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Flamme

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Flamme

Die Tage zu zählen, sei sinnlos. Die Fangpause, hieß es, werde dauern.

Der Ausguck und Thimbleman hockten am Strand, in Sichtweite der ›Boston‹, sie hatten den Nachmittag über landeinwärts Holz gesammelt, morsche Stücke, leicht brennbar. Nun saßen sie davor, ohne daß sie sich gelangweilt hätten, die Zeit verstrich, sahen zu, wie von Osten gemächlich die Dämmerung heraufzog, der Ausguck entzündete das Feuer.

Sanctus und Touste schlenderten von der ›Boston‹ herüber und gesellten sich dazu, die Flamme züngelte, knisternd bildete sich Glut, niemand sprach oder bewegte sich, sie standen im Bann des Feuers.

Thimbleman legte von Zeit zu Zeit einen Scheit nach, darauf bedacht, die Flamme niedrig zu halten, die Temperaturen waren subtropisch mild, es ließ sich aushalten, das rastlose Flackern zog die Blicke auf sich.

In den Straßen der Stadt leuchtete seit einigen Jahren künstliches Licht von Glühlampen, in denen durch Zuschalten von elektrischem Strom ein Metalldraht erhitzt wurde, Elektrizität war eine Innovation, sie verkürze, hieß es, die Zeit, das Waltran war aus der Mode gekommen, in den Laternen hatte sonst stets eine kleine Flamme gebrannt, er schätzte diese natürliche Flamme, die Engel, er hatte das von Gramner, nähmen ganz oder teilweise die Form des Feuers an, ohne daß es sie verzehre.

Ob denn Feuer nicht eine zerstörerische Kraft sei, fragte er sich, und wie sei es möglich, daß der Mensch, im Begriff, den Planeten zugrunde zu wirtschaften, sich dennoch im Hochgefühl des vermeintlichen Erfolgs einen Homo sapiens nenne, das müsse jemand erst einmal verstehen.

Und wie konnte es möglich sein, daß Menschen aus aller Herren Länder im Hafen vor Anker gingen, die Stadt heimsuchten, Claims in Besitz nahmen, den Boden aufwühlten und dem Land seine kostbaren Schätze entrissen? Ein unübersehbares Durcheinander bahnte sich an.

Er starrte in die Flamme und kam zur Ruhe. Wie ließ es sich erklären, daß ein norwegischer Autor vom Tod der Engel redete, wenn doch das Feuer unwidersprochen als eine Ausprägung der Engel galt? Hatte nicht Gramner ihn erwähnt, und daß das Norwegen der ›Moderne‹ eine durch Erdölförderung wohlhabende Nation sein werde? Sie profitierten vom Raubbau an den irdischen Schätzen und schwadronierten vom Tod der Engel?

Eine Flamme sei ein heiliges Wesen wie der Wind, würde Termoth sagen, der Navajo, und Thimbleman sah fasziniert zu, es war nahezu windstill, und eine leichte Brise schien sanft mit der Flamme zu spielen, oder war es umgekehrt, und die Flamme, zierlicher Engel, trotzte dem Wind und behauptete ihren Lebensraum? Ein Spiel, überlegte Thimbleman, die beiden waren miteinander vertraut, sie fügten einander keinen Schaden zu, nein, er sah einen leidenschaftlichen Tanz, die Flamme und ihr unsichtbarer Partner, innig aneinander geschmiegt – die Flamme, gewiß, sie nährt sich aus dem Holz, doch wo hat der Wind seinen Ursprung, woher zieht er seine Kraft?

Thimbleman blickte auf.

Jede Regung der Flamme war voller Anmut, und behutsam faßte der Wind nach ihr, bewegte sie zart. Thimbleman hatte aber die verheerenden Brände in der Stadt keineswegs vergessen, mehrmals während der vergangenen Jahre waren komplette Straßenzüge niedergebrannt, Feuer und Stürme hatten vereint gewütet, ganze Tage und länger hatten ihre schaurig ekstatischen Tänze getobt, und erst als ihre Kräfte ermattet waren, sie sich zurückzogen, entstand Raum für die Feuerwehren, verbliebene Flammen zu löschen.

Ob sie erzürnt waren, daß der Mensch das Land so gedankenlos in Besitz nahm, sich seiner Schätze bediente und Raubbau betrieb an der über Jahrmillionen gewachsenen Natur? Setzten sie sich zur Wehr gegen einen rücksichtslosen Eindringling, und dieser Eindringling, so anmaßend, so unverfroren er auftrat, wagte sogar aufzurüsten? Kompliziert, nein, zu kompliziert, auf diese Fragen zu antworten, das war Thimbleman zu kompliziert.

Er blickte auf.

Touste saß ihm gegenüber, tief in sich versunken, und, wie es schien, summte er wieder eine Melodie.

Der Ausguck wirkte konzentriert, wahrscheinlich überlegte er, trotz der Dunkelheit wieder einen Salto zu schlagen, das wäre ihm zuzutrauen.

Sanctus war reglos und schwieg.

Niemand spürte den Wunsch nach einem Gespräch.

| WOLF SENFF

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