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Digitalspielkultur | Im Gespräch mit Christian Mahnke

Auf den GermanDevDays in Frankfurt fand RUDOLF THOMAS INDERST die Zeit, sich bei hochsommerlichen Temperaturen mit Christian Mahnke von EarReality auszutauschen. Und so konnten sie sich über die gemeinsame Schnittmenge von Hörbuch und Digitalspiel und zahlreiche weitere Themen unterhalten.

Rudolf Thomas Inderst: Guten Tag Christian Mahnke, danke, dass Sie sich für unsere Unterhaltung Zeit nehmen. Bitte stellen Sie sich doch unseren Leser:innen kurz vor – wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus und an welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?

Ein Foto des Gesprächspartners, der eine Wollmütze trägtChristian Mahnke: Hi! Ich bin Christian Mahnke, ich bin Geschäftsgründer und Mitgründer von EarReality. Wir sind eine Agentur und ein Publisher für interaktive Audio-Formate für Entertainment, Gamification und Infotainment-Anwendungen. Vereinfacht gesagt, wir machen Hörerlebnisse, mit denen man reden kann. Damit waren wir dem Markt lange Zeit voraus, aber der Markt holt jetzt langsam auf. Und das freut uns natürlich.

Die Frage, an welchen Projekten wir gerade arbeiten, kann ich sehr einfach beantworten: an allen. Aber im Ernst, ein bisschen ist es wirklich so. In meinem Arbeitsalltag widme ich mich der strategischen Ausrichtung unseres Unternehmens und der Entwicklung neuer innovativer Audio-Formate.
Derzeit sind wir damit beschäftigt, das interaktive Hörbuch ›Redemption‹, das wir zusammen mit Dolby in Dolby Atmos produziert haben, fahrzeugfähig zu machen. In-Car-Entertainment war schon bei unserer Gründung 2019 ein Thema. Wir freuen uns, dass da jetzt wortwörtlich »Bewegung in die Geschichte« kommt.
Zeitgleich steuere ich die Arbeiten an der AI-Integration in unsere Game Engine TWIST sowie das UI und UX Design für TWIST Tales, unser Portal für interaktive Hörbücher auf Web und App. Und zudem entwickele ich das Konzept für unsere Webinar- und Workshopreihe ›Get Your Story Done‹ weiter, durch die wir Game Designer, Narrative Designer und Autoren in unsere Game Engine einführen und ihnen zeigen, wie einfach es ist, interaktive Audio Stories zu erstellen und zu veröffentlichen.
Und neben Devcon und Gamescom Vorbereitungen, dem Schreiben an einer neuen Storyline und diversen Marketingprojekten treibe ich gerade fleißig unsere Indie-Game Studio-Kollaborationen und die Zusammenarbeit mit Universitäten voran, für die sowohl unsere Game Engine als auch die Möglichkeit erstellte Storys quasi per Knopfdruck in unserem Portal zu releasen, sehr spannend ist – ob als Marketinginstrument, IP Exansion, oder im Fall der Unis als Praxisprojekt für deren Studentinnen und Studenten.
Und ja, die Frage nach dem Fokus wird mir oft gestellt.

Wie hat das, woran Sie täglich arbeiten, mit Video- und Computerspielen zu tun – wo sind die Berührungspunkte und womöglich Erweiterungen der beiden Ökosysteme?

Unsere Arbeit bei EarReality ist eng mit der Welt der Video- und Computerspiele verflochten. Interaktive Audioformate ermöglichen es uns, eine Brücke zwischen klassischen Gaming-Erlebnissen und der Audio-Entertainment-Welt zu schlagen. In unserer Game Engine TWIST erstellen wir interaktive Hörbücher, die Spieler und Spielerinnen ähnliche Freiheiten bieten wie Spiele, indem sie Entscheidungen treffen und den Verlauf der Geschichte beeinflussen können. Dies ähnelt der Entscheidungsfreiheit und dem interaktiven Storytelling in Rollenspielen und Adventure-Games. Zudem bieten unsere Formate eine neue Dimension des Gamings, die jenseits von Bildschirmen funktioniert und somit den Nutzern ermöglicht, auch in Situationen, in denen sie ihre Hände oder Augen anderweitig benötigen, aktiv an Geschichten teilzunehmen. Dies erweitert die Möglichkeiten für Game Studios, ihre IPs in neue, immersive und interaktive Medienformate zu übertragen und neue Zielgruppen zu erreichen.

