In der konventionellen Landwirtschaft liegt einiges im Argen. Mehr als verständlich also, wenn sich Landwirtinnen und Landwirte mit den herkömmlichen Methoden unwohl fühlen. Zwar gibt es längst bekannte Alternativen, doch der Schritt zur Umstellung fällt vielen schwer. Denn diese ist mit Unsicherheiten und Risiken verbunden. Dass sie dennoch gelingen kann, zeigt das vorliegende Buch ›Das Radiesli stimmt mich zuversichtlich‹ von Nicole Egloff. MARTIN GEISER hat es gelesen.
Die Autorin, hat 2024 zwölf Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz besucht – jeden Monat einen. Mehr noch: Drei Tage lang hat sie jeweils mit angepackt und am Mittagstisch Gespräche geführt. So erhielt Egloff unmittelbaren Einblick in den Alltag und schildert im Buch nicht nur die Herausforderungen, sondern vor allem die Freude und Leidenschaft, die sie auf den Höfen vorgefunden hat.
Höfe mit Vorbildcharakter
Die zwölf von Egloff porträtierten Betriebe stehen exemplarisch für eine Landwirtschaft, die Sorge trägt zum Boden – auch im Hinblick auf zukünftige Generationen. Die Betreiber der Höfe wollen gesunde und schmackhafte Lebensmittel produzieren, die Konsumenten und Konsumentinnen einbeziehen, dabei das Tierwohl und oder den Klimawandel im Blick behalten und die Biodiversität fördern.
Doch soweit die Gemeinsamkeiten auch reichen, ist doch jeder Betrieb einzigartig. Je nach Ausgangslage finden die Landwirtinnen und Landwirte ganz unterschiedliche und individuelle Lösungen für die kleinen und grossen Herausforderungen: Sei dies durch eigene Züchtungen von Hoftieren, selbst gezogenes Saatgut oder angepasste und massgeschneiderte Maschinen zum Jäten oder Ernten.
Individuell und kreativ
Innovativ bezüglich Wassermanagement zeigt sich der Katzhof in Richenthal (LU). Hier wurden kilometerlange kleine Gräben angelegt, die den Höhenlinien folgen und von (zurzeit noch jungen) Bäumen gesäumt sind. Beides, Gräben und Bäume sind Teil des »keyline design«, welches bewirkt, dass Regenwasser natürlich im Boden zurückgehalten wird und somit das Wachstum der angebauten Kulturen bei längerer Trockenheit unterstützt.
Einen anderen einfallsreichen Ansatz verfolgt der Hof SlowGrow in Mönchaltdorf (ZH). Hier wird sogenannte Mosaik-Landwirtschaft praktiziert: Das Land ist in nur 1,27 m breite Streifen unterteilt, wo jeweils unterschiedliche (oder gleiche) Kulturen nebeneinander gedeihen, etwa ein Blühstreifen neben mehreren Reihen Getreide gefolgt von Zwiebeln neben Kartoffeln. Dazwischen liegen je 50 cm breite, in der Regel begrünte Wegstreifen, wo auch das Rad eines Traktors Platz findet. Hecken ergänzen dieses System, das mit GPS-gesteuerten, zum Teil speziell angepassten Maschinen bewirtschaftet wird – ganz ohne Gülle, Mist, Kunstdünger und in der Regel auch ohne Pflug.
Sicherlich ebenfalls ein bemerkenswerter Hof ist das im Buchtitel genannte Radiesli (»Radieschen«) in Worb bei Bern. Wer zum Beispiel von hier Gemüse im Abo bezieht, verpflichtet sich gleichzeitig zur Mitarbeit. Dieses Prinzip der »solidarischen Landwirtschaft« (Solawi) fördert nicht nur das Verständnis der Konsumentinnen für die Probleme des Bauernstandes. Es ermöglicht zudem auch Nicht-Bauern, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auf dem Betrieb zu dessen Wohl einzusetzen, sei es etwa im Marketing oder in der Buchhaltung.
Lesen und lernen
Weitere Ideen und Konzepte, die Leserinnen und Leser in diesem Buch kennenlernen, sind etwa:
- Agroforst: Das Einbeziehen von Bäumen und Hecken in die Kulturen
- Direktsaat: Spezielle Sämaschinen legen das Saatgut direkt in den unbearbeiteten Boden ab.
- Untersaat: Der Hauptkultur, zum Beispiel Roggen, wird eine weitere wie Weissklee beigefügt, die den Boden bedeckt und ihn mit Stickstoff anreichert.
Wer in der Bio-Landwirtschaft arbeitet, dürfte diese Methoden längst kennen. Für interessierte Laien sind sie jedoch wohl oft neu oder zumindest nicht im Detail bekannt. Die Lektüre des Buches bietet daher nicht nur Einblick in die biologische Landwirtschaft, sondern fördert auch das Verständnis der Zusammenhänge in der Nahrungsmittelproduktion und damit deren – heute bei zahlreichen Konsumenten etwas fehlende – Wertschätzung.
Zudem macht das Buch neugierig: Dank den Links zu jedem Kapitel und am Ende des Buchs gelangt man im Netz rasch zu mehr Information.
Die biologische Landwirtschaft wird sicher auch noch heute von vielen belächelt und nicht ernst genommen. Aber wer die gewaltigen Probleme der konventionellen, auf Kunstdünger und Massenproduktion basierenden Landwirtschaft nicht vollkommen ignoriert, muss einräumen, dass alternative Ansätze von Nöten sind. Das vorliegende Buch zeigt sie auf und stimmt tatsächlich zuversichtlich, dass ein Wandel möglich ist.
Wer handelt?
Ob allerdings der politische Wille existiert, eine Veränderung anzustossen, steht auf einem anderen Blatt. Diese Zweifel äussern auch einige der im Buch interviewten Landwirtinnen und Landwirte. Sie trauen den sogenannten »Bauernvertretern« im Parlament nicht sehr viel zu. Denn diese seien oft eher »Interessenvertreter der vor- und nachgelagerten Industrie« (Saatgut, Dünger, Lebensmittelverarbeitung).
Warten auf die Politik ist daher keine Option: Die Menschen im Buch packen an. Dazu passend ein Zitat einer Bäuerin: »Ich war ein paar Jahre … aktiv am politischen Diskurs beteiligt. Mit der Zeit wurde ich des Diskutierens müde und fand, ich kann viel mehr bewirken, wenn ich hier [auf dem Bauernhof] meine Visionen teste und umsetze …« Dass dies, zumindest im Kleinen, gelingen kann, dazu liefert sie selbst den Beweis.
Titelangaben
Nicole Egloff, Raphaela Graf (Fotos): Das Radiesli stimmt mich zuversichtlich – Zwölf Bauernhöfe denken Landwirtschaft neu
Zürich: Rotpunktverlag 2025
287 Seiten, ca. 42 CHF / 39 Euro
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