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Lakota

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Lakota

Er habe nicht verstanden, sagte Harmat, was mit den Lakota geschah, sie führten diverse Prozesse, die sich über Jahrhunderte hinzogen?

Nachdem die ersten Immigranten eingetroffen waren, sagte Gramner, nach Westen aufbrachen und das Land kolonisierten, formierte sich in Nordamerika eine räuberische Nation, die Immigranten nahmen das Land in Besitz, auf dem die ursprünglichen Einwohner, die First Nations, lebten, und ließen allein ihr eigenes Recht gelten.

Die Einwohner, fragte LaBelle, mußten sich den Gesetzen der Immigranten fügen?

Das stellt die Welt auf den Kopf, sagte Crockeye.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Der Ausguck stand auf, ging einige Schritte und löste sich in der Dunkelheit auf.

Das Gespräch stockte.

London genoß die milden Temperaturen in der Ojo de Liebre, die Fangpause durfte, wenn es nach ihm ginge, noch tagelang anhalten.

Rostock blickte fasziniert in die lodernden Flammen.

Die Immigranten gründeten die Vereinigten Staaten, sagte Gramner, das selbstherrliche Auftreten wurde zum Prinzip ihrer Außenpolitik, und dieses Auftreten sollte sich über die Jahrhunderte nicht ändern, wiederholte Gramner, sie seien eine menschenverachtende und blutrünstige Nation geworden, verantwortlich für die meisten Kriege auf dem Planeten. Richte den Blick auf den siebenundvierzigsten Präsidenten, sagte er, einundzwanzigstes Jahrhundert, und du glaubst den Klon eines General Custer zu sehen. Die Lakota? Mit ihnen schlossen die USA 1851 den Vertrag von Fort Laramie, der ihnen Landrechte garantierte, und 1868 erneut einen Friedensvertrag, gegen den die USA schon nach wenigen Jahren erneut verstießen, sagte er, als sie nicht verhinderten, daß Glücksritter und Goldgräber in das Land der Lakota eindrangen, nein, sie bedrängten die Lakota sogar, das Land der Black Hills abzutreten, eine Region, die den Lakota als geheiligter Sitz der Geister galt.

In der Schlacht am Little Big Horn, sagte er, die um diese Region geführt wurde, unterlag General Armstrong Custer gegen die Völker der Lakota, Arapaho und Cheyenne unter Sitting Bull und Crazy Horse, jedoch wurde unter erneuter Verletzung der vertraglichen Bestimmungen die Region wenig später kurzerhand entschädigungslos enteignet, und seitens des US-Kongresses wurde ein entsprechendes Abkommen zum Gesetz erhoben.

Imperialismus, sagte London.

Der Ausguck schälte sich aus der Dunkelheit und setzte sich wieder.

Thimbleman blickte auf.

Touste spielte auf der Gitarre Akkorde an.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Das Rauschen des Meeres klang mild aus der Ferne.

Rostock blickte fasziniert in die lodernden Flammen.

Die Schlacht am Little Big Horn war der letzte, verzweifelte Versuch der Lakota und ihrer Verbündeten, die Landrechte der Great Sioux Reservation zu verteidigen, ihre traditionelle Lebensweise zu bewahren und dem Abschlachten der Bisons Einhalt zu gebieten.

Die USA blieben auch im einundzwanzigsten Jahrhundert verrufen, weil man sich nicht auf ihre Verträge verlassen könne, auf ›deals‹, die mit ihnen vereinbart seien, sagte Gramner. Die Lakota hatten deshalb schon immer wieder juristische Verfahren gegen die US-Regierung angestrengt, um Entschädigung für das Land zu erhalten, das ihnen widerrechtlich genommen wurde.

Alkohol und trügerische Fehlinformation, ›fake news‹, waren im Spiel gewesen, sagte Gramner, die juristischen Auseinandersetzungen erstreckten sich über die Jahrhunderte, und eine Initiative, die noch 2007 von der Lakota Freedom Delegation auf den Weg gebracht wurde, forderte die Unabhängigkeit der Lakota von den USA und die Anerkennung ihrer eigenen Regierung.

London räusperte sich. Die USA, sagte er, warfen Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab, sie sonnten sich jahrzehntelang im Glanz einer sogenannten Weltmacht, prahlten mit ihren vermeintlich vorbildlichen demokratischen Verhältnissen, und man wundere sich, wie viel Zeit und wie viele Opfer es forderte, bevor der Größenwahn entzaubert war, all das Maulheldentum, das lautstarke, leere Gerede mit leider unabsehbar destruktiven Folgen.

| WOLF SENFF

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