Der Dodo war ein flugunfähiger Vogel, der ausschließlich auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean vorkam und im späten 17. Jahrhundert, um 1690, ausstarb. Oder doch nicht? Dorians einziger Freund ist ausgerechnet ein Dodo. Aber das ist eine lange und abenteuerliche Geschichte, findet ANDREA WANNER.
Dorian kommt in die weiterführende Schule. Das ist nicht ganz einfach für ihn, weil er seine Wörter und Sätze nicht immer kontrollieren kann. Manchmal kommt nichts, manchmal eine wahre Sturzflut an Tönen und Silben. Zum Glück hat er Ramses, den besten Freund überhaupt, mit dem er nicht nur Musik macht, sondern auch ein Baumhaus gebaut hat. Aber das war alles im Sommer. Das waren Dorians glücklichste Tage, als sie dort mit Sabine und Nikita abhängen. Jetzt ist der Sommer vorbei und alles anders. Es kommt, wie es kommen muss. Alle in der neuen Klasse stellen sich vor – und als Dorian an der Reihe ist, bringt er nichts außer »Dodo« raus. Keiner kann ihm helfen, auch Ramses nicht. Und Dorian beschließt, dass das sein letztes Wort war. Dodo.
Und dann geht die Klasse ins Naturkundemuseum. Was ist dort ausgestellt? Genau, ein Dodo. Die neuen Klassenkameraden finden das zum Totlachen, schleppen Dorian in den Ausstellungsraum. Und Ramses. Der ist nicht da, als Dorian ihn braucht. Er fühlt sich von ihm verraten und im Stich gelassen. Von allen. Also klaut er ein Dodo-Ei, brütet es aus – und hat einen neuen, zuverlässigen Freund, einen Dodo.
Was für eine Geschichte! Da gibt es eine sehr reale Ebene, auf der der Ich-Erzähler Dorian mit der Welt nicht mehr klarkommt und sich in seine Fantasiewelt zurückzieht. Er schafft sich in dieser Situation der fehlenden emotionalen Unterstützung einen – nur für ihn – sichtbaren Freund, der die Rolle als Vertrauter und Stresspuffer spielt. Geschickt wechselt die niederländische Autorin Mohana van den Kroonenberg zwischen diesen beiden Welten hin und her, die Übergänge verschwimmen immer mehr. Nicht nur für Dorian, sondern auch für die Leserinnen und Leser. Immer besser versteht man seine Bewältigungsstrategie, mit der er versucht, mit der für ihn stressigen und belastenden Situation umzugehen. Es wird immer verrückter. Sein Schlagzeug verschwindet aus seinem Zimmer, er will und braucht es nicht mehr. Stattdessen baut er seine Bude mit einem Planschbecken, Wasser und viel Sand zur Insel Mauritius um, damit der Dodo sich wohlfühlt. Für ihn ist sein neuer Freund kein plumper Tollpatsch, sondern zunehmend die einzige Bezugsfigur. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.
Tut es auch nicht. Aber auch wenn es nicht so aussieht, ist da Licht am Horizont. Nur an der Seite des Dodos wird es schwierig. Aber der fast eines Tages – und zwar am genau richtigen Tag – einen Entschluss. Thomas M. Müller lässt einen sympathischen Dodo über die Seiten watscheln und am Ende – nein, das wird nicht verraten.
Titelangaben
Mohana van den Kronenberg: Dodo
(Dodo, 2023) Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer
Mit Bildern von Thomas M. Müller
Hildesheim: Gerstenberg 2025
208 Seiten. 17 Euro
Kinderbuch ab 11 Jahren

