Abstoßend, sagte Wette, diese Jagd nach Hochleistungen und die Gier, den anderen zu übertreffen.
Farb lachte. Ruhm und Ehre, sagte er, du wirst allenthalben mit Pokalen belohnt, bei den Balltretern zusätzlich mit maximal Kohle.
Nicht bloß bei den Balltretern, sagte Annika.
Die gibt es neuerdings sogar bei den Frauen, sagte Wette, Champions’ League, da läßt sich reichlich Mammon einsacken.
Eine Errungenschaft unermüdlichen feministischen Kampfes, spottete Farb, vielen Dank, Glückwunsch, Infantino wartet schon und wird sich eurer Angelegenheit annehmen.
Wette schenkte Tee nach, Yin Zhen, sie hatten wieder das Service mit dem Drachenmotiv aufgedeckt, rostrot, das Annika so liebte, Tilman hatte es aus Beijing mitgebracht, wo er einen Halbmarathon auf der Großen Mauer gelaufen war, nein, nicht die gesamte Strecke auf der Großen Mauer, natürlich nicht, dort läßt es sich nur mit Mühe zu dritt neben einander laufen, das ist nicht ungefährlich, rechts und links fallen die Hänge mitunter steil ab, ich komme darauf zurück, und nicht alle Abschnitte sind restauriert.
Ob er keine Angst gehabt habe auf den nicht wiederhergestellten Strecken, fragte Annika.
Lebensgefährlich, sagte Farb und tat sich eine Pflaumenschnitte auf.
Tilman reichte ihm einen Löffel Sahne.
Annika warf einen Blick nach dem Gohliser Schlößchen.
Ruhm und Ehre, sagte Farb, das hatten wir lange nicht mehr. Im Ally Pally in London werden Darts-Weltmeisterschaften ausgetragen, die Stars marschieren in Glanz und Gloria auf.
Man weiß kaum, was man dazu sagen soll, sagte Wette, ein hemmungslos johlendes Publikum, Alkohol fließt in Strömen, also in jeder Hinsicht Höchstleistungen, auf der Bühne heizen die Hammerettes, die Cheerleader von West Ham United, die Stimmung an, man sieht, sagte Wette, daß nichts ausgelassen wird, von kulturellem Niveau kann keine Rede mehr sein.
Ein wohlwollender Betrachter, sagte Farb, möchte meinen, der Darts-Sport werde instrumentalisiert und gerate in die scharfen Klauen des Leistungsdenkens.
Wette lachte. In schreckenerregender Klarheit, höhnte er, offenbare sich der Endzustand der Hochleistungsgesellschaft: nackt und bloß, erstickend in Suff und Rausch, aber stets fröhlich, stets gut gelaunt, und von den Kriegen, auch die selbstverständlich unter Erfordernissen der Höchstleistung, wollen wir am besten gar nicht erst reden.
So sieht es aus, sagte Tilman.
Kraß, sagte Farb, wir beobachten das kaum anders bei den Balltretern, die werden für endlos Mammon aus allen Gegenden des Planeten zusammengekauft, uns steht eine nie dagewesene Fußballweltmeisterschaft bevor, Mexiko, USA, Kanada, für den siebenundvierzigsten Präsidenten wurde ein FIFA-Friedenspreis ins Leben gerufen, oh Hagel und Granaten, oh Schreck und Graus, spannende Zeitläufte werfen ihre düsteren Schatten voraus.
Nein, er wisse auch nicht weiter, sagte Tilman, denn man könne den allgemeinen Zustand zurecht beklagen, keine Frage, von einer ausgleichenden staatlichen Gemeinschaft könne kaum die Rede sein, aber er frage sich, ob es sich anders darstelle, wenn man ein individuelles Leben in Augenschein nehme, ein einzelnes Leben, ob dieses friedfertig und in geordneter Bahn verlaufe, wohl eher nicht, sagte er.
Wo das Geld sitze, sagte Farb, herrschten günstigere Voraussetzungen, doch wenn du fragst, wo sich die Menschen am glücklichsten fühlen, kommst du auf Finnland, Dänemark und Island, die reichsten Nationen seien das nicht, aber gut, sagte er, es gehe ja nicht um Nationen, sondern um individuelle Biografien.
Das sei ihm zu kompliziert, sagte Wette, auch in einer Biografie gebe es heftige Brüche, schmerzhafte Rückschläge, und zweifellos sei der Mammon ebenfalls eine günstige Voraussetzung, aber einen Automatismus, nein, den gebe es nicht, und überhaupt, wann könne man denn von einem erfolgreichen Leben sprechen.
Jedenfalls messe sich das nicht an der Höhe des Bankkontos, sagte Farb.
Das sei eben kompliziert, sagte Wette, auch der professionelle Balltreter führe nicht quasi automatisch ein glückliches und erfolgreiches Leben.

