Mit Yoko hat Bernhard Aichner vor einem knappen Jahr einen Thriller vorgelegt, der ganz in der bewährten Manier dieses Osttiroler Autors den blutigen Rachefeldzug einer von Mitgliedern einer chinesischen Triade aufs Korn genommenen Frau gegen ihre Peiniger thematisierte. Nun folgt mit John die Fortsetzung der Abenteuer dieser sich schließlich in eine neue, männliche Identität flüchtenden Figur. Auf einer griechischen Insel hat sich Yoko unter dem naheliegenden Namen John in Sicherheit vor all ihren Verfolgern gebracht. Doch nicht nur die Polizeihauptkommissarin Katrin Liebermann, die Yoko seit Jahren auf die Spur zu kommen versucht, sondern auch eine zweite Frau aus ihrer alten Heimat erkennen in John die von Polizei wie Triaden Gesuchte. Beide haben je eigene Pläne mit der Enttarnten. Und Yoko muss, ob sie will oder nicht, auch als John wieder töten. Von DIETMAR JACOBSEN
Es könnte ein Leben sein, wie man es sich erträumt, wenn man aus einem existentiellen Albtraum in den nächsten geraten ist, einen blutigen Rachefeldzug hinter sich hat, etliche Menschen, die einem im Leben nahestanden, in dessen Verlauf verlor und von Polizei und Triaden gehetzt wurde. Auf einer kleinen griechischen Insel, hoch in den Bergen über dem azurblauen Meer, hat Yoko, die sich seit ihrer Flucht aus Deutschland als Mann verkleidet hat und – was könnte naheliegender sein, wenn der Vater einst fanatischer Beatles-Fan war und der Tochter seine Liebe zu den Liverpooler Pilzköpfen samt deren Gespielinnen mit in die Wiege legte – John nennt, in einer Taverne Zuflucht gefunden.
Die Wirtin und ihr Sohn sind dem jungen, freundlichen Fremden wohlgesonnen und haben ihm Arbeit und ein Dach über dem Kopf gegeben. Und so scheint Yoko endlich einen Platz gefunden zu haben, an dem sie zu sich kommen und die Schrecknisse der Vergangenheit für immer hinter sich lassen kann, ihr kleines Paradies auf Erden sozusagen.
Endlich in Sicherheit?
Doch mit der deutschen Polizistin Katrin Liebermann kreuzt eines Tages eine Frau in der abgelegenen Wirtschaft auf, die Yokos Spuren schon seit einem knappen halben Jahrzehnt verfolgt. Dass ihr Interesse dabei nicht nur dienstlich ist, stellt sich erst später heraus. Zunächst zwingt sie Yoko aber dazu, ihr detailliert zu berichten, was in den letzten fünf Jahren geschah. Und weil die Polizeihauptkommissarin offensichtlich am längeren Hebel sitzt und Yokos Identität jederzeit auffliegen lassen kann, bleibt der Geflüchteten zunächst auch nichts anderes übrig, als Liebermann über die Ereignisse der letzten Jahre ins Bild zu setzen.
Es ist eine Erzählsituation, wie sie Bernhard Aichner liebt und nicht zum ersten Mal kreiert. Dialogstark – eines der Mittel dieses Autors, für das hohe, nahezu atemberaubende Tempo in seinen Texten zu sorgen, sind die Dialoge zwischen den handelnden Personen, die über Seiten hinweggehen und gelegentlich auch einmal, um Atem- oder Überlegenspausen anzudeuten, nur aus Anstrichen bestehen können, hinter denen dann kein Text mehr folgt – und immer wieder unterbrochen durch Kapitel, die in der Gegenwart spielen, lässt er Yoko die vergangenen Jahre Revue passieren.
