Der 15jährige Amadou und sein 8jähriger Bruder Seydou haben keine Ahnung, wozu die Kakaobohnen diesen, die sie seit zwei Jahren auf einer Plantage in Côte d’Ivoire unter entsetzlichen Bedingungen ernten. Ihr Leben ist ein einziger Albtraum, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Von ANDREA WANNER
14 Jungs schuften auf dieser Plantage mitten im Dschungel, ohne Bezahlung, mit so wenig Essen, dass es gerade zum Überleben reicht, dafür mit jeder Menge Prügel, wenn die geerntete Tagesmenge nicht dem Soll entspricht. Kindersklaverei im 21. Jahrhundert. Amadou und Seydou stammen aus dem Nachbarland Mali. Während einer großen Dürre und Hungernot hat sich Amadou freiwillig für diese Arbeit gemeldet, weil er dachte, es sei normale, bezahlte Saisonarbeit, so wie viele aus deinem Dorf sie haben. Er hatte keine Ahnung, in welcher Hölle er landen sollte – und fühlt sich verantwortlich für seinen kleinen Bruder, dem er das Leben so angenehm wie irgend möglich zu machen versucht, den er beschützt und tröstet.
Eines Tages geschieht etwas Außergewöhnliches: Ein Mädchen wird in das Camp gebracht. Wie ein wildes kleines Tier setzt sie sich zu Wehr, »Wildkatze« nennt Amadou die 13jährige, die nur eines zu kennen scheint: Flucht. Die Bestrafung dafür ist unfassbar schrecklich, aber Khadija lässt sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Und als etwas Furchtbares mit Seydou geschieht, weiß auch Amadou, dass Flucht die einzige Chance ist. Nur wie kann das Unmögliche gelingen?
Tara Sullivan sammelte als in Indien geborene Tochter internationaler Entwicklungshelfer Erfahrungen in Südamerika und der Karibik. Ihr erster Roman »Golden Boy« erschien vor mehr als zehn Jahren und erhielt zahlreiche. Jetzt verleiht sie Amadou, einem der Kinder, die auch heute noch unter Kinderarbeit leiden, eine Stimme und lässt ihn erzählen. Die Zahlen sich weltweit immer noch unglaublich hoch: Seit 2000 hat sich die Zahl von Kindern in Kinderarbeit zwar fast halbiert, von 246 Millionen auf 138 Millionen, laut IAO, darunter aber noch immer etwa 54 Millionen, die gefährliche Arbeit leisten müssen, die ihre Gesundheit, Sicherheit oder Entwicklung gefährden.
Es ist ein schwieriges Thema, jeder Satz des Ich-Erzählers geht unter die Haut, macht betroffen und wütend. Wie kann es sein, dass es so etwas heutzutage noch gibt, dass auch die Schokolade in unseren Supermarktregalen nicht frei von Kinderarbeit ist – es sei denn, wir recherchieren im Vorfeld und achten beim Kauf bewusst darauf. Gerade die westlichen Regionen Afrikas, insbesondere Côte d’Ivoire und Ghana, sind für gefährliche Kinderarbeit bekannt. Kinder werden nicht nur zur Ernte, sondern auch zum Versprühen von Pestiziden eingesetzt.
Amadou berichtet mit einfachen Worten, ohne Effekthascherei, klar und aufrichtig. Scham, Angst, Stolz, Vorurteile: Er versucht an keiner Stelle, sich in ein besseres Licht zu rücken. Er ist jung, ohne Bildung, das Leben hat ihn hart gemacht. Seine anfänglich fehlende Empathie gegenüber dem Mädchen schockierend. Aber immer mehr wachsen einem die Figuren ans Herz, versteht man ihre Motive und ihr Handeln.
Sullivan schreibt einen Jugendroman, keinen Tatsachenbericht. Dennoch ist es eine Geschichte, in der viel Wahrheit steckt. Mehr als uns lieb sein kann. Sie findet eine Lösung, dass diese Erlebnisse nicht im Chaos enden. Ob man von einem Happy End sprechen kann, sei dahingestellt.
Wir haben in Deutschland seit 2023 ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu beachten. Es gibt fair produzierte Schokolade. Sie kostet mehr, aber sie ist jeden Cent wert. Und nach der Lektüre dieses Buches geht es vermutlich vielen wie Amadou, der irgendwann die erste heiße Schokolade seines Lebens trinkt: Sie bleibt ihm buchstäblich im Hals stecken und schmeckt nur noch bitter.
Titelangaben
Tara Sullivan: The Bitter Side of Sweet
(The Bitter Side of Sweet, 2016)
Aus dem Englischen von Jessika Komina und Sandra Knuffinke
Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2025
320 Seiten, 17 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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