Vier Kinder unterschiedlichen Alters treffen zufällig aufeinander. Alle sind sie Außenseiter – weil sie irgendwie anders sind. Das macht sie einander nicht auf Anhieb sympathisch, verbindet aber doch irgendwie. Und als Peter abhauen will, sind die anderen mit von der Partie. Eine ungewöhnliche Zusammensetzung, findet ANDREA WANNER.
Mila ist immer ein bisschen abwesend, verliert sich in den Dingen, träumt vor sich hin, ist nicht ansprechbar. »Zurückgeblieben« nennen das ihre Klassenkameraden. Freundinnen hat sie keine, am liebsten zieht sie sich an einsame Orte zurück, wo sie ihre Ruhe hat. Peter hat Angst. Vor all den Dingen, die man nicht sieht und die nachts im Dunkeln lauern könnten. Er ist klein für sein Alter, ständig wird ihm sein jüngerer Bruder als Vorbild präsentiert und klar, das nervt. Katka ist zu dick. Auch sie hat einen Bruder, der das Problem nicht hat und außerdem eine sportliche Mutter. Sie vergräbt sich am liebsten in Bücher, taucht ab in andere Welten und verschlingt Roman um Roman, nicht alle ganz altersgemäß. Und Franta läuft an Krücken. Er hat von Geburt an ein Problem mit den Beinen, hadert mit der Welt und rächt sich durch ziemlich fiese Aktionen.
Zufällig kreuzen sich ihre Wege. Nein, sie werden nicht sofort Freunde, irgendwie ist jeder von ihnen zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Trotzdem sind sie auf eine Art neugierig aufeinander, erkennen in den anderen auch jeweils das Außenseitertum, das Nicht-von-anderen-akzeptiert-werden. Und so schweißt sie das Anderssein zusammen.
Als Peter daheim auf taube Ohren stößt, weil er nicht mit auf Klassenfahrt will, beschließt er wegzulaufen. Die anderen haben Verständnis und schließen sie sich ihm an, ein Plan wird geschmiedet und sie brechen auf ins Ungewisse und in ein ganz besonderes Abenteuer.
Petra Soukupová ist eine tschechische Schriftstellerin und Dramaturgin. Tatsächlich kann man sich das Buch sehr gut verfilmt vorstellen – vorausgesetzt man fände vier junge Schauspieler, die das leisten könnten, was Soukupová beschreibt. Und das ist nicht einfach. Keiner taugt so richtig zum Helden, alle haben Ecken und Kanten, fühlen sich an den Rand gedrängt und nicht dazugehörig. Es kracht auch untereinander ziemlich heftig, es gibt fiese Wortwechsel, Streit, Schlägereien. Und dann treffen sie doch immer wieder den richtigen Ton, versöhnen sich, lassen sich in Ruhe – und kommen sich dabei immer näher. Soukupová beschreibt das ebenso unprätentiös wie eindringlich und mit einer genauen Beobachtungsgabe. Abwechselnd kommen die Kinder zu Wort. Auch hier stimmt jeweils die Sprache. Mila mit ihren Abschweifungen, die sich von jeder Kleinigkeit ablenken lässt. Peter in seiner Ängstlichkeit, die hinter allem etwas Schlimmes wittert. Katka klingt gefrustet und Franta zynisch. Jedes Detail stimmt – und auch die Übersetzung von Johanna Posset schafft einen gekonnten Rhythmus.
Es ist eine Geschichte über das Wachsen und Sichverändern, zu dem der Ausbruch aus dem gewohnten Alltag gehört. Wer im täglichen Leben andauernd scheitert, versucht sich vielleicht nur an den falschen Aufgaben. Neue Situationen fördern manchmal neue Fähigkeiten zutage. Neues und nie zuvor Erlebtes wartet auf die vier, die als »Klub« zu bezeichnen so gar nichts mit ihrer erstaunlichen Verbindung zu tun hat. Die Illustrationen von Nikola Logosová sind mehr als eine dekorative Dreingabe: sie fordern heraus, wollen entschlüsselt und gelesen werden und sind obendrein wunderschön.
Die zwei Teile des Roman – ›Die seltsamen Kinder‹ und ›Gemeinsam‹ – bringen die Story auf den Punkt, die von der ersten bis zur letzten Seite einen faszinierenden Sog entwickelt, vor Grausamkeit nicht zurückschreckt und auf Kitsch in jeder Hinsicht verzichtet. Ein wunderbares Buch – für das man nicht zu jung sein sollte und nicht zu alt sein kann.
Titelangaben
Petra Soukupová: Klub der seltsamen Kinder
(Klub divných dětí, 2019). Aus dem Tschechischen von Johanna Posset.
Mit Illustrationen von Nikola Logosová
Wien: Jungbrunnen 2025
229 Seiten, 20 Euro
Jugendbuch ab 11 Jahren