Zwei Frauen stören das Idyll
Und so erfährt man auch als Leserin oder Leser dieses Romans von der alleinstehenden, gut gekleideten und mit ihren Trinkgeldern äußerst großzügig umgehenden Deutschen, die, nachdem sie einmal von ihm bedient wurde und sich auf ein Gespräch mit ihm eingelassen hatte, Gefallen an dem jungen John fand und ihm schon nach kurzer Zeit die Pflege ihres in der Winterzeit leer stehenden griechischen Anwesens anbot – gegen ein gutes Gehalt und freies Wohnen. Dass diese Ingrid – kultiviert, belesen und fasziniert von der Kargheit und Schönheit der griechischen Inselwelt – mit ihrem ausgeprägten Faible für Kriminelle und Kriminelles Yokos Maskerade nur allzu bald durchschauen würde, konnte Aichners Heldin freilich nicht ahnen, als sie sich ohne Arg mit dem Geschäft, das scheinbar beiden Seiten einen Vorteil versprach, anfreundete.
Noch viel weniger klar war ihr freilich, welche Pläne die ganz und gar nicht so harmlose Deutsche mit ihr hatte, nachdem sie mit der Enttarnung Yokos eine fatale Macht über sie gewann. Denn in Ingrids Gedanken existiert bereits seit Langem eine kleine Liste von Menschen, die sie nur allzu gern aus ihrem Leben entfernt sähe. Und in ihrer neuen Freundin Yoko, in Deutschland gesucht wegen mehrfachen skrupellosen Mordes, glaubt sie nun endlich jene Frau gefunden zu haben, die in die Rolle des Todesengels ihrer Träume passt wie keine zweite.
Todesengel wider Willen
Bernhard Aichner spart auch im zweiten Band um eine Heldin, die durch einen Moment der Menschlichkeit und des Mitgefühls mit einer gefolterten Kreatur in einen Albtraum aus Blut und Gewalt gerät, nicht mit Überraschungen. Und einmal in Gang gesetzt, lässt sich der fatale Kreislauf aus Gewalt, die auch nicht endet, nachdem sich Yoko schließlich die Probleme mit Ingrid vom Hals geschafft hat, weil sie plötzlich deren Sohn Pierre gegenübersteht, bis zum Schluss nicht mehr unterbrechen. Denn jeder, dem Yoko begegnet, will sie für seine eigenen Interessen instrumentalisieren. Jeder, dem sie fortan vertraut, hintergeht sie bereits im nächsten Augenblick. Und jeder, der vorgibt, nur ihr Bestes zu wollen, wenn er ihr scheinbar einen Ausweg aus dem Dilemma, in das sie geraten ist, anbietet, hat allein den eigenen Vorteil im Sinn.
Da bildet letztlich auch Hauptkommissarin Liebermann keine Ausnahme. Denn sie ist alles andere als die Rettung, die sie vorgibt, für die verzweifelte Yoko zu sein. Nur einem alten Bekannten könnte es gelingen, Yokos immer stürmischer werdendes Leben wieder in ruhigere Bahnen zu leiten. Aber hat Azad, ihr ehemaliger Mitarbeiter in der Fleischerei ihres Vaters, der plötzlich bei ihr auftaucht, als die Not am größten ist, tatsächlich die Kraft, Yoko aus dem Sumpf, in dem sie endgültig unterzugehen droht, herauszuziehen? Auch er ist bereit, für eine bessere Zukunft für sie beide zu morden. Auch er ist bereit, sein eigenes Leben aufzugeben für die Frau, in die er sich einst verliebte und die er endlich wiedergefunden hat. Aber kann man der Spirale aus immer wieder neue Gewalt zeugender Gewalt, in der sich beide Figuren Aichners bald gefangen sehen, wirklich für immer entkommen?
Bevor er seine wohl bekannteste Figur, die »Totenfrau« Brünhilde Blum, der man inzwischen auch in einer äußerst gelungenen Netflix-Serie mit Anna Maria Mühe in der Titelrolle begegnen kann, in ein viertes Abenteuer schickt, ist Bernhard Aichner mit den beiden Bänden um die von einer fatalen Situation in die nächste geratenden Fleischerin Yoko eine spannende, temporeiche und vor allem im zweiten Band, John, raffiniert komponierte Geschichte gelungen. Die vielleicht ein bisschen zu märchenhaft endet (Wir spoilern nicht!) – aber wer wollte das einem Autor, in dessen Romanen es in der Regel ordentlich zur Sache und tief ins Blut geht, übelnehmen?
Titelangaben
Bernhard Aichner: John
Hamburg: Wunderlich im Rowohlt Verlag 2025
316 Seiten. 24 Euro
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