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Die Spuren führen nach Schweden

Roman | David Lagercrantz: Das Zeichen des Fremden

In zwei Romanen hat der schwedische Autor David Lagercrantz das Ermittlerpärchen Hans Rekke/ Micaela Vargas bisher auftreten lassen. Im Zeichen des Fremden schließt die Trilogie nach Der Mann aus dem Schatten (2022) und Das Bild der Toten (2024) nun ab. Wieder müssen der Stockholmer Psychologe Rekke und seine WG-Genossin Vargas in einem Cold Case ermitteln. Er führt ins spanische Santander, wo am ersten Tag einer Fiesta im Juli 1988 die furchtbar zugerichtete Leiche einer jungen Frau namens Sandra Ramirez gefunden wurde. Und weil zwei schwedische Touristen damals mit Sandra gesehen wurden und der Fall einigen anderen bis dato ungeklärten Verbrechen in Europa ähnelt, steht schnell der Verdacht einer Mordserie im Raum. Von DIETMAR JACOBSEN

Der Zeitpunkt, zu dem der spanische Chefinspektor Rafael Corales bei Psychologie-Professor Hans Rekke in Stockholm auftaucht, ist nicht unbedingt ideal. Der geniale Verhörspezialist Rekke steckt selbst mitten in einer psychischen Krise. Und die um einiges jüngere Streifenpolizistin, die Rekke einst das Leben rettete und mit der er inzwischen zusammenwohnt, überlegt gerade, ob ihre aktuelle Beziehung zu einem iranischen Ingenieur nicht so ernst ist, dass sie bei Rekke wieder auszieht.

Allein der über zwanzig Jahre alte Fall, der Morales nicht loslässt, wirft Fragen auf, die Rekke und Vargas sofort in ihren Bann ziehen. Denn der brutale Mord an einer jungen Frau am ersten Tag der alljährlichen Fiesta in der nordspanischen Stadt Santander weist Parallelen zu anderen Fällen außerhalb Spaniens auf, bei denen mit ähnlicher Grausamkeit gegen Frauen vorgegangen wurde. Und die Spur des Täters führt offensichtlich nach Schweden.

Ein 20 Jahre altes Verbrechen

Derweil hat Rekkes Bruder Magnus, der als Staatssekretär im schwedischen Außenministerium beschäftigt ist, ebenfalls Sorgen und braucht die Hilfe von Hans. In vielem ganz dessen Gegenteil – Hans freut sich zum Beispiel, man schreibt das Jahr 2008, über den Wahlsieg Obamas, während Magnus eher zu den Republikanern hält –, gehen ihm aber die geniale Beobachtungsgabe des Bruders sowie die daraus folgende Entschlusskraft völlig ab, nur in puncto Machtgier liegt er vorn. Nun soll er freilich dafür sorgen, dass die aus Guantánamo in ihre Heimat Schweden überführte Journalistin Gina Mo Anderson, von der Linken zur Heldin stilisiert, auf ihren bevorstehenden Pressekonferenzen mit unbedachten Äußerungen nicht für soziale Unruhen sorgt.

David Lagercrantz (Jahrgang 1962) kam als Schriftsteller erst so richtig ins Gespräch, als ihm von Familie und Verlag des tragisch verstorbenen Stieg Larsson die Fortsetzung von dessen Millenium-Trilogie übertragen wurde. Zwischen 2015 und 2019 veröffentlichte er nach Larssons Büchern selbst drei Romane, in deren Mittelpunkt wieder der berühmte Investigativ-Journalist Michael Blomkvist und die Hackerin Lisbeth Salander standen, ehe er den Staffelstab weitergab an seine Landsmännin Karin Smirnoff. Mit Hans Rekke und Micaela Vargas kreierte er anschließend ein Ermittler-Duo, das ebenfalls seine Besonderheiten hat. Rekke glänzt – darin nicht unähnlich Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes – mit seiner Kombinationsgabe und dem Sinn noch für die kleinsten Details. Vargas ergänzt die Genialität des Professors durch ihren Ehrgeiz und einen unbändigen Willen.

Die Spuren des Mörders

Beides, der »überirdische Sinn« des Psychologen und die kämpferische Ader der Polizistin, werden auch diesmal gebraucht, um einen Fall zu lösen, der immer umfangreicher wird, je länger sich Rekke und Vargas mit ihm beschäftigen. Und vieles scheint darauf hinzuweisen, dass der sadistische Täter, auf dessen Konto die Ermordung der jungen Spanierin Sandra Ramirez geht, auch die Verantwortung für weitere bisher nicht geklärte Verbrechen trägt. Dafür spricht auch, dass die Körper aller in diesem Zusammenhang infrage kommenden Opfer mit Zeichen versehen wurden, mit denen der Mörder seine Taten offensichtlich nummeriert hat.

Ganze 82 Kapitel hat David Lagercrantz auf den knapp 400 Seiten seines Romans untergebracht. Das sorgt für Tempo, häufige Perspektivwechsel und das Switchen zwischen unterschiedlichen Zeitebenen. Auf der Santander-Schiene geht es noch einmal zurück zu dem Tag, an dem die unglückliche Sandra Ramirez nicht nur eine Erzählung zu Ende schrieb, mit der sie hoffte, Einlass in die von ihr verehrte Welt der Literatur zu bekommen, sondern auch an deren finalen Schauplatz selbst zu Tode kam. Auf der Gegenwartsebene hingegen konzentrieren sich die Ermittlungen von Rekke und Vargas immer mehr auf die Stockholmer Literatenszene und zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Aber kommen Pontus Bremer, der vor Selbstbewusstsein und Überheblichkeit strotzende Bestsellerautor, und Dag Wrangel, sein eher zurückhaltender und bisher eher wenig erfolgreicher Kollege, als Täter überhaupt in Frage?

Unter Literaten

Das Zeichen des Fremden ist ein kurzweiliger Roman, der mit vielen seiner Figuren überzeugt und dennoch seine Schwächen hat. Denn leider bleiben auf den Nebenschauplätzen, die der Roman aufmacht – u. a. die Geschichte um die schwedische Journalistin und Linksaktivistin Gina Mo Anderson, die behauptet, den Aufenthaltsort von Osama bin Laden zu kennen, Micaela Vargas‘ intensive, aber abrupt endende Beziehung zu dem Iraner Caspar Amiri oder die Stockholmer Literatenszene, in der jeder jedem den Erfolg missgönnt und Intrigen an der Tagesordnung sind – zu viele Dinge ungeklärt. Auch überlasten die zahlreichen literarischen Anspielungen von Kafka bis Leonhard Cohen, die Lagercrantz in seinen Roman eingebaut hat, einen Spannungsroman, in dem die Tätersuche im Zentrum stehen sollte, zu sehr. Und schließlich dürfte auch die Lösung des Falls diejenigen, die es gern haben, wenn sie in einem Roman, in dem es um die Aufklärung eines oder mehrerer Verbrechen geht, von Beginn an miträtseln dürfen, wer sie wohl begangen hat, ein wenig enttäuscht zurücklassen.

| Dietmar Jacobsen

Titelangaben
David Lagercrantz: Das Zeichen des Fremden
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
München: Wilhelm Heyne 2025
416 Seiten. 24 Euro
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