Nach dem Tod seiner Mutter hat Torleif das Dorf seiner Kindheit verlassen und lebt in einem Internat in der Stadt, wo er nicht nur musikalisch gefördert wird, sondern auch endlich zu sich selbst stehen kann. Aber dann hat sein Großvater einen Schlaganfall und Torleif muss die Herbstferien zu Hause verbringen, um ihn zu unterstützen. Eine Rückkehr, die vieles verändern wird. Von ANDREA WANNER.
Torleifs große Leidenschaft gilt der Hardangerfiedel, einem der Violine ähnelnden Instrument, das vor allem in der Volksmusik im Süden Norwegens verwendet wird, Torleifs Heimat. Sein Großvater, zu dem ihm eine große Liebe verbindet, baut solche Fiedeln. Oder besser gesagt: baute! Denn nach seinem Schlaganfall ist er halbseitig gelähmt, niemand weiß, ob und wie stark es sich bessern wird. Hier im Dorf gehen Männer auf die Jagd, so wie Torleifs Vater und Bruder es tun. Jungs und Männer, die sich wie er für Musik interessieren, werden als unmännlich und »schwul« belächelt – was keiner weiß: Torleif ist tatsächlich homosexuell. Mit Kim, der selber schwul ist und der selbstbewussten Rada, seinen beiden Freund:innen in der Schule, ist das alles kein Problem und er hat sich längst geoutet. Zuhause ist es anders. Keiner weiß Bescheid. Die alte Angst holt ihn wieder ein, er fühlt sich fremd und nicht dazugehörig, nur an der Seite seines Großvaters, seinem Goffa, ist es gut.
Und bei Anne, seiner ehemaligen Musiklehrerin an der kleinen Akademie. Als sie sich die Hand verletzt, bittet sie ihn, sie zu vertreten. Nach einigem Zögern sagt Torleif zu. Und trifft ausgerechnet an der Akademie auf den aus Japan stammenden Musikdozenten Horimyo. Torleifs Welt steht Kopf, denn er verliebt sich Hals über Kopf mit dem genauen Gefühl, dass das die unmöglichste Sache der Welt ist.
Felefieber, auf Deutsch Fiedelfieber, ein Musikstück, eine Lebenseinstellung, prägt das Lebensgefühl von Torleif. Es ist verbunden mit tiefster Trauer und Verzweiflung, aber auch mit Hoffnung und Zuversicht. Es gelingt der norwegischen Autorin, von der 2021 »Bleistiftherz« auf Deutsch erschienen ist, mit sanften Klängen genau diese Stimmung einzufangen, einen schwebenden Zustand zwischen Angst und Optimismus, zwischen Niedergeschlagenheit und Verliebtsein. Sie spielt selbst die Hardangerfiedel, seit sie zehn ist, und fängt alles, was dazugehört, mit behutsamen Worten ein. Sie lässt Torleif selbst erzählen, von seinem Anderssein, seinem frühen Gefühl, nicht dazuzugehören. Von dem Verhältnis zu seiner Mutter, die viel erahnte und von seiner grenzenlosen Niedergeschlagenheit nach ihrem Tod.
All das Ungesagte droht öffentlich zu werden, als er sich in Horimyo verliebt – und der seine Gefühle erwidert. Der einzige Ausweg scheint Torleif der Verrat. Nur so kann sein Geheimnis gewahrt bleiben. Nur so wird er nie er selbst sein können. Passend zur Lektüre gibt es eine Playlist, die unbedingt hörenswert ist und genau in die richtige Stimmung versetzt!
Eine bewegende Geschichte, sehr einfühlsam übersetzt von Meike Blatzheim und Sarah Onkels, die viel über die Borniertheit von Menschen erzählt, von immer noch mangelnder Akzeptanz sexueller Vielfalt, von Ängsten, die es endlich zu überwinden gilt.
Titelangaben
Elin Hansson: Zweiklang
(Felefeber, 2023). Aus dem Norwegischen übersetzt von Meike Blatzheim und Sarah Onkels
Zürich: Arctis 2025
320 Seiten, 19 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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