Weshalb niemand über Vorsorge redet, Tilman, das verstehe, wer will.
Die aktuelle Debatte liegt falsch?
Sie reden darüber, die Extreme auszubremsen, sie wollen den CO2-Ausstoß begrenzen und streiten über Zahlen.
Das wäre keine Vorsorge?
Nein, das ist der Versuch, eine rasante Entwicklung zu entschleunigen, ohne die zugrundeliegenden irrigen Abläufe anzutasten.
Vielleicht dennoch ein unumgänglicher Versuch?
Unumgänglich zweifellos, aber keine Vorsorge. Die von Waldbränden heimgesuchte Fläche in Kalifornien verfünffachte sich während der vergangenen Jahre, die durchschnittlichen nächtlichen Temperaturen lagen um 1900 bei 22° C, heute liegen sie bei 24° C, Tagesspitzen erreichen gegenwärtig 49° C, und in erschreckend nüchternen Worten wird mitgeteilt, daß über eine halbe Million Menschen aufgefordert seien, die Region zu verlassen, wie stellen sie sich das vor.
Als wäre das alltäglich. Sie spielen es herunter.
Derart präzise Daten sind leider nur aus den USA bekannt. Aus Rußland wissen wir von verheerenden Bränden, die Permafrostböden tauen auf, die Konsequenzen sind unabsehbar, vor Kamschatka wurden tonnenweise verendete Meerestiere angespült, weshalb, die Risiken sind unkalkulierbar, aus China sehen wir entsetzliche Bilder von Überschwemmungen.
Immerhin reden sie vom Klimawandel, oder?
Sogar von den Ursachen, durch den Menschen herbeigeführt, aber dann ist auch Schluß, ist Ende der Fahnenstange. Wie sie den Ursachen begegnen wollen, dazu kein Wort.
Es geht um die natürlichen Grundlagen unserer zivilisierten Welt?
Es geht um die natürlichen Grundlagen der Zivilisation, Tilman, in weiten Bereichen kollabiert grundlegende Infrastruktur, die Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Elektrizität ist gefährdet – und kein Gedanke daran, Vorsorge zu treffen, Politik in Schockstarre, der Russe führt entsetzliche Kriege.
Anne schenkte Tee nach. Es war ein angenehmer Spätsommertag, die Hitze der vergangenen Tage hatte nachgelassen, in einiger Entfernung sahen sie das Gohliser Schlößchen.
Radfahren statt Autobahn?
Sie arbeiten daran, den motorisierten Individualverkehr aus den Städten zu drängen, das ist vernünftig, gar keine Frage, und, so gesehen, eine Sysiphus-Aufgabe. Nur, Tilman, es handelt sich um Reparaturen an bestehenden Schäden, verstehst du?
Was meinst du mit Vorsorge?
Unter den Bedingungen des Klimawandels sind hochentwickelte, sensible Technologien, vorsichtig formuliert, nicht länger resistent, etwa was den Energieverbrauch der digitalen Rechner betrifft, das ist nicht zu verantworten, auch die digitale Kultur selbst wird zum Problem, die Kühlwasserversorgung der Nuklearanlagen etc. p. p., industrielle Großprojekte insgesamt drohen obsolet zu werden, der Flugverkehr stagniert oder ist bereits reduziert, technologische Neuerungen erweisen sich oft als wenig flexibel und als unvereinbar mit natürlichen Abläufen.
Die Natur reagiert?
Die Natur reagiert, der Mensch ist nicht in der Lage, sich dem zu entziehen, wie denn wohl auch, Tilman, das weitreichende Artensterben ist ein Ergebnis der industriell geprägten menschlichen Lebensweise.
Die gilt es in Frage zu stellen.
Exakt, Tilman. Wir müssen Vorsorge treffen und eine Lebensweise realisieren, die keine Herrschaft über die Natur anstrebt, sondern in die natürlichen Abläufe integriert ist. Doch wie es scheint, ist das nicht auf der Agenda.
Ein Rückbau der Globalisierung, der Industriegesellschaft, der technologischen Errungenschaften?
Das gehört auf die Tagesordnung, keine Frage, die Debatte wird schwierig werden, doch sie ist unausweichlich, elektronischer Schnickschnack ist hinfällig, war immer schon eine Spielwiese für infantile Gemüter, Kindereien, Luftschlösser im Luxussegment, weder wird KI eine Hilfe sein noch autonomes Fahren noch ein Anthropozän, Reisepläne zum Mars sind schillernde Blasen der Eitelkeiten, ein Haschen nach Wind, wir müssen heraus aus den Traumwelten und uns den Realitäten stellen.