Gesellschaft | Phillip Riederle: Wer wir sind und was wir wollen
In Wer wir sind und was wir wollen. Ein Digital Native erklärt seine Generation erklärt Phillip Riederle vorlaut die Welt der »Digital Natives«. Wenn es nach ihm geht, leben wir bald alle in einer schmucklosen iPhone-Utopie. Von JAN FISCHER
»You merely adopted the internet. I was born in it, molded by it. I didn’t see broadband until I was already a man.«
– altes Sprichwort
Dass das Netz – den Älteren noch bekannt unter dem Kampfnamen »Neuen Medien« – die Welt schneller verändert, als man hinterherschauen kann ist ja auch nur ein Allgemeinplatz. Man muss sich nur mal anschauen, mit welcher Selbstverständlichkeit in den U-Bahnen dieser Welt Daumen über Touchscreens huschen und die Datenleitungen gigantische Mengen an Text, Bildern und Videos quer über die Welt verklappen: Irgendetwas braut sich da zusammen, seit Jahren schon.
Das heißt: Moment mal. Ja, sicher, das Netz hat unser Kommunikationsverhalten verändert. Ja, sicher, das große (und auch noch einzulösende Versprechen) des Always-On bietet Möglichkeiten, von denen man vor 10, 15 Jahren kaum zu träumen wagte.
Aber was da braut, bricht es auch aus? Irgendwie ist die Euphorie dann doch etwas gebremster in letzter Zeit. Da war was mit Überwachung. Und Sascha Lobo war letztens auch enttäuscht.
Vernetzt bis zur Entindividualisierung
Wer wir sind und was wir wollen von Phillip Riederle hat von alldem nichts mitgekriegt. Wie auch? Es ist im Mai 2013 erschienen, wurde also geschrieben, bevor Snowdens Enthüllungen über die Netzwelt hereinbrachen, bevor die Piratenpartei sich irgendwie ins Aus manövrierte, als der Arabische Frühling noch als vielleicht doch nicht so ganz gescheitert galt.
Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht sogar sinnvoll, Wer wir sind und was wir wollen als historisches Dokument zu lesen, eines, in dem sich ungebrochene und unverschneite Netz-Euphorie niederschlägt. Tatsächlich hat Riederles Near-Future-Utopie etwas unverhohlen Blauäugiges und endlos Optimistisches: Seine Generation, meint er, könne schneller alles wissen, würde nur arbeiten, wann und wo und wie es ihr Spaß macht, überhaupt ist alles transparent bzw. liquide bis zum kristallinen Glanz. Alle sind eins und eins ist alles, und überhaupt vernetzt bis zur Entindividualisierung.
Tatsächlich sind das alles keine neuen Ideen, Ähnliches hat jeder ernsthafte Netzverfechter schon einmal geäußert. Niemand kann wirklich bestreiten, dass das Netz seit seiner Erfindung mit Sicherheit eine große Wirkung auf Arbeit, Leben, im Prinzip auf alles hatte, und zwar alle fünf Minuten neu. Aber man muss sich doch fragen, ob Riederles hyperliquide, post-privacy iPhone-Design-Gesellschaft – die er längst in seiner Generation angekommen sieht – so irrsinnig erstrebenswert ist.
Netz-Euphorie braucht zweite Aufklärung
Riederle gibt sich übrigens nicht nur in seinem Buch als Sprachrohr seiner Generation – er tourt in dieser Eigenschaft als Unternehmensberater durch die Lande, und erklärt Chefetagen, wie die junge Generation kommuniziert. Aber von da aus sich als Sprachrohr einer seiner Generation zu erklären ist zumindest gewagt, vor allem, wenn das Sprachrohr sich eilfertig und unkritisch der Wirtschaft andient, immer nach dem Credo: Neu ist besser.
So ist Riederles Wer wir sind und was wir wollen zwar tatsächlich ein interessantes Buch – aber nur im Hinblick auf eine eigenartige, leicht gestrige Position, die im Licht neuerer Entwicklungen wahrscheinlich niemand mehr so ganz unterschreiben kann: Die bedingungslose Netz-Euphorie, die eigentlich nur eines braucht: Eine zweite Aufklärung, und dann wird sich die Gesellschaft schon verändern. Am besten von innen, direkt aus den Zentren der Wirtschaft und der Politik heraus.
| JAN FISCHER
Titelangaben
Philipp Riederle: Wer wir sind, und was wir wollen. Ein Digital Native erklärt seine Generation
München: Knaur 2013
272 Seiten. 12,99 Euro