Spielen Sie eigentlich privat und welches Wunschprojekt würden Sie gerne in nächster Zukunft angehen?

Ja, ich spiele privat sehr gerne, vor allem Spiele, die stark auf narrative Erzählungen setzen, wie Rollenspiele und Adventure-Games. Diese Spiele inspirieren mich sehr, da sie den Wert einer gut erzählten Geschichte zeigen und wie diese durch Interaktivität bereichert werden kann. Tatsächlich habe ich EarReality gegründet, weil ich endlich während der Autofahrt RPGs spielen will. Und zum anderen verdanken wir unsere Existenz maßgeblich ›Mass Effect‹. Die Charaktere und die Story haben mich so gehooked, dass ich gedacht hab, so muss man Stories heute erzählen. Interaktiv. Der User muss der Protagonist sein. Auch in Erzählformaten und nicht nur im klassischen Videogame-Bereich.

Ein Wunschprojekt von mir wäre es, eine umfassende interaktive Audio-Serie zu entwickeln, die sich tief in komplexe Charakterentwicklungen und epische Handlungsstränge vertieft. Diese Serie könnte verschiedene Genre-Grenzen überschreiten und sowohl Elemente aus Science-Fiction als auch Fantasy vereinen, um ein reichhaltiges Universum zu schaffen, das Zuhörer und Zuhörerinnen über mehrere Episoden hinweg fesselt. Außerdem würde ich gerne mit Gamestudios an der Entwicklung von transmedialen Projekten arbeiten, die Videospiele und interaktive Audioformate kombinieren, um das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Hier habe ich eine ganze Liste, angefangen von vergessenen Klassikern wie der ›Ultima‹-Reihe über ›Drachenlanze‹, ›Curse of the Azure Bonds‹, bis hin zu ›Assassin‘s Creed‹, ›Horizon‹, ›Mass Effect‹, ›Fallout‹ und ›Gothic‹. Letzteres wäre ein absolutes Herzensprojekt für mich. Ich habe bestimmt 300 sehr glückliche Stunden in ›Gothic‹ 1 bis 3 versenkt und noch mal welche in ›Elex‹ 1 und 2. Und ich bereue keine davon. Und die Ruhrpott-Mittelalter-Dialoge von ›Gothic‹ als interaktives Hörbuch, ein Traum!

Zuletzt darf ich den Rahmen noch ein wenig weiter öffnen – wie sehen Sie die deutsche Spielebranche aktuell? Sehen Sie Entwicklungen? Trends?

Die deutsche Spielebranche befindet sich in einer spannenden Phase des Wachstums und der Transformation. Es gibt einen deutlichen Trend hin zu mehr Diversität und Inklusion sowohl in den Spielinhalten als auch in den Entwickler:innenteams. Diese Diversität fördert die Kreativität und Innovation in der Branche und führt zu einem breiteren Spektrum an Spielinhalten, die unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Ein weiterer wichtiger Trend ist die zunehmende Verschmelzung von Film- und Spieltechnologien, was zu noch immersiveren und cinematischeren Spielerlebnissen führt. Zudem erkennen immer mehr Unternehmen das Potenzial von Serious Games und Gamification, um Lernprozesse und Schulungen zu unterstützen. Ich glaube, dass Deutschland, mit seiner starken technischen Expertise und kreativen Talenten, gut positioniert ist, um eine führende Rolle im internationalen Spielemarkt einzunehmen und weiterhin innovative und qualitativ hochwertige Spiele zu produzieren.

Und ich denke, dass das, was wir machen, hier eine sinnvolle Erweiterung sein kann. So haben wir uns von Anfang an gegründet, als Puzzleteil, dass Visionen anderer ergänzt und ein Bigger Picture vervollständigt. Screentime ist umkämpft, der Gamingmarkt derzeit übersättigt. Erfolg ist eine Frage der Positionierung und Diversifikation. Nicht jeder wird eine Netflix- oder Amazon-Prime-Serie erhalten oder überhaupt in der Lage sein, eine solche mitzuproduzieren. Aber interaktive Hörbücher? Der Aufwand ist finanziell und zeitlich vernachlässigbar. Ich kann nur jedem Studio und Publisher empfehlen, über Folgendes einmal kurz nachzudenken: »You create games, but what you really sell is the worlds, characters, and stories.«

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
 
| RUDOLF THOMAS INDERST

Weiterlesen 
| EarReality – die Agentur-Webseite
| TWIST Tales – das User-Portal
| Christian Mahnke: Wie du interaktive Hörbücher für Voice schreibst

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