunehmend an Bedeutung verlieren wird.
RTI: Zuletzt darf ich den Rahmen noch ein wenig weiter öffnen – wie sehen Sie die deutsche Spielebranche aktuell und welche Entwicklungen sehen Sie als Herausforderung?
KS: In einer Zuarbeit zum Bericht des BKM zur Computerförderung für den Deutschen Bundestag hatte ich 2007 (Deutscher Bundestag Drucksache 16/7081) geschrieben, dass Deutschland im Bereich der Gameskultur eher Entwicklungsland als Entwicklerland ist. Ich hatte damals angeregt, sich stärker auf die Tradition Deutschlands als dem Weltmarktführer bei den Brett- und Tischspielen zu stützen. Seitdem ist viel zur Förderung der Computerspielewirtschaft in Deutschland geschehen. Es gibt den jährlich verliehenen Deutschen Computerspielepreis, in den einzelnen Bundesländern gibt es landesspezifische Förderungen, seit 2019 gibt es eine bundeszentrale Förderung durch den Deutschen Games Fond.
Die oben zitierte Aussage, dass Deutschland kein Entwicklerland ist, gilt aber, wie ich finde, immer noch. Es gibt einzelne Firmen, die international beachtete Spiele entwickeln. Dazu gehören Aufbauspiele wie ›Siedler‹, ›Anno‹, Ego-Shooter wie ›Crysis‹ oder auch die Wimmelbildspiele von Wooga. Aber insgesamt wird der deutsche Markt dominiert von den globalen Firmen, unter den einheimischen Spieleentwicklern überwiegen die mittelständischen Unternehmen. Das führt dazu, dass der größte Teil der Gewinne, die auf dem größten Spielemarkt Europas gemacht werden, nicht in die Stärkung der einheimischen Firmen fließt. Daher ist das Problem der deutschen Computerspielwirtschaft nach wie vor der Kapitalmangel, der schon in den 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts dazu geführt hatte, dass die meisten erfolgreichen einheimischen Firmen an die globalen Marktführer verkauft wurden. Dieser Trend setzt sich auch gegenwärtig fort. Man gewinnt den Eindruck, dass deutsche Firmengründer ihr Erfolgskriterium im Kaufangebot globaler Unternehmen sehen.
Das bedeutet aber auch, dass eine zielstrebige Entwicklung von Firmenprofilen und Spitzenprodukten hierzulande kaum stattfindet. Deutsche Firmen arbeiten vor allem projektbezogen, ihnen fehlen wegen ihrer geringen Kapitalausstattung wohl auch die erforderlichen Management- und Planungskompetenzen für längerfristige Entwicklungsstrategien. Von den zehn höchstgeförderten Projekten des letzten Jahres (sie erhielten fast zwei Drittel des jährlichen Fördervolumens) hatten drei ihren Firmen-Stammsitz in Deutschland, drei in Schweden und vier in Frankreich. Man kann über das System der deutschen Filmförderung unterschiedliche Meinungen haben, aber die Summen, die hier ausgeschüttet werden, übersteigen bei Weitem die der deutschen Computerspielförderung. Vermutlich ist ein Grund dafür, dass auch der Abruf von Fördermitteln an eine bestimmte kritische Masse von Entwicklungspotentialen bei einheimischen Firmen gebunden und durch deren Fehlen begrenzt ist. Kurz gesagt: Die deutsche Computerspieleförderung ist ähnlich wie die deutsche Filmförderung projektbezogen. Sie verfügt aber derzeit nur unzureichend über die Möglichkeit, die Projektförderung in sinnvoller Weise in eine Strukturförderungsstrategie einzubinden und auf einer solchen aufzubauen. Ich bezweifle daher, ob der richtige Weg der Computerspieleförderung in der fast ausschließlichen Förderung von Projekten besteht.
AL: Der deutsche Markt zeichnete sich einerseits immer durch seine relative Größe und andererseits durch eine Dominanz ausländischer Produktionen aus. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Der Unterschied zu früher besteht darin, dass es heute mit dem game eine starke Branchenvertretung gibt, die sich klar zum kulturellen Charakter der Games bekennt. Dies ermöglichte eine nie da gewesene Wirtschaftsförderung für Produktionen aus Deutschland, die zu einem starken Anwachsen vor allem kleiner kreativer Entwicklungsstudios geführt hat. Das allein halte ich schon für einen beachtlichen Erfolg, auch wenn die Produktionsbedingungen manchmal prekär und nicht immer nachhaltig sind. Daraus ergibt sich für mich die Herausforderung, das offensichtlich vorhandene Potential so zu kanalisieren, dass bewährte Teams längerfristig zusammenarbeiten und Geschäftsmodelle und / oder Marken über längere Zeiträume entwickeln können. Evtl. sind es dabei Nischen, die es sich lohnt zu erschließen, wobei man sich von der Vorstellung freimachen sollte, dass jedes Spiel ein Millionenseller werden muss. Der aus der Schweiz stammende Landwirtschafts-Simulator ist für mich ein gutes Beispiel, wie durch beharrliche Arbeit über einen längeren Zeitraum aus einem Nischenprodukt eine erfolgreiche Marke geschaffen werden kann.
RTI: Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!
Titelangaben
A. Lange, K. Spieler: Wie die Games ins Museum kamen
Wie die Games ins Museum kamen
Glückstadt: vwh-Verlag 2024
200 Seiten, 24,80 Euro
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