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Vorsicht vor Frauen und Schnaps

Gesellschaft | Leitfaden für britische Soldaten 1944

Spätestens seit die US-Regierung auf den 9/11-Terror mit Bombeneinfällen im Irak reagierte, kennt man auch im friedensverträumten Deutschland das Wort »Exit-Strategie«. Man sollte, besagt es, nicht irgendwo einfallen, wenn man nicht weiß, wie man wieder rauskommt. Das leuchtet selbst Zivilisten ein, ist aber nur der zweite Schritt. Der erste – für den zweiten unabdingbare – scheint in neuen »asymmetrischen« Kriegen fatalerweise wegtechnologisiert zu sein: Man sollte das Land, in das man einfällt, sehr gut kennen. Nicht nur die Geo- und Topographie samt Klima, sondern die Menschen und deren Geschichte, Kultur, Lebensart, Mentalität. Mit einem altmodischen Wort: Landeskunde. Von PIEKE BIERMANN

BritLeitfadenDie klugen Strategen hinter der alliierten Befreiung Westeuropas vom Nazijoch hatten den »Faktor Mensch« noch so scharf im Visier, dass sie bereits zu Anfang der militärisch-operativen Planungen für D-Day auch Instruktionen für die »Fußtruppen« der Invasion entwickelten. Und zwar auch und gerade, wenn es ins »befreundete Ausland« ging. Die US Army bekam solche instructions 1942 für Australien und Frankreich und natürlich für die Insel, namens Großbritannien, die damals noch ein Empire war. Hier liefen die intensivsten Vorbereitungen für die Invasion zur endgültigen Zerschlagung der Naziherrschaft, und die kribbeligsten, zumindest für die Einheimischen – die die vielen Soldaten aus den einstigen colonies, vulgo: Amis, und deren Auftreten leicht steiflippig oder zumindest seufzend beschrieben als: Overpaid, oversexed, over here!

Fairplay und Selbstironie

Auch das britische Foreign Office brachte 1943 solche Benimmhandbüchlein heraus, eins für Frankreich, mit dessen Résistance man immerhin verbündet war, und eins für Deutschland, das man irgendwann bald hoffentlich besiegen und besetzen würde. Wer es verfasst hat, steht nirgends, nur dass es aus dem Political Warfare Executive des Außenministeriums stammt. Wer sich ein bisschen mit der Operation Overlord beschäftigt hat, ahnt, dass auch an dieser Stelle Zivilisten ihre Spezialbegabungen in den Kriegsdienst gestellt haben könnten – Ian Fleming war schließlich beileibe nicht der Einzige. Jedenfalls steckten die Broschüren im November 1944, ein halbes Jahr nach D-Day, im Gepäck der britischen Soldaten, die auf den Kontinent expediert wurden. Und vier Monate später wurden die instructions für Deutschland und Deutsche/s zu einer Art Besatzungsleitfaden, der auch die Exit-Strategie gleich mitbenannte, nämlich die »endgültige Friedenvereinbarung«. Bis dahin waren Deutsche – make no mistake! – »gefährliche Feinde«.

Das klingt stur, sollte den Soldaten aber nur einschärfen, warum sie hier waren und dass sie gefälligst vorsichtig sein sollten. Dafür gab es »Do«- und »Don’t«-Listen – Vorsicht vor Schnaps, Geschlechtskrankheiten, rührseligen Geschichten von attraktiven Frauen. Fraternisieren war unerwünscht, Heiraten verboten. Jeder Soldat hatte in Haltung und Benehmen deutlich zu machen, dass er immer auch das Commonwealth repräsentierte. Vor den Verhaltensmaßregeln allerdings stand eine Menge über Deutschland und die Deutschen. Und diese Texte sind in der Tat instruktiv und zum Teil ziemlich genial. Irgendwann merkt man beim Lesen, dass ihnen etwas fehlt, was man – vor allem als Fan der britischen Boulevardpresse und ihrer Nazi-Witzischkeiten – eigentlich erwartet hatte: platte Hunnen-Rhetorik. Stattdessen sind sie auf doppelte, ganz unpathetische Art Spiegelbilder – einerseits des unheimlichen deutschen Schwankens zwischen Musikliebe und Kriegsverbrechen und andererseits einer gelassenen britishness aus Fairplay und Selbstironie.

Ausgesprochen erbaulich

Was Hitler und sein Krieg aus und mit Deutschland, aus und mit den Deutschen gemacht haben, wird knapp, aber differenziert dargelegt – zum Beispiel anhand von Frauenrechten, aber auch anhand des Essens, das kriegsbedingt kaum noch gut schmeckt, oder der schlechten, weil Propagandafilme. Andere Alltagsdinge werden kurz und kiebig gestreift: Fußball, zum Beispiel, »lernten sie von uns«, und über das deutsche Bier heißt es korrekt, das sei immer »gekühlt«, aber leider auch kriegsbedingt »noch stärker verdünnt als englisches«. Das kann nur jemand geschrieben haben, der seine warme heimische Plörre nicht goutiert oder das bei seinen Lesern vermutet!

Die deutsche Fassung ist gelegentlich etwas frei – zum Beispiel gleich gänzlich befreit von der letzten Seite des Vorworts –, aber zum Glück zweisprachig. Man kann also das Original lesen. Kurz: Diese instructions von 1944 sind auch 2014 ausgesprochen erbaulich. Und machen richtig Lust auf die anderen landes- und mentalitätskundlichen Handbüchlein für den Soldatentornister, die die Bodleian Library der Universität Oxford seit den Nuller Jahren dieses Jahrhunderts liebevoll reediert.

| PIEKE BIERMANN

Eine erste Version der Rezension wurde am 20. August 2014 bei Deutschlandradio Kultur veröffentlicht, ein Gespräch mit Pieke Biermann ist als Audio on Demand verfügbar.

Titelangaben
The Bodleian Library (Hg.): Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944
Zweisprachige Ausgabe (Englisch/Deutsch)
Deutsch von Klaus Modick
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014
160 Seiten. 8 Euro

Reinschauen
| Leseprobe: ›Leitfaden für britische Soldaten 1944‹

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